Die Stadt der Lichter . . .
- Ingo

- 6. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Depesche 19 - 05. 08.2025 - Von Miki nach Osaka

In jungen Jahren war es für mich eine sehr seltsame Erfahrung, wie sich Vegas bei Tag und Nacht unterscheiden. Tagsüber eine grau verstaubte Wüstenstadt, deren Antlitz so verlebt daherkommt, wie ein insolventer Börsenmakler in seinen späteren Jahren. Und des Nachts, glitzert und funkelt es in allen Gassen, was im fahlen Sonnenschein eines überhitzten Tages, eher zwielichtig und schmuddelig daher kommt. Natürlich ist diese Erfahrung gut 30 Jahre alt, doch ich bezweifle, dass sich viel daran geändert hat. Wir stehen auf einer unfassbar bevölkerten Brücke in Dotonbori, dem Herzstück des In-Viertels Namba. Der Tag neigt sich dem Ende und mit der Dunkelheit der Nacht erstrahlen die Lichter der Stadt. Um uns herum tobt eine fröhliche Unbekümmertheit, die sich für uns ziemlich seltsam anmutet . . .





Der Michi no eki in Miki (kein Witz) ist ganz ok, etwas in die Jahre gekommen, doch annehmbar - nach japanischen Maßstäben. Nach unseren ist es eine First Class Raststätte. Jede Raststätte hat hier eine Behindertentoilette, die eigentlich eine geschlechterfreie Multifunktionsräumlichkeit ist. Es gibt Wickeltische, auf denen die Brut festgeschnallt werden, damit keiner vom Tischchen hoppst, Waschbeckern in verschiedenen Höhen, usw.. So begebe ich mich gegen 7 Uhr morgens, etwas verpennt, in diesen Raum. Im Wäschebeutel etliches, was zu reinigen ist. Also, leicht von der heißen Nacht geistig derangiert, öffne ich den Baby-Wickeltisch, um meine ganzen Plünnen abzulegen. Die Waschbecken in diesen Multifunktionstoiletten haben meistens einen dichten Stöpsel. Wäsche rein, Waschpulver, Wasser. Dann lasse ich mich gemütlich auf dem Boiler nieder, überlege kurz, ob ich Beethovens Waterloo Overtüre aus dem Musikprogramm auswählen soll, da geht der Alarm an. Einfach so, ohne das ich irgendeinen Knopf versehentlich gedrückt hätte - ehrlich. Schweißperlen im Genick, spontan! Der Alarm dröhnt durch den Raum. Hektische Rundumblicke, vielleicht liegt irgendwo ein Rollstuhlfahrer in einer Ecke, die ich verpennterweise übersehen hätte. Doch nichts dergleichen. Der Alarm röhrt immer noch. Vielleicht bin ich zu schwer und habe unwissentlich über einen Drucksensor in der Toilettenbrille den örtlichen Rettungswagen alamiert, wer weiß das schon. Zu dem Katastrophenszenario des lauten Alarms, gesellt sich in meinen Kopf noch das Horrorszenario von einem japanischen Rettungswagen eingeladen und abtransportiert zu werden, nur weil auf dem Multifunktions-Bongo der Alarm losgeht. Der Alarm schrillt immer noch. Der geneigte Leser muss wissen, dass die Rettungswagen hier auch dieses Legoformat haben. Da ich schon zu lang für das Bett in unserem Bulli bin, sehe ich so vor meinem geistigen Auge, wie ich mit so einem Microwägelchen Richtung Krankenhaus abtransportiert werde, aus dem hinten meine Beine herausragen - mit halb runtergelassener Buxe und das nur, weil ich nicht rechtzeitig den Not-Aus-Knopf für den Alarm gefunden habe. Was soll ich sagen - inzwischen schweißgebadet . . .






Als wir ein halbe Stunde später Richtung Kobe fahren, müssen wir immer noch schallend über die Begebenheit und auch die geistige Visualisierung herzlich lachen. Der Alarm verstummte dann einfach so - warum? wieso? weshalb? - keine Ahnung. Die Fahrt ist sehr schön, denn die Reisfelder stehen hier kurz vor der Reife und die dazugehörenden Dörfer sind sehr gepflegt. Die Häuser riesig und meist im traditionellen Stil gebaut. Das in Japan alles winzig ist, trifft eigentlich nur auf die Großstädte zu. In den Dörfern leben die Menschen in ziemlich größen Häusern, zumindest größer, als ich es so im Kopf erwartet habe. Leider ist weit und breit kein Kobe-Rind in Sicht, nicht mal ein kleines. Hier ist nur Reis, Reis, Reis. Der geneigte Leser weiß schon, die Rinder, die mit Sake massiert werden und immer Beethovens 9. vorgespielt bekommen . . .









Gegen Mittag erreichen wir die drittgrößte Metropole Japans - Osaka. Eigentlich unkompliozierter, als wir es erwartet haben. Nur wenig Stau und da alle sich sklavisch an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten - ich auch - fließen wir relativ staufrei in das Konglomerat aus Millionen von Menschen. Die Skyline zeichtnet sich hoch und eckig in der stechenden Mittagssonne ab. Die Hochbahntrasse der Skytrain-Linien liegt wie eine große graue Betonschlange über den Straßen und Freeways, die Haltestellen haben dien Charme eines Raumgleiters, der dem Hirn eines Star Wars Setdesigners entsprungen sein könnte. Aber alles geht seinen geordneten Gang. Bin erhlich gesagt, noch nie in einer solchen Millionenmetropole gewesen, deren Verkehr so träge geordnet und übersichtlich dahinfließt - erstaunlich. Wir finden unseren Park & Sleep ohne Problem, auf in die U-Bahn und ins Zentrum. Die Japan-Campers App hat immer eine Übersicht, wo man übernachten kann und wie die sanitäre Situation aussieht. So navigieren wir problemlos durchs Land. Ein tolles System, übrigens. Hotels sind deratig teuer, besonders an den Touristen Hotspots, dass das Wohnmobil eine super gute Alternative ist. Außerdem sehen wir so sehr viel vom "richtigen" Japan, was eben nicht nur aus Kulturhighlights, Shinkansen und Sushi besteht.









In Namba, dem In-Viertel Osakas, trifft uns ein bisschen der Schlag, das müssen wir zugeben. Shoppingmall an Shoppingmall. Es ist super voll, laut und - auch zugegebenerweise - ziemlich unbekümmert. Aber hier regiert der totale Labelkonsum. Nach den vergangenen Wochen in relativer Stille der Berge, Kleinstätte, den Tempeln am Morgen, trifft uns das hier, wie ein Vorschlaghammer. Die Westler und Chinesen gebärden sich im Angsicht der Geschäfte, wie ausgehungerte russische Kommunisten, die 50 Jahre lang nur Verpackungen mit einem roten Stern darauf kannten. Dabei sind es die gleichen internationalen Marken, die es sogar in meiner westfälichen Heimat gibt. Gut, Guccipucci gibts in Münster auch nicht, aber wer unbedingt 480 US$ für ein paar Badelatschen hinblättern will, der wird in Namba fündig und auch glücklich. Der Himmel ist bau, die Gebäude grau und die Werbung laut. Alles in allem ein ziemlicher Farb- und Tonmix. Nicht, dass ich das nicht mögen würde, aber wir werden uns morgen vermutlich einige andere Stadtviertel vornehmen. Mit hereinbrechender Dämmerung suchen wir aus dem exorbitanten Nahmungsangebot einen Laden heraus, der überwiegend von Sarariman besetzt ist und nicht vollmundig Kobe-Rind verspricht. Heir gibt es japanische Alltagsküche. Eng, klein und gemütlich. Und viel Sapporo Bier.














Zum Ausklang schlendern wir entlang des Flusses und die bestaunen das Erwachen der Lichter. Gefühlt sind alle Menschen Osakas auf den Straßen. Aber, erstaunlicherweise, geht alles gepflegt ab. Fröhlich unbekümmert und ohne Randale. Nur die Partygang aus dem Westen, muss beoffenes Mallorcaflair versprühen. Dankenswerterweise, sind sie zusammengepfercht auf einem illuminierten Partyboot, das den Fluss auf und ab gondelt. Wie gesagt alles unter den Lichtern der Stadt. Konbanwa folks.



