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Wash Island . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • vor 5 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Depesche 26 - 12.08.2025 - Von Ichihara nach Chiba




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Lieber Leser, aufgrund eines familiären Schicksalsschlages habe ich für ein paar Tage mit den Depeschen ausgesetzt. Ich bitte die lange Stille zu entschuldigen. Aber nun versuche ich das Gewesene beschreibend nachzuholen . . .


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Der heutige Tag steht leider ganz im Zeichen der Fahrzeugübergabe. Morgen müssen wir unseren treuen Bulli abgeben und natürlich möchten wir den Wagen nicht völlig siffig übergeben. Außerdem ist uns kurz hinter Nara ein Malheur passiert. Vor uns fuhr ein LKW, auf einer engen, sehr zugewachsenen Straße. Besonders von oben hingen relativ starke Zweige tief runter. Nun muss wohl der Lkw einen Zweig abrasiert haben, dessen „Rest“ zurückflitschte und schepperte anschließend, wie aus dem Nichts, auf unsere Frontscheibe und kratzte dann über den Hochbau des Daches. Ein fetter Kratzer im Lack kündet nun von unserem Straßenabenteuer. Leider ist dieser Kratzer jetzt auf keinem unserer Startfotos und Videos, die wir bei der Übernahme gemacht haben. Pech, einfach nur Pech. Aber was solls. Zur Not bezahlen wir das Ganze und fertig. Leider ist der Wagen zu hoch, sodass wir nicht an einer handelsüblichen Tanke in die normale Pkwwaschung machen können. Der Japaner als solcher, pflegt sein Auto liebevoll und häufig, sehr häufig! Die Autos, die wir hier so sehen, sind immer irgendwie geleckt. Schmutzige Autos tauchen gar nicht auf. Erstaunlich. Alles ist poliert und gewienert. Wer sich das nicht so vorstellen dann, dem empfehle ich zur Veranschaulichung „Asterix bei den Schweizern“ . . . Hier hat auch fast jede Tanke eine Waschanlage, bei uns unvorstellbar. Selbst die Müllfahrzeuge werden hier vom Personal jeden Morgen gewaschen und poliert. Wir haben eine kurze Reportage über die Fahrer japanischer Müllfahrzeuge gesehen und dabei war der Satz, „wir waschen und polieren die Fahrzeuge jeden Morgen aus Respekt vor der Gemeinschaft!“ sehr prägnant. Diese Aussage fanden wir ziemlich spannend. Diese gesellschaftliche Maxime scheint immer noch zutiefst in der japanischen Gesellschaft verwurzelt zu sein. Das erstreckt sich auf fast alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens. Manchmal empfinden wir diesen Aspekt des Dienens der Gemeinschaft hier, als ziemlich überzogen, doch vielleicht wäre ein bisschen mehr davon bei uns, auch ganz gut. Also besser formuliert, hier ein bisschen weniger und bei uns ein bisschen mehr Respekt vor der Gemeinschaft. Vielleicht ist das verständlich. Wir sind inzwischen so an die Sauberkeit, das völlige Funktionieren des öffentlichen Lebens und die zurückhaltende, respektvolle Art der Japaner gewöhnt, dass mir jetzt schon vor einem Gang über die Wolbeckerstraße graust.


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So sind wir jetzt bewaffnet mit Lackpolitur und Lappen, die wir gerade in einem riesigen Autoshop erstanden haben - krass übrigens, was die hier alles an Zubehör, Ersatzteilen und „Autokosmetik“ haben. Der Japaner liebt sein Auto, besonders sein sauberes Auto, wenn ich es noch einmal erwähnen darf. Anni hat einen Waschplatz aufgetan, der Wash-Island heißt. Das verheißt Gutes. Kaum sitzen wir im Bulli, halten wir wieder an, denn ein riesiger Supermarkt liegt am Wegesrand und wir haben noch nicht gefrühstückt. Der geneigte Leser erinnert sich, wir haben gestern Abend im Sturm die Brücke der Tokyo Aqua Line überquert und dann am Ufer der Tokyoer Bucht übernachtet. Doch dort gibt es nirgendwo einen Laden, geschweige denn einen Supermarkt. Also, zunächst Autokosmetik, dann Frühstück. Der Supermarkt ist riesig und hat eine wahnsinnige Abteilung nur für frischen Fisch. Schlaraffenland für uns. Wir entscheiden uns für allerlei Sushiarten und eine riesige Palette rohen Lachs. Köstlich. Wenn der geneigte Leser keinen Fisch mag, dann ist Japan vielleicht nicht das richtige Reiseland. Aber, unseren letzten Rechercheergebnissen zur Folge, essen die Japaner seit 2006 mehrheitlich mehr Fleisch als Fisch. Vielleicht ist das nun einfach ein Ergebnis der Überraschung der japanischen Fischgründe, wer weiß das schon? Besonders Rindfleisch gibt es in rauen Mengen zu kaufen. Was uns wiederum sehr erstaunt, denn wir haben auf knapp 2500 Kilometern in Japan unterwegs, einen einzigen Stall gesehen. Weder Kühe, noch Schweine, noch Hühner sind uns im Alltag auf dem Land untergekommen. Nicht mal in Kobe. Reisefelder ohne Ende, Gemüseanbau, Fischereiindustrie, alles gesehen, aber kein einziges Rind, Schwein oder Huhn. Dabei gibts besonders viele Fleischprodukte aus Hühnerfleisch. Was soll ich sagen?


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Wash-Island ist ein Paradies. Einzelne Waschkabinen, mit jeweiligen Laufstegen in 1 Meter Höhe, damit man auch die Dächer der Fahrzeuge eloquent reinigen kann, außerdem einen beschatteten Picknickplatz in Pilzform. Als Anni die Coin-Laundery entdeckt, werde ich gezwungen in meinen Aloha-Schwimmshorts die Fahrzeugwaschung vorzunehmen. So eine japanische Münzwäscherei funktioniert, ebenso der Waschautomat, ausschließlich mit 100 Yenmünzen. So müssen wir erst einmal einen 7/11, Lawson oder Family Mart finden, um Geld zu wechseln. Ist manchmal schon lustig, im Land der digitalen Vollautomatik, funktioniert manches nur, wie eine alte gelbe Posttelefonzelle. Während Anni unsere Wäsche wäscht, wasche ich den Bulli. Im Zuge eines raffinierten Planes zu Steigerung des Profits, ist die Schamponierphase dreimal so lang, wie die anschließende Klarwasserspülphase. Man seift so motiviert die ganze Karre minutenlang ein, so wie sich selbst im Onsen, doch dann hat man nur eine Teetasse voll mit Wasser und die Seife ist nicht mal ansatzweise abgewaschen. Wieder klingeln die 100 Yen-Stücke hohl, durch den gierigen Schlund des Waschautomaten.


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Am Ende ist alles gut. Die Wäsche ist sauber und getrocknet, der Bulli ist innen und aussen sauber und getrocknet und - last but not least - mit der japanischen Politur ist der Kratzer tatsächlich verschwunden. Mit einigen Poliergängen haben wir die obere Front des Bulli so schön hinbekommen, dass dabei sogar Kratzer verschwunden sind, die ich peinlichst genau bei Übernahme dokumentiert habe. Was soll ich sagen? Fragen über Fragen des Orients. Konbanwa folks!


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