Wir stellen uns immer an . . .
- Ingo

- 22. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Depesche 04 - 21.07.2025 - Von Tokyo nach Narita

Wir sind eine Menge gewohnt - so hitzetechnisch. So hitzetechnisch und auch fuftfeuchtigkeitsmäßig. Aber Tokyo im Juli ist da noch mal eine neue Erfahrung! Wir sitzen vor dem Terminal 2, Narita Airport, und warten auf unseren Shuttle. Und ich schwitze. Ehrlich gesagt habe ich noch nie so geschwitzt, nicht mal in Delhi. Indien musste in der Vergangenheit häufig für reisetechnische Superlative herhalten, aber das ist obsolet. Gegen den Verkehr ins Jakarta ist der Verkehr in Delhi eher abgestandener Kamillentee und gegen die hiesige Hitze hier in Tokyo, ist das Monsoonklima in Delhi nur eine lächerliche Dampfsauna. Der geneigte Leser merkt, mir läuft das Wasser am Arsch entlang, jawohl, das musste mal so deutlich formuliert werden . . .

Nach knapp 13 Stunden Flug begrüsst uns, kurz nach Sonnenaufgang, der Fuji-san - wie die Japaner den Mount Fuji nennen - in Japan. Auch wenn wir noch ein paar Minuten in der Luft sind, war der lange Flug doch recht angenehm, nicht zuletzt wegen der Beinfreiheit. Der Pilot von All Nippon Airways setzt den Dreamliner sanft auf den rissigen Asphalt von Haneda-Airport auf und wir sind nach 20 Stunden Reisedauer im Land der aufgehenden Sonne angekommen. Nun ja, es ist 06:22 Uhr und wir sind überpünktlich - 3 Minuten vor der Zeit - angekommen. Ungewohnt für uns, so viel ist mal sicher. Pünktlichkeit im ÖNPV ist für den Teutonen ja mehr so eine theoretische Denkeinheit, denn ein praktisch erlebbares Realitätskonzept. In Japan nicht!

Über Südkorea kündigen erste Sonnenstrahlen den anbrechenden Tag an und - wie reiseliterarisch versprochen - erhebt sich die Sonne blutrot über den Orbit, als wir gerade Südjapan überfliegen. Ich will ja hier nicht mit Fachwissen angeben, aber eigentlich heißt Japan übersetzt „Ursprung der Sonne“, also, hab ich mal irgendwo gelesen. In Haneda Airport angekommen, machen wir uns auf, das Land - ob mit Sonnenursprung oder Sonnenaufgang - zu betreten. Etwas derangiert, doch glücklich und gespannt. Unsere Japan-Visit-Web-„Akkreditierung“ hält Wort und wir sind bereits im System, was uns bei der Immigration doch Zeit verschafft. Alles läuft digital und per QR-Code, bis zu dem Moment, wo der Immigration-Angestellte Annis grünen

vorläufigen Reisepass in Händen hält. Er macht ein Gesicht! Und was für eins! Nun fängt er an verunsichert in handschriftlichen Notizen zu kramen, gewichtige Notizbücher - amtliche - zu wälzen und beginnt zu schwitzen. Der Graus eines jeden Asiaten - eine peinliche Situation! Gott bewahre oder vielmehr Buddha bewahre - Peinlichkeit. Inzwischen sind wohl etliche Flieger gelandet und die reisehungrige Travellermeute reiht und stapelt sich bis in die dämmrig-schattigen Tiefen der Ankunftshalle von Haneda-Airport. Natürlich brennt die Sonne inzwischen erbarmungslos auf die welligen Hallendächer und gemäß der vier, in Zahlen 4 (!), Einreiseinspektoren, scheinen auch nur 4 AC-Propeller die abgestandene Luft in ein feucht-schwüles Gemisch zu verquirbeln. Vielleicht ist das für den derangiert einreisenden Tourigaijin aber auch nur eine kunstfertige japanische Hight-tech-Klimavorbereitung, um einen sanften Übergang in das sommerliche Tokyo zu schaffen. Wer weiß das schon. Unser Inspektor macht immer noch ein Gesicht. Wir kommen nicht weiter und anhand des lauter werdenden Geräuschpegels, lässt sich wahrnehmen, dass wohl noch einige Flieger angekommen sind, deren Reisende wohl in tiefer Finsternis der Hallen vor sich hinvegetieren. Bevor das Teer- und Federkommando der Mitreisenden erscheint, klebt der hilflose Beamte einen Einreisevermerk in Annis Pass und wir sind drin. Im Land der aufgehenden Sonne / dem Ursprungs der Sonne!

Aber, wie das Schicksal so will, hatten wir im vergangenen September erst den Flug gebucht und anschließend den Camper. Und - natürlich hat die Campervermietung ihr Hauptquartier am Narita-Airport, der gut 70 Kilometer von Haneda Airport entfernt liegt, was auch sonst. Also, Reisender kommst Du nach Japan: Für Besuche in Tokyo und bahntechnische Weiterreisen ist Haneda gut, für Campingvan-Mietung bitte gleich einen Flug nach Narita buchen. Allerdings sollte erwähnt werden, dass Haneda-Airport schon die schickere Variante ist! Doch Japan ist hervorragend organisiert und bietet natürlich an allen Orten unfassbare Dienstleistungen. Zwar ist nichts auf Englisch, es spricht auch niemand Englisch, doch wer würde sich im Lande der guten Organisation von solchen Belanglosigkeiten ins Bockshorn jagen lassen. Wir erwerben an einem Automaten eine temporäre, personalisierte und wieder aufladbare Karte, mit der wir die anderthalb Stunden von Haneda nach Narita finanzieren können. Übrigens gibt es hier für alles einen Automaten. Doch dazu schreibe ich ein anderes Mal.


Der Zug ist alt, doch penibelst gepflegt und sauber. Im Zug ist es leise und nur sehr, sehr gedämpft dosierte japanische Wortfetzen belästigen den Mitreisenden. Das ändert sich immer wenn westliche Touristen einsteigen, besonders die, mit amerikanischem Pass. Die Zurückhaltung der Menschen hier ist irre und auch die Angewohnheit niemanden belästigen zu wollen - in keinster Weise. Wenn ich nur ein paar Stunden zurückgehe, zum Düsseldorfer Flughafen, wie der ein oder andere penetrante parfümtechnische Geruchsangriff östlicher Mittelmeeranreiner die eigenen Vitalfunktionen in lebensverkürzender Weise beeinträchtigen können, so ist das hier völlig anders. Übermäßiger Gebrauch von Deo, Rasier- oder anderen Duftwässerchen, wird als klare Wohlbefindensbeeinträchtigung des Nächsten empfunden. So auch überlaute Gespräche oder Telefonate. Während es bei uns ja inzwischen wohl zum guten Ton gehört, jeden im ÖNPV an seinen Face-Time-Sitzungen teilhaben zu lassen, ist hier in der Bahn das öffentliche Telefonieren super versöhnt. Ws soll ich sagen . . .

Während wir da so vor dem Terminal in Narita sitzen und auf unseren Shuttle der Van-Vermietung warten, kann man sich ein gutes Bild von den alltäglichen Gepflogenheiten der Japaner machen. Wir essen unser erstes japanisches Fast Food - gefüllte Reistaschen in Noriblätter (super köstlich) und beobachten das soziale Rahmenprogramm. Etwa 18 Busterminals säumen den Terminal 2. Jeder Bus hat eine exakte Halteposition. Auf der penibelst gepflegten, 100%tig müllfreien Fläche davor sind saubere Markierung für die Warteschlangen angelegt. Ein Mitarbeiter, der Affenhitze geschuldet angekleidet in einer ventilatorversehenen Kühlungsveste (kein Witz), belädt mit äußerster Vorsicht die Gepäckstücke der Reisenden, sorgt in respektvollem Tonfall für Informationen und mit 100%tiger Pünktlichkeit fahren die Busse ab und kommen an. Was soll ich sagen. Alle stellen sich brav in den aufgemalten Positionen auf, kein Gerangel, kein Vordrängeln, jeder wartet, bis er abgefertigt wird. So, ob das besser als bei uns ist, da überlasse ich dem geneigten Leser eine eigene Meinung und werde mich da nicht auf sozio-kulturelles Diskussionsglatteis begeben! Aber soviel, wir stellen uns an, denn wir stellen uns ja immer an. Bonne nuit, Folks!




