South by Southwest . . . 22° 47 ′North - 5° 31 ′East
On the Road . . .
Da sitze ich nun wieder. Vor einer bedrohlich leere digitale Schreiboberfläche und einem quirligen Cursor, der mich erwartungsvoll anblinkt. Mein Hirn übrigens auch - was soll ich sagen? Ich kann grad nicht einmal Fragen des Orients einwerfen. Wo beginne ich? Anfänge sind schwer . . .
Natürlich könnte ich jetzt ganz viel aus dem Nähkästchen unserer Reisen erzählen. Doch ist da die Langeweile des Lesers vermutlich vorprogrammiert. Das Netz ist voll von Reiseblogs jeder Couleur. Da mich die meisten auch langweilen, stellt sich die Frage, warum ich hier überhaupt schreibe. Nun ja, erst einmal habe ich Spaß daran. Ein guter Grund, wie ich finde. Ob es sprachlich die Eloquenz hat, die ich von mir selbst erwarte, wage ich mal zu bezweifeln. Marcel Reich-Ranicki würde mein Geschreibsel sicherlich als literarischen Schund in der Luft zerreißen. Mir egal, habe einfach Spaß daran. So, da habt ihrs - musste einfach mal gesagt werden. Franz Kafka fand übrigens seine Texte persönlich auch so schlecht, dass er verfügte, sie sollten nach seinem Tode vernichtet werden. Na bitte! Darüber hinaus brauche ich bei meiner zunehmenden Vergreisung hier und da ein wenig digitale Unterstützung, damit unsere Abenteuer nicht in Vergessenheit geraten.

Lisboa 2025

Burma 2016
Also, nach One Year on the Road kommt hier unser 2. Reiseblog. Hm, na ja, eigentlich wird diese Website nun unsere „normale“ digitale Reiseheimat werden, nachdem unser gemeinsames Jahresabenteuer leider abgeschlossen ist. Ein paar Depeschen aus Indien und Myanmar habe ich schon hinzugefügt, damit der Leser vorab schon etwas Stoff zum Nachdenken hat. Wie weit ich zurückgehe mit den Depeschen, muss ich erst mal eruieren. Viele Reiseberichte sind lediglich in Papierform erhalten und ich bin mir nicht sicher, ob ich diese verstaubten Relikte durch eine Digitalisierung entzaubern möchte. Wenn ich so auf den Stapel der Tagebücher schaue, bekomme ich richtig Lust darin zu blättern. Der Einband ist meist verkratzt und Kaffee- oder Wasserflecken künden als reisetechnisches Actionpainting von den Fortbewegungsmitteln, die mich über den Globus beförderten. Vielfach sind die Papierseiten vergilbt und auch leicht wellig, kein Wunder, bei allerlei feuchter Dschungelgebiete in Asien, Afrika und Lateinamerika. Hier und da habe ich an einer staubigen Überlandstraße gesessen und gezeichnet, ja in Ostafrika hatte ich sogar Aquarellfarben in meiner Tasche.
Verrückte Welt. Vor einer Bar in Daressalam saß ein Junge und verkaufte von einem Handkarren herunter Bananen. Er war in die buntesten Stoffe gewandet, die man sich nur vorstellen kann und auf seinem krausen, pechschwarzen Haar trug er ein tiefrotes Fez. Trotz seines unfassbar exotischen Aussehens kam ein Foto für mich irgendwie nicht in Frage, letztendlich, weil er mich auch immer ziemlich misstrauische beäugte. Kein Wunder, nach Daressalam verschlägt es Touristen lediglich zur Ein- und Weiterreise. So muss ich ihm mit meinem fahl-grünen Fieldjacket, den Cargohosen und den schweren Lederschuhen ziemlich seltsam vorgekommen sein. Foto ging nicht, doch ein Aquarell war völlig in Ordnung. Mehr sogar noch - es weckte seine Neugierde, sodass er bald neben mir im Schatten der Häuserzeile hockte und interessiert dem Entstehen meines farbig-wässrigen Machwerks zuschaute. Am Ende hat er mir das breiteste Lächeln geschenkt, zu dem ein Mensch wohl fähig ist. Wahrscheinlich, weil er das Bild mitnehmen konnte.

Tanzania 2003

Zanzibar 2003
Da dieser Moment so berührend war, habe ich dann versucht, sein Porträt aus dem Gedächtnis auf der Terrasse vom Tembo House in Stone Town (Sansibar) zu reproduzieren. Besonders viel habe ich auf dem Camino Real gezeichnet. Wahrscheinlich, weil die meisten Pilgerherbergen an Orten liegen, die der Herrgott in einer Sekunde der Vergesslichkeit erschaffen hat. Also irgendwo im Nirgendwo und da wir hier über die gute alte Zeit ohne permanentes Internet sprechen, musste man eben mit anderen Pilgern kommunizieren oder seine Ruhe mit etwas anderem füllen, als sich durch die langweilige Timeline zu swipen, die einem der Algorithmus aufzwingt.
Überhaupt - „Reisebild“ ist ein gutes Stichwort. Irgendwo in meinem Schapp lagern gut 5.000 Reise Dias, in Worten
„Fünftausend“! Trotz meiner alten und reiseerprobten Leica R5 sind die Bilder nach heutigem Standard eher nur durchschnittlich - in jenen Tagen aber schon ziemlich gut, so viel ist mal sicher. Wenn ich daran denke, dass ich bei meiner ersten Sahara-Tour 25 Fuji-Filme, a 36 Aufnahmen, dabei hatte, haben einige Menschen in meinem Umfeld schon sehr den Kopf geschüttelt. „Ob ich mich denn finanziell ruinieren wolle“, lautete da vielfach die Frage. So so, in jenen Tagen schon ganz lässig mit so viel Filmmaterial reisen zu können. Und - das Material war richtig anfällig gegen Hitze. Also habe ich drei schwarze Kunststofffilmboxen (zu je 9 Filmen) kurzerhand weiß lackiert, damit sich das Zeug nicht zersetzt. Alles ziemlich semiprofessionell geplant und doch hat es am Ende funktioniert.
Wann immer mir diese Bilder in die Hände fallen, träume ich mich hinfort an eine Straße, die eigentlich nur eine Richtung kannte - südwärts. Nun ja, südwärts, bis uns die geopolitischen Grenzen zwangen, an einer sandigen T-Kreuzung nach Osten abzubiegen. Links ab in die Sahara. Heute bin ich selbst verwundert über unseren Wagemut, oder vielmehr stelle ich mir die Frage, wie sehr wir von der eigenen Unsterblichkeit überzeugt waren, dass wir einfach drauflos gefahren sind. Kaum richtiges Werkzeug, ein kleines Verbandsset (was der ein oder andere Motorradnomade wohl noch aus dem Hein Gericke Shop kennen dürfte), jenes, in damaligen Tagen neue

Ireland 2017

Western Sahara 1991
Malariamittel namens Malerone, Wasseraufbereitungstabletten, Ersatzreifen und den alten, metallenen 5L Benzinkanister aus „Vaddern seinem alten 200D Benz“. Irgendwie sind wir durchgekommen, heile - was mich heute mehr als nur verwundert. Gut, ich habe bereits in Portugal meine erste Pirouette auf Schotter gedreht und einen Spiegel eingebüßt. Aufstehen und weiter. In irgendeinem steinigen Wadi war ich dann so von der Landschaft fasziniert, dass ich das Abzweigen der Piste nicht mitbekommen habe und kopfüber in jenem ausgetrockneten Flussbett landete. Neben einem gehörig angekratztem Fahrerstolz hatte es auch mein Scheinwerferglas erwischt. Mit einem Gefrierbeutel und natogrünem Panzertape wurde das fehlende Glas abgeklebt und hat erstaunlicherweise noch gut 7000 Kilometer gehalten. Hat niemanden interessiert, so verkehrstechnisch. Zurück in Europa, genauer gesagt
in Gibraltar, war es einem britischen Bobby schon ein ziemlicher Dorn im Auge, dass ich kein Kennzeichen an meinem ramponierten Moped hatte. Die Schraubenbohrungen des Kennzeichens waren von der elendigen Pistenrüttelei so ausgeschlagen, dass ich es irgendwo zwischen Erfoud und Ouzarzarte verloren hatte. Wir fanden es wieder und fortan fuhr es amtlich in meiner Gepäckrolle mit. Unter dem wachen Blick britischer Behördlichkeit, wurde es ebenfalls mit dem universell einsetzbaren Panzertape wieder befestigt. Danach ließ uns das wachsame Auge des Gesetzes ziehen, ohne den Gefrierbeutel an der Front zu beanstanden . . .
Jetzt habe ich natürlich doch aus dem Nähkästchen geplaudert. Was soll ich sagen, Reiseerinnerungen sind etwas Tolles, zumindest für denjenigen, der sie erlebt hat. Dem ein oder anderen Leser wird natürlich aufgefallen sein, dass es hier so wenig

Amsterdam 2022

Greater Himalayans 2024
ambulante Reisetipps gibt. Natürlich könnte ich zum Besten geben, wo an der Đại học Bách khoa die Nudelsuppe am besten mundet, aber vielleicht mag der geneigte Leser ja gar keine vietnamesische Nudelsuppe, wer weiß das schon. Außerdem langweilen mich diese Reisetipps selbst, denn ich entdecke lieber selbst eine Kultur und ihre Menschen, als über Nudelsuppen zu schreiben. Natürlich gibt es allerlei toller Essenserfahrungen, die in ihrer, sagen wir mal vorsichtig, kulturellen Eigenheit mich schon ziemlich an den Rand des Ertragbaren brachten. Doch fast immer sind diese Erlebnisse eng verknüpft mit den Einheimischen, dass sich häufig - zumindest aus der Rückschau - eine Schmunzelepisode ergibt. „Tausendjährige Eier“ in China wären da zu nennen - allein der
Gedanke daran zaubert mir mehr Schweißperlen auf die Stirn, als alle Nahtoderfahrungen durch hyperscharfe Chiligerichte Malaysias zusammen. Natürlich ist da auch die Episode, dass mir der vietnamesische Institutsleiter der technischen Universität zu Hanoi aus Dankbarkeit für meine Vorlesungsreihe zum Abschied einen Gruß aus der Küche schenkte. In einer bauchigen Halbliterflasche Reisschnaps ringelte sich eine, vermutlich jämmerlich in Alkohol verreckte, Königskobra. Mein äußerst
zurückhaltender, wenn auch vollendet höflicher Dank wurde als jugendliche Bescheidenheit interpretiert, worauf Professor Khi sich kurzerhand genötigt sah zu gegrillter Kobra für 4 Personen in Hanois Gassen einzuladen . . . Alptraum geplagt und schweißgebadet schreckte ich seinerzeit des Nachts hoch und stellte mir vor, wie die Reisschnapsflasche während des Fluges malerisch zu Bruch gehen würde. Ich sah mich daheim schon mit spitzen Fingern das schlängelige Reptil aus meinen Plünnen suchen . . .
Und - mal ganz ehrlich, in welcher farbigen Tonne entsorgt man in unserem westfälischen Entsorgungssystem eine in Reisschnaps ersoffene Königskobra? Fragen über Fragen des Orients!

East Germany 2024

Netherlands 2025
In diesem Sinne wünschen wir viel Spaß beim Lesen, Nachdenken, Schmunzeln und auch der ein oder anderen Ekel ist erlaubt, keine Frage. Aber, genau deshalb zeiht es uns ja immer wieder hinaus, weil alles so herrlich bunt, verschieden und oft auch völlig unverständlich ist.
I. G. im Juli 2025

