Kein „Same, same, but diffrent . . .
- Ingo

- 28. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Depesche 11 - 28.07.2025 - Kanazawa

Das Ich im asiatischen Teil meiner Seele kommt mit einigen Dingen des japanischen Alltages nicht so richtig klar. Wo fange ich an. Wenn man sonst so in Asien durch Städte, Märkte oder kulturelle Angelegenheiten stravanzelt, dann gibt es immer eine Vielzahl an Kommunikationsanlässen. Genauer gesagt, der Einheimische sucht die direkte Konfrontation mit dem reisenden Bleichgesicht. Egal worum es geht, direkte Aufnahme von Kontakt. Häufig geschieht das mit einem Blick - bspw. wenn man nicht rechtzeitig dem dargebotenen Warensortiment visuell ausgewichen ist - zack - Kommunikation. Ohne zu zögern. Da gibts keine Zurückhaltung - da wird aus vollen Rohren geschossen, gelächelt, angeboten, beleidigt gekuckt, akzeptiert und verkauft. Geht immer. Und - ich mag das sehr, denn irgendwie sind sie ja so süß dabei und ich „sammle“ förmlich diese Verkaufsgeschichten, -anekdoten und -begründungen. Aber auch sonst - wenn ich nur an Indonesien denke - Selfies, Selfies, Selfies. Kein Entkommen. Thailand - Lächeln geht immer. Aber hier, in Japan, nicht mal ein schnödes „same, same, but different!“ Was soll ich sagen. Wir werden geradezu ignoriert. Und das, obwohl wird die drei vorgeschriebenen Verbeugungswinkel perfekt


beherrschen und auch bei sozialer Interaktion einsetzen können. Doch nichts geht. Wenn wir lächeln wird zurück gelächelt, man ist ultrahöflich, doch ansonsten ignoriert man uns. Fragen über Fragen des Orients. Beim Anstellen - der geneigte Leser erinnert sich - wir stellen uns immer an, hält man Abstand - nicht zur uns, meine auch zu den eigenen soziokulturellen Artgenossen. Im Straßenverkehr, mindestens anderthalb Fahrzeuglängen Abstand zum nächsten Vehikel gelten als normal - ja normal, nicht etwa super höflich. Das sollten wir mal auf der Wolbeckerstraße einführen. Hupen, o Graus, was in Indien zur Vermeidung von Nahtoderfahrungen unumgänglich ist, fällt hier unter gesellschaftliche Ächtung und zu sozialem Aussatz. Ein verkehrstechnischer Paria. Der geneigte Leser wird es kaum glauben, noch vor einem Jahr habe ich mich erfolgreich durch den Verkehr von Millionenstädten, wie Alhallahbad, Jakarta oder Bangkok gemogelt. Hier halte ich Abstand - 1,5 Fahrzeuglängen zum vorausfahrenden Fahrzeug, stoppe bei jeder roten Ampel - in Asien. Verrückte Welt. Anni meint zwar, dass das mir und meinen Vorstellungen von Recht und Ordnung im Verkehr, ziemlich gut tut, doch ich bezweifle, dass ich je wieder mit dem Moped vernünftig durch Delhi oder Phnom Penh komme. Nicht mal „same, same, but different“ gibts hier. Was soll ich sagen. Wir haben ohne irgendeine kulturelle Störung Sightseeing machen können. Einfach so. Ticket gekauft, sogar an diversen Shops vorbeigegangen, keinerlei Kaufzwänge. Wenn ich da nur an die renitente Dame an der großen Pagode von Rangoon denke, die mir sagte, dass wir ohne ein Plastik-AK47 nicht durchs Land kämen. Gut, es ist nicht so, als könnte man hier keine Derringer-Replik als Schlüsselanhänger kaufen. Heute wollte man mir nicht einmal ein Katana andrehen - ich weiß, erstaunlich, denn schließlich sind wir hier in einer ehemaligen Samuraihochburg, so historisch gesehen . . . Fragen über Fragen des Orients . . .


Nachdem wir gestern etwas enttäusch von Kanazawa waren, wurden wir heute vollständig versöhnt. Es ist absolut richtig gewesen herzukommen und lieber Leser, für Deine nächste Japanreise, solltest Du diese Stadt unbedingt auf den Routenplan setzen. Vielleicht lag es an unserem gestrigen ersten Eindruck, den wir von dem traurig daherkommenden Strand mit uns trugen. Doch heute hatten wir einen wunderschönen Tag - nur 34 Grad und schwül. Könnte ja auch schlimmer kommen - 37 Grad und schwül. Wir hatten reisetechnischen Flow, will ich es mal vorsichtig nennen. Wir haben gleich drei Sightseeingspots abgearbeitet - und Spass dabei. Wir haben wieder einmal das Privileg, dass wir ganz entspannt, ohne Gruppendruck alles sehen können, was wir wollen. Wie gesagt, ein Privileg, das ist uns auch sehr bewusst. Wo beginne ich nun. Kanazawa liegt an der Westküste Japans und ist die Hauptstadt der Präfektur Ishikawa. Eigentlich hat es hier nur knapp 500.000 Einwohner auf 500 Quadratkilometern und - im Zentrum hat sie zwei Hügel. Wer jetzt ein leises Lokomotivpfeifen ertönen hört, den muss ich enttäuschen. Auch wenn es hier einen könig-ähnlichen Fürsten gab, war sein Name nicht Alfons, der Viertel vor Zwölfte, so viel ist mal sicher. Aber auf diesen beiden Bergen haben wir uns heute vornehmlich rumgetrieben. Ich lasse jetzt mal die tiefblutige Entwicklungsgeschichte Kanazawa weg, denn es ging immer hin und her zwischen - nennen wir sie der Einfachheit mal Fürst 1 und Fürst 2. Keiner bekam den Hals voll und so gab es die historischen Fratzengeballer, jede Menge Enthauptungen und vielfachen Seppukku, den rituellen Selbstmord. Der hier bestimmt ganz anders hieß, aber Bauch aufschlitzen, bleibt Bauch aufschlitzen. Der Chef, weiß nicht mehr, ob das 1 oder 2 war, hieß aber


irgendwann Maeda Toshiie. Der Jung war ganz pfiffig und hatte schnell raus, das der zukünftige Shogun, Tokugawa Ieyasu, wohl das Machtpokern gewinnen würde. Er schlug sich auf seine Seite und - zack - ganz schnell Kariere gemacht, der gute Maeda. Jawohl, nicht dumm der Gute. Und - die Geschichte gab ihm recht - das Lehen Kaga, wie das Umland von Kanazawa damals hieß - so in der Edo-Zeit . . . Frage: Wann war dass denn wohl nochmal, na - hat der geneigte Leser seine Hausaufgaben gemacht . . . Ich weiß, ich weiß, ein Pauker kann einfach nicht aus seiner Haut. Zettel raus - TEST! Egal, also nach Tokugawas Edo, war das Lehen Kaga, das größte in Zentraljapan. So, nu´ ist genug mit Einleitung - kommen wir zur Insel mit zwei Bergen. Mitten in Kanazawa stehen auf zwei bewaldeten Hügeln zwei fantastische Kulturobjekte. Links die Burg Kanazawa, von der aus der pfiffige Maeda sein Reich führte und gegenüber ist einer der schönsten Landschaftsgärten Japans angelegt - der Kenroku-en Garten. Da sind wir heute hingewackelt. Nachdem wir in den vergangenen Tagen relativ viel im Bulli gehockt haben, sind wir heute hadrcoremäßig gelatscht. Die Burg ist sehr sehenswert, weil vieles sehr gut erhalten ist, nicht nur die Burg, auch viele ältere Teile der Stadt, wie auch das Weidenrutenviertel - na, das Geishaviertel bspw.. Denn irgendwie ist es den Amis im 2. Weltkrieg gelungen, dass keine einzige Bombe auf Kanazawa fiel. Reife Leistung der B52 Bordschützen, möchte ich mal anmerken. So sind etliche Viertel der Stadt unbeschadet durch die Jahrhunderte gekommen. Nicht immer, denn im April 1631 vernichtet ein Feuer einen Großteil der Stadt, einschließlich der Burg. Was soll ich sagen. Bei der japanischen Bauweise aus Holz und Papier - wenn auch gut für Erdbeben - bei Feuer ganz schlecht. Vielleicht liegt es an dieser Begebenheit, dass es hier derartig viele Hydranten gibt, wie ich es noch nie vorher irgendwo sonst gesehen habe. Nach Abzug der Rauchschwaden ordnet der nächste Maeda, Maeda Toshitsune - ach der! - den Bau eines Kanals an, um Wasser vom oberen Sai-Fluss zur Burg zu leiten und so das Problem der Wasserknappheit zu beseitigen. Durch das neue System konnte Wasser von weit flussaufwärts hergeleitet und durch elendig langen Verrohungen bis zur Burg transportiert werden. Sie waren schon ganz schön schlau, die Jungs. Durch den Burggraben mit dem frischen Wasser und rein in eine unterirdische Zisterne. Außerdem fungierte der große See im Kenroku-en-Garten als Notspeicher.



Gut, was wäre eine klasse historische Story ohne eine zünftige Legende. Also, einer Legende nach, hat der See im Kenroku-en einen Stöpsel, der gezogen werden konnte, um den Wasserstand in den Burggräben zu erhöhen. Wir haben extra ein kleines Plastikentchen mitgebracht, um das auszutesten, konnten aber keinen Stöpsel finden, so viel ist mal sicher . . . Aber, wir müssen nochmal über Maeda 1 sprechen, denn Kanazawa hatte nur gut 5000 Einwohner, als der Gute hier aufschlug und anfing sein Häusle zu bauen. Außerdem hatte Maeda 1 wohl einen ziemlich Ästhetikfimmel - war mir gleich sympathisch der Jung. Er holte seine Samurai nach Kanazawa und in deren Windschatten kamen die Handwerker und Kaufleute, die zur Versorgung der Samurai-Bevölkerung benötigt wurde. Schließlich hatte er ja durch seine Allianz mit dem lieben Toki aus Edo jede Menge Knete, um so richtig los zu legen. Er garantierte Kaufleuten und Handwerkern eine staatliche Zulassung und außerdem für ihren Umzug nach Kanazawa wirtschaftliche, soziale und politische Privilegien: Garantierte Geschäftstätigkeit, Steuerbefreiung, verbilligtes Bauland für Geschäfte und Wohnungen. Diese Kaufleute und Handwerker standen bald an der Spitze der sozialen Schicht der Chōnin, der Stadtbewohner. Tja, da Maeda ziemlich versessen auf ein schönes Umfeld war, hat er auch die ganzen Handwerker benötigt um sein Schloss zu bauen. 14 Generationen lang haben die Jungs vom Maeda-Clan hier regiert - ohne einen auf die Mütze zu kriegen. Schon beachtlich, in diesen unruhigen Zeiten, wo es schon genügte, sich vor einem Samurai nicht tief genug verbeugt zu haben und - zack - war die Rüber runter, wie der Westfale so sacht! Neben den gut 15 Kilometer langen Frischwasserversorgung - und Speicherung, wurde zum weiteren Schutz das Burggelände in neun Bereiche aufgeteilt, die durch Erdwälle, Steinmauern und befestigte Tore


voneinander getrennt waren. Alle Gebäude umgaben einen Vorhof, auf dem man gemütlich jeden ungebetenen Gast aus höheren Lagen massakrieren konnte. Durchdacht war es alle mal. Im Gegensatz zum schwarzen Schloss von Matsumoto, sind alle Wände weiß gestrichen und die markanten, weißlichen Dachziegel der Burg bestehen aus Blei. Aha, so so! Das macht nicht nur einen freundlichen Eindruck, hält Feuer durch Brandpfeile ab, sondern konnten in Belagerungszeiten auch eingeschmolzen und zu Kugeln gegossen werden. Wie gesagt - pfiffig die Jungs! Der eigentliche Palast ist nicht mehr erhalten, doch wir konnten uns davon überzeugen, wenn wir in 10 Jahren noch einmal herkommen, dann werden wohl alle Gemächer der Maeda restauriert sein. Eins sollte man noch erwähnen, die Reste der Burg sind mit die größten historischen Gebäude Japans, die komplett aus Holz gebaut sind, ohne die Verwendung von Eisennägeln. Im Museum sind auch Bespiele der aufwendigen und äußerst intelligenten Holzverbindungen zu sehen. Die Anlage ist nicht groß, aber sehr sehenswert. Auch die, auf unbedingte Harmonie ausgelegte, japanische Formalarchitektur ist in seiner Schlichtheit derart bestechend, dass wir richtig begeistert sind. Noch ein kleiner Nachsatz: im unteren Bereich des Schlosses steht ein niedriges, gut klimatisiertes Gebäude, mit einer durchgehenden langen Fensterfront - bestimmt 50 Meter lang. Darin können sich ältere Menschen setzen, denen es zu heiß ist und dabei sitzen den Anblick des Schlosses genießen. Was ein Servicegedanke, oder! Auf jeden Fall wäre Mies van der Rohe neidisch - so viel ist mal sicher.








So, nu bin ich echt müde, draußen ist es dunkel und Bilder muss ich auch noch raussuchen, derer ich heute ungefähr 500 gemacht habe. Daher wird der Absatz zum Garten eher dünn ausfallen. Außerdem kann ich mir die Formalaspekte des japanischen Gartenaus nicht so gut merken, einerseits hab ich einfach keinen grünen Daumen und andererseits ist das echt kompliziert. Was ich so gut behalten habe ist, dass man im Kenroku-en Garten etwa zwanzig verschiedene Pflaumenarten gepflanzt hat, damit man immer Pflaumen ernten kann. Wieder mal pfiffig, was? Außerdem ist das Wappen der Maeda eine stilisierte Pflaumenblüte. Also zum Garten kommt hier die Hauptinformation: Er ist super schön und sollte unbedingt besucht werden. Nicht zuletzt, wegen der ausgeklügelten Facharbeit von Maedas GaLas (Garten- und Landschaftsbauern). Abzüge gabs, weil es nur Reis mit Schweinefleisch oder Chilihuhn mit Reis gab und keinen Pflaumenkuchen. Man kann halt nicht alles haben! Konbanwa folks!






