Die Lichter der Zukunft . . .
- Ingo

- vor 3 Tagen
- 5 Min. Lesezeit
Depesche 29 - 15.08.2025 - Tokyo

„Das ist unser anderes Gebäude!“ „Wie jetzt?“ „Das ist nicht hier, sondern das Borderless Museum in Roppongi!“ „Nicht wirklich!“ Es ist 12:15 Uhr und unsere Gelassenheit ist wie weg geblasen. Dabei fängt heute morgen alles so geruhsam an. Wir haben doch noch zwei, der unfassbar begehrten Tickets für das Digital Art Museum in Tokyo ergattert - online, vor gut zwei Wochen - sind langsam in den Tag gestartet, haben die Öffis benutzt und sind 1 Stunde vor unserem time slot vor Ort. Das ist in Japan immer ratsam, denn es gibt immer lange Schlangen. Um 12:10 Uhr machen die Mitarbeiter des TeamLab - so heißen die Museen - die Warteschlange für die 12:30 Uhr - 13:00 Uhr Ticketinhaber auf. Wir lassen den Ansturm der digitaldurstigen Meute vorüberziehen und schlendern zurückhaltend zur ersten Ticketkontrolleurin hinüber. Gemächlich, man will nicht schwitzen und sich nicht zu sehr aufdrängen. Mit Respekt und Harmonie, jawohl, schließlich sind wir inzwischen Japanpros´! Lächerlich, sich da so hektisch in die Warteschlange zu drängeln. Die junge Dame, angetan in völligem Schwarz, verbeugt sich, wir verbeugen uns, protokollarisch in japanischer Alltagskorrektheit und sie lächelt helfend, als ihr die verdammten Worte über die Lippen kommen, „das ist unser anderes Gebäude!“.




Hektik, Schweißausbrüche, als wir ganz unharmonisch und unjapanisch zurück zur Busstation rennen. Natürlich in der heißesten Sommersonne zu der die Klimazone Tokyos fähig ist. Wenn man beim online-Ankauf von Tickets immer durch Ankreuzen dieses Feldes „Terms“, sein Einverständnis dokumentiert - unter anderem, dass der Ticketwert verfällt, wenn man nicht pünktlich vor Ort ist - dann denkt man ja nicht weiter darüber nach, dass man auch tatsächlich verspätet sein könnte. Also, wir nicht. Wir sind da ja so teutonisch-spießbürgerliche Pünktlichkeitsfetischisten. Lächerlich, verspätet, wem passiert denn so was! Die haben wohl ihr Zeitmanagement nicht im Griff! Lächerlich! Wir rennen und erwischen den 5-02 zurück zur Ginza. Anni rechnet in Windeseile den Fahrplan in Zeit um und das Ergebnis ist, dass uns am Ende 4 Minuten bleiben, um im „anderen Gebäude“ vorstellig zu werden. Dusselige Kuh am Museum, wirklich, mit ihrem Satz hat sie unsere schöne, harmonische Morgenroutine völlig durcheinandergebracht. Wie unharmonisch, so ganz unjapanisch.








Nun ja, während wir jetzt völlig durchgeschwitzt im unterkühlten 5-02 nach Ginza sitzen, kann man immerhin behaupten, dass wir ein 4 minütige Chance haben, noch pünktlich unseren time slot wahrzunehmen. Außerdem ist Japan das einzige Land auf der Welt, an dem einen der ÖNPV bei Verspätungen in die Hände spielt, denn der ist immer pünktlich. Überpünktlich. Das funktioniert nämlich so, hat uns übrigens ein Japaner verraten, auf jeder Strecke gibt es einfach sehr viele Busse und die zeitliche Organisation von Haltestelle zu Haltestelle ist so üppig bemessen, dass die Busse meist früher kommen, kurz warten und dann exakt zum angegebenen Zeitpunkt losbrummen. Also der 5-02 kommt 42 an der Ginza Station an, die Metro fährt 3 Minuten später nach Roppongi, braucht 11 Minuten und wir haben 4 Minuten für 250 Meter - laut Google. Der Bus erreicht Ginza 2 Minuten früher, sodass wir unmittelbar eine Metro bekommen, die uns 9 Minuten vor 13 Uhr ausspuckt. Jetzt müssen wir in einer Stadt, die kein Englisch spricht, nur noch das Museum finden. Roppongi ist das Botschaftsviertel und die Dichte von Guccipucci, Daimler Benz und Hermés ist höher, als die Quadratmeterpreise. Doch das Museum ist relativ gut ausgeschildert und liegt in der tiefen Konsumschwärze einer Premiumshoppingmall.



Um 12:58 Uhr schreiten wir entspannt, harmonisch und verbeugend auf eine schwarz gewandete Museumsmitarbeiterin zu, zeigen unser digitales Ticket vor, und werden freundlichst, durch einen schwarzen Vorhang eingelassen. Wir stehen mit weichen Knien in einem dunklen Raum, ich möchte mich hinsetzen, den Schweiß abwischen und einen Schnappes runterkippen. Doch dazu bleibt keine Zeit, denn erst einmal kommen die Sicherheitshinweise. In Japan ist alles gefährlich, so viel ist mal sicher. Doch, dazu schreibe ich ein anderes Mal. Wir sind im TeamLab Digital Art Museum in Tokyo, von denen es - wie wir nun wissen - gleich mehrere in Tokyo gibt. Nachdem die Türen geöffnet werden stolpern wir in eine digitale Farbexplosion, deren Intensität alle Sinne sofort belegen . . .


Wie beschreibt man nun ein derart sinnliches Feuerwerk, sodass der Leser einen wahrhaftigen Eindruck bekommt, von den synaptischen Eruptionen, die das Gehirn im Verlauf der nun folgenden knapp 4 Stunden verarbeiten muss? Das TeamLab ist ein Kunstkollektiv, das immersive, digitale Kunsterlebnisse schafft. Das ist es so kurz formuliert. Das Museum präsentiert uns in den folgenden 4 Stunden eine grenzenlose, vernetzte Welt digitaler Kunstinstallationen, die wir ganz in Ruhe erkunden können. Das Spannende an diesem visuellen Konzept ist, dass die einzelnen visuellen Installationen zwischen Räumen wechseln, sich gegenseitig beeinflussen und ein kontinuierliches, vernetztes Erlebnis schaffen. Die Räume sind in bewegte Bilder getaucht, die Raumgrenzen überschreiten und dadurch die digitalen Installationen in den anderen Räumen beeinflussen. An bestimmten Stellen interagieren die Installationen mit den Besuchern. Die Räume sind unterschiedlich groß und die visuellen Erlebnisse höchst unterschiedlich. Im größten Raum, der fast ein Pentagon vom Aufbau her zu sein scheint, sind auf dem Boden fließende Strukturen zu sehen, läuft man über sie hinweg passiert „nichts“, ausser, dass sich die Fließstrukturen weiter bewegen. Bleibt Anni aber stehen, so verändern die Fließstrukturen ihren Dynamik und beginnen ihre Füße zu umfließen und kurz über lang entwickeln sich daraus riesige Blumenranken. Die digitalen Projektionen verändern sich auch je nach Menge und Verhalten der Besucher, wodurch die Visualisierung und die immersive Technik unfassbar einnehmend wird. In einem anderen Raum wird künstlicher Nebel produziert, der für digitale Projektionen als „bewegte Leinwand“ benutzt wird. Hier stehen verschiedene tierische Fabelwesen oder Samuraifiguren „im Nebel“ sprechen lautlos, ja fast geisterhaft. Im Hintergrund läuft unentwegt elektronische „New Age Mucke“, würde ein Kind der 90er es formulieren. Die Musik ist so gut auf die visuellen Impulse abgestimmt, dass wir uns völlig in dieser fließenden, interaktiven Welt verlieren. Entdeckend und erkundend erfahren wir das Zusammenspiel von Licht, Spiegeln und digitalen Projektionen, die so herzerwärmend kreativ sind, dass man sich in seine Kindertage zurück versetzt fühlt.





In mitten des Museums gibt es ein Teehaus, schwarz verkleidet und dunkel in seiner Räumlichkeit. Die bestellten Schalen Grüntee werden vor uns hingestellt, im Dunklen, versteht sich. Kaum ist der Tee eingegossen, erwächst eine digitale Sonnenblume auf der Teeoberfläche und verblüht langsam, sobald man das Glas bewegt. Nimmt man die Schale fort, zum Trinken, wird es dunkel. Stellt man sie ab, beginnt das Wachsen der Sonnenblume erneut. Es ist ein bisschen, wie am Set von „Alice im Wunderland“, aber doch es ist alles andere als kitschig. Im Gegenteil, die

technischen Tricks der digitalen Welt verzaubern, denn sie erschaffen wunderschöne Welten, was bei den grauen Tagen unserer geopolitischen Situation, mehr als entspannend ist. In einem anderen Raum, in dem nur gemalte Figuren in einer Unterwasserwelt umherschwirren, werden wir aufgefordert ein „Wassertier“ zu malen. Dazu bekommen wir eine DIN A4 Seite auf der gestrichelt die Kontur eines Meeresbewohners zu sehen ist. Im angrenzenden Zeichensaal liegt Wachsmalkreide aus und wir verewigen unser Seepferdchen und unsere Meeresschildkröte. Hab natürlich Spass wie Bolle, so viel ist mal sicher! Anschließend wird das Blatt gescannt und als „schwimmend“ animiert in das Computerprogramm des Raumes integriert und nun fortan schwimmen die Schildkröte und das Seepferdchen Hand in Hand in den Sonnenuntergang des digitalen Unterwasserorbits. Der geneigte Leser kann sich sicherlich vorstellen, dass wir uns gefreut haben wie kleine Kinder, als da auf einmal unsere Zeichnungen zum Leben erwachten.



Nach 4 Stunden sind unserer Köpfe voll. Der visuelle Pegel unserer Synapsen signalisiert eine beginnende geistige Überlastung. Wir wackeln danach noch durch Roppongi, doch eigentlich gibt es dort nichts, was uns heute noch aus den visuellen Nachwehen dieses digitalen Feuerwerks reißen könnte. Auch nicht der rotweiße Tokyo-Tower in der frühen Abendstunde. Manchmal reichen eben ein paar Blumenbilder zum Glücklichsein. Konbanwa Folks!




