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Sarariman, Matcha und Takoyaki . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 31. Juli
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Aug.


Depesche 14 - 31.07.2025 - Von Echizen nach Uji



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Wir nähern uns dem touristischen Nadelöhr Japans - Kyoto. In den vergangenen Tagen hatte wir immer reichlich Glück - so mit dem Dichteaufkommen von internationalen Touristen. Wirklich Glück. In Kanazawa war tatsächlich international nicht viel los. Die Ostküste runter, weniger als nichts, doch heute sind wir in die Dunstkreise Kyotos gekommen. Wir sind in Uji . . .

Alles beginnt heute morgen mit unserem desaströsen Badevorhaben. Wir haben einen schönen Zeitplan aufgestellt, so ins feinster Teutonenmanier. Wecken, frühstücken, baden, Abflug, Überland gondeln, Kultur, schlafen. Inzwischen sind wir und der Van super eingespielt, außer, dass seit gestern auf dem Armaturenbrett das Motorsymbol aufleuchtet. Da wir 24 Stunden englischsprachigen Roadservice haben - informieren wir die Jungs von Japan Campers, doch die sind der Meinung, dass das nichts gravierendes sein kann. Wir sollen die Lage beobachten und weiterfahren. Aha, so so! Alles rund ums Auto ist in Japan irgendwie seltsam. Wenn ein Unfall passiert, geht es nicht so sehr darum wer schuld ist - anders als bei uns - sondern, wie man die Situation regelt. Meistens teilt man sich die Rechnung, damit keiner sein Gesicht verliert. Was soll ich sagen. Täte so einigen Fasern bei uns mal gut, die gerne unbegründet die Versicherungen prellen. Dennoch hoffe ich mal nicht, dass wir in eine solche Situation geraten. Doch zurück zum Baden. Um Punkt 09 Uhr sind wir bereit uns in die heißen Fluten des Onsen zu stürzen, nur um dann festzustellen, dass die heißen Quellen geruhsam so gegen 11 Uhr öffnen. Verstehe ich, denn wer möchte schon zu früh zu heiß gebadet sein? Fragen über Fragen des Orients!


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Also wird an der Raststation im Multifunktionsraum das volle Programm durchgezogen: Rasur, Haare waschen, halb im Behindertenwaschbecken geduscht, Knabberleiste polieren und kämmen. So sitzen wir um 09:30 Uhr gereinigt im Bulli und gondeln mit 40 km/h die schmale, doch sehr eindrucksvolle Küstenstraße nach Süden. Wie das so ist, wenn man mit dieser fulminanten Geschwindigkeit durchs Land hetzt, ergeben sich viele Gesprächsthemen. Obwohl wir ein super gutes Team sind und häufig auch vieles gleichermaßen wahrnehmen, sieht doch jeder auch immer noch andere Phänomene. Heute morgen beschäftigt uns der Sarariman. Der japanische Begriff "Sarariman" bezeichnet pauschal den „Angestellten“. Beim näheren Hinsehen ist damit „ein Büroangestellter in einem größeren Unternehmen“ gemeint. Da wir der Hitze wegen ja nun ziemlich früh auf den Beinen sind, sehen wir häufig die Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit. Die sehen sehr uniform aus. Im Sommer, weißes Kurzarmhemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe, schwarze Socken und fast immer hängt an ihnen eine dünne schwarze Lederaktentasche. Meist schauen die morgens schon völlig gestresst aus der Wäsche, was wir nicht verwunderlich finden, denn


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schließlich leiden die meisten japanischen Arbeitnehmer unter Stress und Arbeitsüberlastung, was hier sogar einen eigenen Begriff hat - Karoshi. Der „Sarariman“ lebt bedingungslose Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und der Priorisierung der Arbeit über andere Aspekte des Lebens, einschließlich Familie und ggf individuellen Hobbys. Im Detail beschreibt "Sarariman" oft einen Büroangestellten, der nach dem Universitätsabschluss in ein Unternehmen eintritt und seine gesamte Karriere bei dieser Firma verbringt. Wie halt ein Pauker bei uns! Es wird erwartet, dass er lange Arbeitszeiten in Kauf nimmt, auch wenn es keine Überstundenvergütung gibt, und sich aktiv am sozialen Leben des Unternehmens beteiligt. Also, so kollektives Saufen mit dem Chef, Karaoke und auch den Mädelsclub, wenn Chefffe, dass so anordnet. Irgendwie sieht das sehr seltsam aus, wenn morgens an einer Fußgängerampel ein Heer an schwarz-weißen Männchen über die diagonalen Zebrastreifen wanken. Hatte ich, glaube ich zumindest, noch nicht erwähnt. An einer Kreuzung kann es häufiger mal für alle Fahrspuren die rote Ampelphase geben. Dann können die Fußgänger bequem auch den Zebrastreifen benutzen, der diagonal über die Kreuzung führt. Fällt dem Bleichgesicht gar nicht sofort auf, doch aus dem Augenwinkel ist das im Straßenverkehr so seltsam und auch


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„anders“, dass ich immer wieder darüber schmunzeln muss. Der Sarariman! Ich hab gelesen, dass der „Geist“ des Begriffs in der japanischen Kultur eine wichtige Rolle spielt und oft mit Stabilität und sozialem Aufstieg verbunden ist. Für unsere, inzwischen auf totale Individualisierung ausgerichtete Gesellschaftsform, hat er eine deutlich negative Konnotation, da er wohl die vollständige Abhängigkeit von einem Arbeitgeber und den Verlust der eigenen Individualität implizieren kann. Was soll ich sagen, dass lasse ich mal so stehen. Über vieles, was wir hier sehen und erleben, freuen wir uns, reagieren mit Unverständnis oder lehnen es völlig ab. Sehr irrational, weiß ich. Meistens lassen wir es erst einmal sacken, denn früher oder später kommen wir beide in einem Gespräch darauf zurück. Bspw. finden wir es großartig, dass es hier so gut wie keinen Vandalismus gibt. Die öffentlichen Einrichtungen sind derartig sauber und gepflegt, dass mir schon vor der nächsten Autobahntoilette anne A43 graust. Wir sind in Kanazawa durch eine Straßenunterführung gegangen, die derartig gepflegt war, dass mein Wohnzimmer als rummelig durch gegangen wäre . . .

Gegen 02 Uhr erreichen wir Uji und es ist mit 37 Grad ziemlich drückend. Wir sind von der luftigen Meeresbrise wieder in stickelige Inland gekommen. Was Solls, habe eine Ventilatorweste . . . Uji hat natürlich das Problem in unmittelbarer Nähe zum kulturellen Schwergewicht Japans zu liegen - Kyoto - kann aber mit einigen Dingen aufwarten, die man nicht erwarten würde. Da wäre erst mal der Name Nintendo zu nennen, deren Firmensitz aus Uji stammt. Wir waren zwar nicht im Nintendo-Museum, doch ich habs mal nachgelesen: Bis 2023 hat Nintendo ca. 850 Millionen Spielkonsolen verkauft. Für diesen riesen Berg an Spielkonsolen wurden insgesamt bis 2023 dann 5,75 Milliarden Spiele verkauft! Nicht schlecht, so viel ist mal sicher.


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Außerdem ist Uji einer DER Herstellungsorte von Matcha. Aha, so so! "Matcha" bedeutet wörtlich übersetzt "gemahlener Tee". Darunter versteht man einen fein gemahlenen Grüntee, der aus den Blättern der Camellia sinensis (Tencha-Sorte) gewonnen wird. Keine Angst lieber Leser, wiedermal kein Allgemeinwissen - musste ich auch nachlesen. Ich gebe Matcha immer wieder eine Chance, doch meist werde ich enttäuscht. Aber, da wir in Uji sind, ist das mehr eine kulturelle Verpflichtung und so genehmigen wir uns die volle Dröhnung: Matcha-Latte, halbsüß - kann man so bestellen - und jeder eine Eiskreation. Matcha ist ein Konzept, nicht einfach nur grüner Tee - lächerlich! Die Japaner sind tierisch versessen auf das Zeug. Also ich nehm den Seeotter (die Kreation heißt wirklich so!) und Anni das Matcha-Softeis zum Latte. Ich finde wir haben alles gegeben - hat die Sache nicht wirklich besser gemacht, zugegeben, das Eis ist ok, die orale Aufnahme des Latte-Gebräus ist mehr so Selbstkasteiung. Von der heißen, grünlich braunen Flüssigkeit hatte ich jedenfalls den ganzen Nachmittag was. Matcha ist hier bekannt für seine intensive grüne Farbe, seinen milden, leicht süßlichen Geschmack und seine Verwendung in der japanischen Teezeremonie. Daher bekommen die Asiaten in Uji alle einen glasigen Blick. Der hält an, denn in der historischer Altstadt reiht sich Matcha-Bude an Matcha-Bude. Hier und da gibt es ein paar Sake-Shops, doch für die bin ich keine Zielgruppe, außer vielleicht zu dekorativen Zwecken. Nachdem mein Magendrücken halbwegs abgeklungen ist, arbeite ich mich nochmal tiefer in die Materie ein. Was ich wirklich interessant finde ist, dass Matcha traditionell aus speziell angebauten und verarbeiteten Teeblättern hergestellt wird, die vor der Ernte beschattet werden, um den Chlorophyllgehalt zu erhöhen, um so einen milderen Geschmack zu erzielen. Aha, so so! Eigentlich erwähnen die Japaner es nicht so gern, so wegen Tradition, Institution, kulturelles Erbe und so, doch die Matcha-Ursprünge kommen - wie so vieles in Japan - eigentlich aus China. Was soll ich sagen, das Essen mit Stäbchen übrigens auch ...


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 Wo ich gerade bei China bin - heute haben uns dann chinesische Touristen überrannt, als wir auf dem Weg zum Byōdō-in Tempel sind. Der Backs ist nämlich der eigentliche Grund, warum wir in Uji sind. Klaro - ein wunderschöner Tempel - der, gelinde gesagt auch ziemlich alt ist. Das Grundgemäuer ist schon 998 gebaut, wurde jedoch schnöde als Landhaus verwendet, von einem Macker, namens Minamoto no Toru. Na ja, ehrlich gesagt würde ich das auch als Landhaus nutzen. So weit, so gut. 1052 kommt ein anderer Kerl daher, nennen wir ihn mal vorsichtig Fujiwara no Yorimichi und macht aus der Anlage einen buddhistischen Tempel. Das ist ziemlich gelungen, denn die Anlage ist höchst sehenswert. Leider habe ich wohl überlesen, das die Hauptfront nach Osten ausgerichtet ist - sollte eigentlich klar sein, denn alle Buddhafiguren schauen in der Regel nach Osten - weshalb der Fotograf dann die Front gegen die Sonne ablichten musste. Auch mit Gegenlicht ist es toll hier. Geneigter Leser, kommst du nach Kyoto, dann versäume nicht den Byōdō-in Tempel. Dat grüne Zeug, kannste vergessen, den Tempel nicht. Wir verbringen schöne Stunden hier, ich auch sehr entspannt in meiner Ventiweste. 37 Grad bleiben 37 Grad - vor allem bei Windstille! Die Zikaden hier, geben übrigens alles!


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Auf dem Rückweg haben wir bereits die Bestätigung vom Hofe zu Kyoto erhalten, dass man sich geneigt fühlt, uns Samstag im kaiserlichen Palast - ebenfalls zu Kyoto - begrüßen zu dürfen. Puh - Glück gehabt - muss vorher unbedingt noch so Holzpantienen, weiße Zehensöckchen und irgendeinen schwatten Kimono mit buntem Kissen auftun . . . will mir ja so bekleidungsmäßig nix nachsagen lassen, wenn Anni-sama und Ingo-sama mit weißen Söckchen, Milchkaffee . . . 
 Tief in Gedanken an das bevorstehende Ereignis stolpern wir über eine Takoyaki-Bude. Na bitte, endlich mal was, das ohne Einschränkung meinen Geschmack trifft! Takoyaki sind sogenannte Oktopusbällchen, bedeutet wörtlich übersetzt einfach "gegrillter Oktopus" oder "gebratener Oktopus". Der geneigte Leser kann sicher sein, das ist super lecker! Ungefähr 5000 Kalorien pro Bällchen, in den Maßen 3cm x 3cm x 3cm. Takoyaki ist beliebtes japanisches Streetfood, bei der Teigbällchen, gefüllt mit Oktopus und anderen Zutaten, in Gusseisenpfannen gebraten werden. Ich hab gelesen, dass der Name zwar "gegrillt" impliziert, tatsächlich aber werden die Takoyaki in einer Pfanne mit runden Vertiefungen gebraten, um so typisch kugelrund daher zu kommen. Also her mit den Bällchen. Sie sind super heiß, werden mit Bonitoflocken (getrockneter und hauchdünn geschnittener Thunfisch) bestreut und dann noch mit einer herzhaften japanischen Mayo bestrichen . . . Nix wie ran an die Buletten. Konbanwa folks!


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