"Wir sind glücklich, dass Sie uns seinen Kopf gebracht haben . . ."
- Ingo

- 29. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Juli
Depesche 12 - 29.07.2025 - Kanazawa

Das Sushi Restaurant hat einen Sushi-Schinkansen. Hat nicht jedes. Der Shinkansen ist DER japanische Hochgeschwindigkeitszug Japans - eine moralisch-technische Institution. Es gibt sogar Fanshops für den Shinkansen. Ist wie bei der Deutschen Bahn, die hat auch Fanartikel - glaub ich zumindest. Ob die je einer kauft, wage ich zu bezweifeln. Der Shinkansen ist immer pünktlich, wie eigentlich alles hier immer pünktliche ist, und - sollte er mal so etwas, wie Verspätung haben, muss sich der Wagenlenker bei den Gästen entschuldigen. Führen wir ein, oder? Blöd nur, dass bei uns dann keine Züge mehr fahren, weil sich das Personal 24 Stunden täglich dauerentschuldigen muss, was soll ich sagen? Wir waren zum Frühstück heute auf dem Fischmarkt von Kanazawa. Wir lieben Märkte, weil da so das richtige Leben tobt. In Paris versuche ich immer an der Rue Clair zu wohnen, denn dort ist täglich Markt und man kann gemütlich mit einem Milchkaffee auf dem Fensterbrett sitzen und zusehen, wie die Marktbeschicker miteinander kommunizieren, in dem man sich bspw mit Tomaten bewirft - kein Witz übrigens. Daher kann der geneigte Leser erahnen, dass wir so richtig auf ein zünftiges Marktgeschehen gespannt waren. Eigentlich hat der Markt immer von 7 Uhr bis 12 Uhr geöffnet. S0 waren wir früh, oder für unsere Verhältnisse spät. Glück im Unglück, denn ausgerechnet heute macht der Markt erst um 9 Uhr auf . . . Faule Bande. Es ist nix los. Die Damen ziehen nochmal unauffällig den Kajal nach, Eisblöcke werden verteilt, um die Temperatur in der Markthalle


runter zu kühlen und eigentlich weht der Wind der Tatenlosigkeit durch die ausgestorbenen Marktgassen. So stellen wir uns an, vielmehr sitzen an. Vor einem bunt dekorierten Sushibüdchen, voll automatisiert - versteht sich - ziehen wir eine Nummer und hocken uns auf die Bank, ordentlich in die sitzende Reihenfolge. Wir werden zu einem Tisch geführt, der an einem Sushiband steht, vollständig mit Schaltknöpfen und iPad. Alles auf japanisch, versteht sich. Oberhalb des Sushibandes, so ungefähr verkehrstechnisch ausgeklügelt, wie bei der Brooklyn-Bridge, verlaufen Schienen, auf denen ein Shinkansenmodell, höchst digital gesteuert, die Extrawürste der Kunden liefert. Na ja, vielleicht keine Extrawürste, mehr so Extrasushis. Es war lecker, amüsant und interessant. Stelle mir schon den ganzen Tag vor - wie so ein Ohrwurm, nur halt visuell, wie ein kleiner Eurocity Modellzug, im Deutsche-Bahn-Design, in einer gut bürgerlichen Gaststube in Gelsenkirchen Ückendorf, die Pommes und Frikadellen heranschafft . . . Wetten, lieber Leser, dass da jetzt Bilder im Kopf entstehen!





Der Fischmarkt ist etwas enttäuschend, denn - wie ich bereits gestern formulierte - ist man hier einfach irre zurückhaltend und daher, geht hier alles leise, gesetzt und auch ziemlich langweilig von statten. Außerdem hatte ich Berge von Eis erwartet, in denen sich die exotischen Fischsorten tummeln, riesige Thunfische, Octopus, Gambas, usw. War auch alles da - in Maßen und - alles in Plastik verpackt. Was soll ich sagen? Da hat ja der Fischmarkt in Münster mehr Marktflair, oder in Dorsten. Es ist zwar bunt und es gibt auch vieles, aber so richtig will der Funke nicht überspringen. In einem supermarktähnlichem Geschäft gibt es - ebenfalls frisch abgepackt - Sushi, rohen Lachs und Thunfisch auf Reis, Schrimps und vieles mehr. Aber, so nix mit Tomatenwerferei, oder gar eine zünftige Verleihnix-Fisch-Keilerei. Ok, man ist halt zurückhaltender hier - muss man akzeptieren.




Gut, auf in das Weidenrutenviertel. In Kanazawa liegen die meisten Touristenattraktionen nahe bei einander, sodass wir eben ins Geisha-Viertel rüberlaufen. Das man in Japan in der Vergangenheit diese Viertel mit dem Begriff Weidenrutenviertel umschrieb, liegt natürlich an einer - jetzt ganz vorsichtig - etwas prüden Einstellung zum Thema Entertainment. Daher gibt es in Asien für alles, was vielleicht annähernd eine Sex-Sache sein könnte - eine illustre Bezeichnung oder Umschreibung. Ob man das Viertel nur in Edo so nannte, vermag ich nicht zu sagen, denn ich bin kein ausgewiesener Geisha-Fachmann. Die Umschreibung kommt daher, dass man den hoffnungsvollen Damen eine Biegsamkeit, wie Weidenzweigen nachsagte. Jetzt sollte kurz erwähnt werden, dass es im Geisha-Business um Entertainment und nicht eine schnöde Sex-Sache ging. Also verkürzt formuliert, nicht Sex and Crime daheim, sondern klassisch, Wein, Weib und Gesang, so dass sollte die kulturhistorischen Grenzen klar ausdifferenzieren. Also wackeln wir unter der sengenden Sonne - heute ists heißer und schwüler als gestern, sodass uns die Hitze tatsächlich zu schaffen macht - in das Damenviertel, mit seinen alten Teestuben und Geisha-Häusern. Die Häuser stammen auch noch alle aus der Edo-Zeit, sind vom Stil her aber ganz anders in der Front, als bspw. in Narai-juku. Dunkles oder rotes Holz, mit vielen senkrechten Verlattungen als Sichtschutz gegen - nun ja, gegen as eigentlich? Einmal vor der gleißenden Sonne, so viel ist mal sicher, aber auch so als Marketingtool. Man sollte von außen nur schemenhaft erkennen, was drinnen vor sich ging, aber es sollte gleichermaßen auch Interesse geweckt werden, also so am Inhalt! Geishas waren ja nun hochgezahlte Gesellschafterinnen, die mit Tanz, Konversation und








Teezeremonien die männlichen Gäste, genauer - die zahlenden männlichen Gäste unterhielten. Wie alles in Japan folgte das Procedere einem strikten Protokoll, besser formuliert einer strikten Choreografie. Teebrauen, am Samisen rumzupfen und Singsang, für unsere Ohren eher zahnschmerzverdächtig. Beim Thema Tanz kam auch keiner ins Schwitzen, weil meist nur der Fächer rumgewirbelt wurde und das auf möglichst perfekte Art und Weise - anmutig. Alles musste anmutig sein. Da gab und gibt es keinen Spielraum. Eine lange Ausbildung, Blut, Schmwerz und bittere Konkurrenz, wer denn wohl die größte Hupfdohle des Weidenrutenviertels sei. Und natürlich die Altersfrage. Irre reich geworden ist wohl nur ein verschwindend geringer Prozentsatz. Wir besuchen eines der ältesten Geisha-Häuser des Viertels und auch hier besticht das Haus, die Musikzimmer, Teezimmer, Küche, usw. durch seine klaren architektonischen Prinzipien von Figur-Grundverhältnissen im Hinblick auf Harmonie. Heute gibt es noch 13(!) aktive Geishas in diesem Viertel, vermutlich in ganz Kanazawa. Wir sehen keine, denn um die Mittagszeit ist es so drückend, dass wir uns in ein vollklimatisiertes Cafe verziehen und Cappuccino mit Sesameis bestellen. Da gerade keine Hochsaison ist, haben wir Glück und das Viertel ist recht leer, wer weiß, wie sich hier, in der Hochzeit des Tourismus, die Menschen gegenseitig tottreten.





In der heftigsten Mittagshitze verdrücken wir uns mit unserem Bulli in ein schattiges Plätzchen und dösen bis zur goldenen Stunde, die wir für einen Spaziergang durch das „alte“ Samuraiviertel Kanazawa nutzen. Wie bereits erwähnt, ist in Kanazawa nichts durch den 2. Weltkrieg zu Bruch gegangen, daher ist das Viertel gut erhalten und natürlich aufwendigst renoviert. Im Weidenrutenviertel ist in jedem zweiten Schuppen eine Matcha-Lattebude untergebracht - schreibe ich demnächst mal was drüber - aber im „Samuraiviertel“ wohnen gewöhnliche Leute, ob Samurainachfahre oder nicht. Nun, kleine enge Gassen mit relativ hohen japanischen Mauern führen verwinkelt durch die sehr hübschen Holzhäuser, deren ehemaliger Vollholz-Edo-Charme hier und da moderneren Materialien gewichen ist. Doch man kann ein Samuraihaus - so museumstechnisch - besuchen. Pikanterweise, ist genau dieses Haus nicht aus Kanazawa, sondern aus einem kleinen Dorf, in dem der Mäzen geboren wurde, der das Haus Kanazawa als Museum gestiftet hat. Aha, so so. Doch das Haus ist ganz toll. Außerdem hatten wir wieder Glück, denn wir sind zwischen zwei sehr, sehr lauten italienischen - halbnackten - Reisegruppen durch das wirklich tolle Anwesen







geschlendert. Auf weißen Socken, versteht sich - Anni-sama und Ingo-sama, mit Milchkaffee und weißen Socken morgens auf der polierten Holzveranda und blicken versonnen auf den Miniatur-Garten. Da das goldene Sonnensicht genau in die schlichten Räume strahlt, das Wasser im künstlichen Garten vor sich hin plätschert, können wir dort wirklich etwas Ruhe genießen, bevor die nächsten lauten, halbnackten Italienerinnen über die Tatamimatten herfallen. Angeschlossen an das Haus ist ein kleines Museum, wo man allerlei Samuraidevotionalien finden kann. Schwerter, alte Geldmünzen, Opiumbesteck, Rüstung, Briefe und schriftliche Befehle. Besonders gut hat uns die Danksagung eines Offiziers an die Tapferkeit eines seiner Soldaten gerührt, in dem er sich explizit dafür bedankt, dass er einen wichtigen Feind abgemurkst hat und seinen Kopf vorbeibrachte! s.u.) Fragen über Fragen des Orients - Konbanwa folks!









