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Hokusai bewegt sich noch . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • vor 6 Stunden
  • 5 Min. Lesezeit

Depesche 30 - 17.08.2025 - Tokyo




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Es ist heiß in Tokyo, hatte ich schon mal erwähnt, meine ich. 37 Grad und ziemlich stechende Hitze. Nach den ungezügelten Shoppingepisoden der vergangenen Tage, muss nun Kultur her. Geht ja nicht, nur in Cafés rumlungern, Eislatte schlürfen und durch die Shops ziehen. Also muss es heute ein Museum sein. Das National Museum, was eigentlich für morgen auf dem Plan steht, entfällt morgen - ist natürlich Montag. Da haben weltweit ja nun alle Museen geschlossen. Auch in Tokyo. Aber so ganz können wir uns nicht mit der Sammlung und der aktuellen Sonderausstellung anfreunden. Natürlich sind Plastiken, Samurairüstungen und allgemeine Antiquitäten aus dem alten Nippon ganz nett, doch für einen Sonntag wollen wir etwas Exklusiveres. Jawohl! Das Museum für moderne Kunst? Das Samurai- und Ninja-Museum? Das Kreativ-Museum? Oder gar das Polizei-Museum? Fragen über Fragen


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des Orients. Unsere Wahl fällt auf das kleine, aber sehr ausgefallene Hokusai-Museum. Also raus in die Hitze, zwei Stationen mit einer Metro-Linie gefahren, die wir noch nicht kennen und wieder durch die Hitze gelaufen, bis wir vor dem kleinen, höchst modern gehaltenen Museum stehen. Es ist leer, was uns ganz verwirrt. Ist es geschlossen? Erdrutschwarnung? Epidemie? Für gewöhnlich sind in Tokyo immer irgendwie Menschenschlangen oder -massen unterwegs und stehen so im Weg rum. Nein, es scheint einfach nur leer zu sein. Wir sind für unsere Verhältnisse auch ziemlich früh - so für den Touristen zwischen Frühstücksbuffet und Brunch. Derzeit scheint es einen Völkertausch gegeben zu haben: Alle Japaner sind in Italien und alle Italiener sind in Japan. In den vergangenen Tagen hab ich zwischendurch gedacht, wir sind versehentlich in Rom gelandet . . . Immerhin sind die meisten nicht halbnackt.


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Auf dem Weg zum Hokusai-Museum kamen wir an dem martialisch-brutalistisch gestaltetem Edo-Tokyo-Museum vorbei, vermutlich sind alle Italiener dort. Das Hokusai-Museum liegt in Sumida. Das ist ein Tokyoer Bezirk und hat einen großen Fluss, außerdem war das hier Hokusais Turf, wenn ich das mal so salopp ausdrücken darf. Der Knabe hat zwar ziemlich viele Umzüge hinter sich, doch im Stadtteil Sumida hat er am längsten gelebt, wohl auch bis zu seinem Lebensende. Der Backs ist ziemlich modern, kein Wunder, denn er ist von 2016 und wurde von der japanischen Architektin Kazuyo Sejima entworfen. Aha, so so - ach, die! Wenn der geneigte Leser den Namen jetzt nicht so griffbereit einordnen kann, sie hat auch so kleine Sachen gemacht, wie den Zollverein-Kubus in Essen oder das New Museum of Contemporary Art in New York. Der Bau ist ganz spannend gemacht, denn das Museum ist durch einige Durchgänge von allen Seiten her zugänglich. Es gibt kaum Fenster und nur hier und da sind unwinkelige Gebäudeöffnungen vorhanden, die den Baukörper wie große Buchstaben erscheinen lassen. Außen ist es mit Metallplatten verkleidet, was natürlich bei dem grellen Sonnenlicht zu einer krassen Reflexion führt.


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Es gibt zwei Ausstellungen im Museum, einmal die ständige Ausstellung und eine Sonderausstellung. Die Sonderausstellung beschäftigt sich erst einmal mit dem Thema „Ukiyo-e“. Auch hier lieber Leser, es gehört nicht zum Allgemeinwissen. Ukiyo-e ist ein übergeordneter Begriff für eine bestimmte Gestaltungsrichtung der japanischen Malerei und Grafik. Genauer spricht man hier über Holzschnitte und Illustrationen für „Bücher“. Übersetzt bedeutet es so viel wie, „Bilder der fließenden Welt“. Thematisch dreht sich dabei alles um das Lebensgefühl in der Edozeit - also Alltagsleben und -ansichten der Menschen von Tokyo im 17. und 18. Jahrhundert. Dieses Lebensgefühl sollte nach Möglichkeit Leichtigkeit ausdrücken, so nach dem Motto, „lebe und genieße jetzt!“ Die Holzschnitte waren „reproduzierbar“, obwohl man heute davon ausgeht, dass ein Druckstock aus Holz maximal


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100 Drucke verträgt, dann sind die Kannten so abgenutzt, dass der Druckstock unbrauchbar ist. Die Ukiyo-e beeinflussten übrigens, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die gesamte Malereiprominenz, die sich Montmartre rauf und runter tummelte. Van Gogh, Monet, Lautrec, Manet und wie sie alle heißen. Doch der wohl begabteste Ukiyo-e-Maler und Holzschnitzer ist, der 1760 geborene Katsushika Hokusai. Fast alle Menschen in der westlichen Welt kennen bestimmt die „große Welle“. Eigentlich heißt der Druck ja „Die große Welle von Kanazawa“ und stammt aus einem Druckzyklus, „Die 36 Ansichten des Berges Fuji“. Hokusai hatte für die damalige Zeit ein ziemlich bewegtes Leben. Denn zu der Zeit gut 89 Jahre alt zu werden, scheint eher außergewöhnlich gewesen zu sein. Und produktiv


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war der Gute auch, also so richtig produktiv. Um die 3000 Farbdrucke, 200 Bücher hat er illustriert, unzählige Skizzenbücher und weit über 1000 Bilder hat er gemalt. Aber seine Holzschnitte machen Ihn berühmt, besonders „die Große Welle von Kanagawa“. Hokusai und auch sein Verleger sollen von dem Erfolg dieses Druckes selbst ziemlich überrascht gewesen sein, dass man es schleunigst nachdruckte. Hokusai wurde mit 15 Jahren Blockschnitzer und nach dieser Erfahrung ging er ab seinem 18. Lebensjahr bei einem Ukiyo-e Meister in die Lehre. Lieber Leser, keine Angst, ich bete jetzt nicht Hokusais Lebensgeschichte runter. Die Sonderausstellung beschäftigt sich erst einmal mit dem Begriff des Ukiyo-e, was sehr gut aufbereitet war und man natürlich auf den ersten Metern bereits zwei der berühmtesten Drucke im Original zu sehen bekommt. „Die Große Welle von Kanagawa“ und „Klare Morgendämmerung bei Südwind“. Letzteres ist eher als „Roter Fuji“ bekannt. Vor dem Museum hat die Architektin einen kleinen Park


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angelegt, wo ein Mosaik mit dem „Roten Fuji“ im Boden eingelassen ist. Da kaum Besucher im Museum sind, haben wir reichlich Zeit und Gelegenheit die beiden Drucke in Ruhe zu bestaunen. Besonders die „Welle“ kennt man natürlich, doch das Original ist einfach wunderschön in seinen Farbverläufen und dem intensiven Preussisch Blau, was Hokusai verwendete. Zunächst ging es Hokusai, wie vielen berühmten Künstlern - sie hatten kaum Geld und nix zu beißen. Daher etablierte er einen schlichten, einfachen Lebensstil und arbeitete, wie ein Besessener. Obwohl er später viel Geld verdiente, behielt er diesen Lebensstil bei. Als er „die Welle“ schuf, war er bspw. bereits 72 Jahre alt und bezeichnete später diesen Holzschnitt als sein Meisterwerk. Zu Recht, wie ich finde. Was im Museum extremst gut aufgearbeitet wird, ist das Entstehen „der Welle“. Dort liegen unter Glas die hölzernen Druckstöcke und


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schrittweise Fotografien zeigen, wie der Druck entsteht. Außerdem läuft parallel ein Film (https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=IBcB_dYtGUg), dass man genau sehen kann, wie jeder Druckschritt abläuft. Das ist schon sehr beeindruckend zu sehen, was da so an Präzision gefordert ist. Hokusai macht aber auch den Begriff „Manga“ populär und zwar so populär, dass er bis heute in seinem Sinne Verwendung findet, auch für Comics übrigens. Als „Manga“ bezeichnet man ein „zwangloses/ungezügeltes“ Bild. Hokusais Mangas sind Skizzen, die Anfang des 19. Jahrhunderts in insgesamt 15 Bänden veröffentlicht werden. Sie erzählen keine zusammenhängenden Geschichten, sondern stellen Momentaufnahmen der japanischen Gesellschaft und Kultur während der späteren Edo-Zeit dar und bilden das gesamte Spektrum des japanischen Alltagslebens ab. Die Ausstellung zeigt eine Unmenge von Skizzen, Zeichnungen und Bildern. Touchscreens mit kleinen Edukationsprogrammen bringen Kindern spielerisch in die Welt Hokusais und auch eine - für uns etwas merkwürdige Installation - trägt zur Annäherung an Hokusais Person bei. Einer seiner Schüler hat eine Zeichnung angefertigt, die


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Hokusai im Innenraum seines Schlafgemachs zeigt. Dabei kniet der Künstler auf dem Boden und malt, halb von seiner Bettdecke bedeckt. Seine Tochter sitzt daneben und im Raum liegen überall zerknüllte Papiere herum. Der Text steuert bei, dass Hokusai nicht so der ordentlichste Mitbürger gewesen sein dürfte, sein Interesse galt ausschließlich dem Gestalten. Wie es drumherum aussah, interessierte ihr eher weniger . . . Was soll ich sagen. Nun haben die Museumspädagogen eine Art Schlafzimmernachbau aufgestellt, mit zwei Wachsfiguren darin, die genau die skizzierte Szene nachstellen. Ziemlich unauffällig mache ich ein Foto davon. Unmittelbar nach Aufnahme des Bildes, senkt sich „Hokusais“ Arm mit dem Tuschpinsel ab. Ich bin total erschrocken . . . Doch wenige Minuten danach bewegt sich der Arm wieder und ich bin beruhig, dass das zur Show gehört. Aber, Anni hat genauso den Atem angehalten . . . Was soll ich sagen? Er zeichnet immer noch! Knobanwa folks!


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