Vom Onsenglück und Rentneraufklebern . . .
- Ingo

- 9. Aug.
- 8 Min. Lesezeit
Depesche 22 - 08.08.2025 - Von Nara nach Hamamatsu

Leider bleiben uns für unseren Roadtrip nur noch wenige Tage. Dann geben wir schweren Herzens den Bulli bei Japan Campers wieder ab. Daher müssen wir etwas Strecke machen. Wir fahren von Nara in Richtung Nagoya und halten uns dann weiter an der Südküste bis zur Halbinsel Izu, die sehr malerisch sein soll. Natürlich hat Nagoya auch noch tolle Schreine, Tempel, Paläste, das Legoland Japan und vieles mehr, doch schon jetzt ist für uns klar, dass wir irgendwann wieder herkommen werden.
Diese Überlandfahrten sind anstrengend, nicht wegen der Fahrerei, sondern eher weil man das Gas nicht durchtreten kann. Mein Fuss ist bis zum Knie immer angespannt, weil man bei Tempo 50-60 natürlich niemals Vollgas geben kann. Mal so richtig aufs Gas latschen, wie man im Pott sagt, würden meine Knochen mal so richtig entlasten. Aber ist halt nicht. Ist schon spannend, wie alle in Reih und Glied fahren, niemand drängelt, sich höflich vor- oder einscheren lässt und nur überholt, wenn jemand freiwillig Platz macht. Natürlich gibt es dann auch ein paar Verkehrsraudis, aber meist sind das LKW-Fahrer, die sich richtig gehen lassen und 80 fahren, wo 60 angeschlagen ist. Was soll ich sagen. Die langen Fahrten haben außerdem den Vorteil, dass man über vieles nachdenken kann, was man gesehen hat, nicht verstanden hat oder auch verstanden hat. Dann kommen wir immer ins quatschen, denn meist haben wir die gleichen Empfindungen, seit wir hier unterwegs sind. Oft stellt man sich ja unbewusst selbst die Frage, ob man am jeweiligen Urlaubs- oder Reiseort leben könnte. Also, bei uns ist das so. Wir stellen uns häufig gegenseitig diese Fragen. Auch wenn Sumatra und Indonesien bildschöne, ja nahezu paradiesische Flecken hat, möchte ich nicht dort leben. In Malaysia hingegen, könnte ich mir vorstellen zu leben, zumindest auf Langkawi. So sind wir uns einig - so schön wir es hier reisemäßig auch finden - leben möchten wir innenhalb dieses sehr

komplexen sozialen Skriptes nicht. Es gibt viele Dinge, die sind einfach großartig, vor allen Dingen - nennen wir es vorsichtig - die Bürgernähe. Nehmen wir mal den 7/11-Store (gilt gleichermaßen für Lawson und Family Mart). Dort kann man einfach alles machen: faxen, scannen, kopieren, ausdrucken, Geld abheben, Rechnungen bezahlen, Bilder ausdrucken. Weiterhin gibt es dort Fritteusen, wo auf Bedarf hin frische Waren frittiert werden können. Es gibt Kaffeemaschinen, die 12 verschiedene Kaffees anbieten, vom Latte bis schwarz, mit Zucker und ohne, in verschiedenen Röstungen. Dann gibt es frische Sushiprodukte bis hin zu frischen Nudelgerichten, die man vor Ort erhitzen kann, denn am Eingang stehen meist 1- 2 Mikrowellen. Außerdem Haushaltswaren, bedingte Hygieneartikelpaletten, Instantgerichte, kalte Getränke. Die Bezahlautomaten sind genauso irre, wie alles andere. Man kann mit lokalen Karten bezahlen, mit internationalen Kreditkarten, mit nationalen Bezahlsystemen, wie bspw die Suica-Card, mit der wir auch den ÖNPV bezahlen. Die Multifunktionsautomaten nehmen und zählen gleichermaßen Bargeld und Münzgeld. In den 16.000 japanischen 7/11-Filialen gibt es ein digitales Logistiksystem, dass die täglichen Kaufdaten auswertet und daraufhin die abverkauften Produkt-Nachfüllungen 3 mal am Tag organisiert. Was diese Systeme angeht, leben wir im Mittelalter, aber sowas von Mittelalter. Oftmals gibt es zusätzlich auch noch Toiletten in den Läden. Überhaupt, in etlichen Dörfern gibt es in der Mitte des Dorfes ein Häuschen, vielleicht drei mal so groß, wie eine herkömmliche Telefonzelle, in der eine Fax-, Drucker- und Scanner Kombination steht . . . Hatten wir auch noch nicht gesehen. Rollstuhlfahrerparkplätze sind überall vorhanden und in allen öffentlichen Toiletten gibt es ebenfalls eine Rollstuhlfahrertoilette. Natürlich ist klar, dass mit dieser Automatisierung Japan einfach unfassbar abhängig von einer hohen und überaus konstanten Stromversorgung ist. Alternativen zu Atomstrom kann es hier aufgrund der Bedarfe bisher gar nicht geben. Windkraft sieht man eher selten, was nicht heißt, dass es diese Technik hier nicht gibt, denn wir haben ja nur einen winzig kleinen Teil von Japan gesehen. Solar sehen wir fast überall, besonders in den Großstädten, wo mindestens ein Drittel aller Einfamilienhäuser Solarzellen auf dem Dach haben. Wie gesagt, ist nur ein Eindruck, den wir so im Vorüberfahren gewonnen haben. Kann also lediglich eine Momentaufnahme sein.

Doch das, was man so schön mit sozialem Script bezeichnet ist schon ganz schön schräg, zumindest aus unserer Sicht. Ich möchte das nicht bewerten, denn natürlich sind soziale Skripte immer ein kulturhistorisches Entwicklungsergebniss. Daher auch hier wieder nur ein paar Beobachtungen. In Nara gibt es keinen Michi no eki, sodass wir etwa 30 Kilometer in Richtung Nagoya fahren. Dort gibt es eine Roadstation mit einem Onsen. Nichts besonderes, aber duschen und heißes Bad tun immer gut. Der Japaner geht eher abends in Onsen und da die Anstalten immer erst so spät öffnen, ergab sich für uns nie die Gelegenheit, doch jetzt ist es soweit. Wir gehen baden. Nun haben wir uns vorbereitet, so viel ist mal sicher. Doch es bleiben immer kleine Etiketteunsicherheiten. Ich nehme mir vor, lässig wie Clint Eastwood rein zu schlendern, und mit verkniffenem Samuraigesicht, Einlass zu begehren. Klappt natürlich nicht, denn keine Sau spricht Englisch und den Clint, den scheinen sie auch nicht zu kennen. So verbeuge ich mich höflich und wir werden eingelassen. Die erste Unsicherheit ist, benötige ich ein eigenes Handtuch. Nicht, dass ich keins dabei hätte, aber, wie peinlich wäre es, mit meinem blauen Feinripp-Outdoorhandtuch reimgeschlendert zu kommen - wie Clint - und alle nehmen sich ein dickflauschiges weißes Wellness-Handtuch von einem Stapel. Lächerlich, also fragen. Keiner spricht Englisch. Google-Translator - sie verstehen das Google-Japansich nicht und fragen digital zurück, ob ich vielleicht ein Handtuch kaufen möchte? „Nein!“ „Nein?“ Verwirrung. Zweiter Anlauf - ausführlichere Übersetzungen und am Ende bin ich schlauer, ich brauche mein eigenes Handtuch. Es gibt Onsen, da gibt es Handtücher und eben auch nicht. Weiß man ja als bleichgesichtiges Onsengreenhorn nicht. Nun ja, so begebe ich mich barfuß, Latschen müssen vorne ausgezogen werden, in den Herrentrakt. Damen und Herren getrennt. Bäder sind von den Göttern gegeben, daher soll es keine schnöde Sexsache werden, Geschlechter getrennt, bitte! Aha, so so. Dann wird sich entkleidet, man zieht blank. So sexmäßig ist man in Japan wohl etwas verklemmt, aber im Onsen gilt, blank ziehen. Man ignoriert die Nacktheit. Also

der blanke Hans, schreitet - wie Clint, nur ohne Sechsschüsser - in die heiligen Hallen der Badeanstalt. Mit eigenem Handtuch und dem Onsenhandtuch. Ein Fettnäpfchen, der Badepro nimmt nur das Onsenhandtuch mit rein. Ok, erwischt. Egal, bewege mich wie Clint . . . Es gibt zwei gemauerte Reihen Handduschen, Wasserhähne, kleine Plastiksitzhocker und die B11 von Tupper. Für den geneigten Leser, der nicht weiß, was die B11 ist - das ist die weiße Kunststoffsalatzschüssel. An jedem Wasserhahn - etwas 8 Waschplätze pro Reihe - stehen Duschgel und Shampoo. Also hinhocken auf den kleinen Monoblock und waschen! Die Erfahrungberichte von westlichen Onsenbesuchern widersprechen sich in jeglicher Form der Waschzeremonie und -choreografie. Kurz vor mir ist ein Mann in den Waschsalon und ich beschließe unauffällig, seine wässernde Tanzeinlage zu kopieren. Da wird sich dann eingeseift, mit Wasser übergossen, aufwendigst alle verborgenen Körperöffnungen shampooniert, geschuppt, wieder mit Wasser übergossen, Haare mindestens dreimal gewaschen, dabei halb ausgerissen oder spätere Kahlheit riskierend, wegen vielleicht zu geringer pH-Neutralität des mitgelieferten Haarwaschmittels und was-weiß-ich-nicht-noch-alles. Bei diesem aufwendigen Reinigunszeremoniell kommt jetzt das Onsenhandtuch ins Spiel. Das ist ein gut 100 cm langes und 30 cm breites Handtuch, das als Waschlappen, Rückenschrupper, Schweißabtupfer fungiert, was während der Waschung jedes Mal aufwendigst ausgespült und ausgewrungen wird. Tatsächlich ist dieses Reinigungsritual sehr angenehm und da alle nackig sind, ists auch egal, denn der Japaner als solcher übersieht die Nacktheit an sich. Außerdem wird ohnehin nicht gequatscht, sondern es herrscht gesprächstechnische Totenstille.

Man hört tatsächlich nur die Wasser- und Reinigungsgeräusche. Nach fast 30 Minuten befindet sich mein Waschvorbild in einem Zustand, den er für sauber erachtet und macht sich auf ins heiße Becken. Es sind nur 4 Herren anwesend und um nicht dem Ruf des Schmuddeltouristen gerecht zu werden, seife ich noch 10 Minuten weiter, weshalb meine Haut heute gar keinen pH-Wert mehr hat und ich als ein Stück Sebamed durchgehe. Gott, sind die alle klein. Versuche mich unauffällig dem Becken zu nähern. Zwecklos, bin im Land der Zwerge. Alle sind einen Kopf kleiner und haben nur halb so breite Schultern. Unauffällig gehts schon mal nicht. Dann kommt dazu, dass evolutionär - trotz der Erfindung des Pullovers - mein Haarwuchs an Kinn und Brust dichter ist, als die Haarpracht aller vier einheimischen Besucher zusammen. Alle sind tiefgebräunt und mein einziges Pfund ist meine schneeweiße Wikingerhaut. Ist hier umgekehrt. Je weißer, je göttlicher . . . Wollte ich mal nur erwähnen, für alle braungebrannten Lästermäuler, die nach dem Urlaub wieder spitz anmerken, „hattet ihr keine Sonnen, du bist ja gar nicht braun geworden!“ So lässig wie möglich schlendere ich langsam auf ein Becken meiner Wahl, richtig langsam, um den Jungs die Möglichkeit zu geben, ebenfalls sofort, in angemessenem Tempo, das Becken zu wechseln. Nur nicht das Gesicht verlieren. Tja, genauso kommt es. Bevor ich den Beckenrand erreiche, haben sich alle japanischen Beckenrandschwimmer rausgetrollt und sich fluchtartig in ein anderes Becken getaucht. Da wären wir wieder beim sozialen Script. Und, obwohl ich wirklich viel über genau diesen Vorgang gelesen habe, konnte ich es nicht so richtig glauben. Nichtjapaner im Onsen sind für Japaner ein Graus. Egal, ob ich gleichermaßen sorgfältig die Vorwäsche durchgeführt habe, mich genau an die Etikette gehalten habe, man empfindet den Nichtjapaner - zu mindest steht es häufig in der Japanliteratur - als unrein und möchte nicht im gleichen Becken sitzen. Was soll ich sagen? Vielleicht hätte ich dem Klischee gerecht werden sollen. Hätte mir, mit dem lauten Schlachtruf des Teutonen, „Arschbombencontest“, mittels eines gezielten Satzes in die heißen Fluten einen der begehrten Plätze am Quellauslass sichern sollen. Am besten wäre ich noch voll tätowiert, dass lieben sie besonders. Jetzt ist ja nix schlimmes passiert, außer, dass die Einheimischen geflohen sind, was mir die Möglichkeit lässt in kiewarme Vulkanwasser zu pieseln . . . Warn´ Scherz!!!! Das heiße Wasser ist natürlich der Hammer. Und - ehrlich gesagt, war es mir dann auch egal, dass ich da allein in der heißen Vulkanbrühe hocke, quatscht ja eh keiner mit mir! Das Wasser ist der Hammer. Überhaupt, dass könnte mir daheim gefallen. War selten so entspannt, auch wenn meine Haut wie ein frisch gekochter Hummer daherkommt, was solls. Es ist sehr empfehlenswert und irgendwie ist es auch sehr spaßig, wenn man einfach das - zumindest für uns - befremdliche Verhalten akzeptiert. Während ich also noch so über unseren abendlichen Onsenbesuch nachdenke, stehen wir im Stau. Bei Annika gab gar kein Rahmenprogramm, denn die ersten einheimischen Vulkanschwimmerinnen kamen erst, als Anni schon fertig war.

Vor uns steht ein kleiner Suzuki Hustler, mit einen Aufkleber am Heck, der uns in Japan ziemlich oft begegnet. Ein mehrfarbiger, stilisierter Schmetterling. Interpretiere ich mal so. Das ist der Rentneraufkleber. Aha, so so. Wir sind nun in Japan, dem Lande von Respekt und Harmonie. Bei uns würde jeder das sofort als stigmatisierend empfinden und die Gemüter wären in kürzester Zeit auf Wärmepumpenniveau. Das ist hier anders. Wer sich diesen Aufkleber hinten an die Karosserie dengelt, der wird mit noch höherem Respekt und Vorsicht im Straßenverkehr behandelt. Der- oder Diejenige haben gleich viel mehr Zeit zum Abbiegen, Parkplätze finden, man hält mehr Abstand und verhilft den Fahrern so zu mehr Reaktionszeit, die vielleicht mit zunehmenden Alter abgenommen hat. Niemand ist gezwungen den Aufkleber zu benutzen, doch, wenn ich sehe, wie sehr sich dann das Fahrverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer verändert, finde ich die Idee klasse. Und, nach Aussage unseres Bullivermieters, würde keiner diesen Aufkleber als Stigmata empfinden, nur als Erleichterung und Hilfestellung. Und - here comes the piece of cake - für die Fahranfänger gibt es auch einen Aufkleber. Der ist meist zweifarbig und sieht aus, wie ein kleines aufgeschlagenes Buch. Aufgrund dieses Aufklebers, nimmt man eben wieder Rücksicht auf etwaige Unsicherheiten durch allzu wenig Fahrpraxis, Was soll ich sagen?

Gegen frühen Abend erreichen wir den Pazifik. Auch, wenn Japan sehr schmal ist und mir diese Tatsache natürlich bewusst ist, erscheint es mir trotzdem seltsam vom Ostjapanischen Meer zum Pazifischen Ozean gefahren zu sein. Die Wolken sind abgezogen und es ist herrlich kühl, nur noch 29 Grad, denn nach dem Regen in Osaka und Nara hat es sich doch abgekühlt, sodass wir zwei Nächte in einem halbwegs kühlen Bulli hervorragend geschlafen haben. Es soll Nachts vielleicht in den kommenden Tagen auf 26 Grad runtergehen, was mich innerlich leicht frösteln lässt. Vielleicht brauche ich doch meinen Schlafsack aus dem Rucksack. Knobanwa folks!




