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Die Burg kostet nur 23,5 Yen . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 5. Aug.
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Aug.

Depesche 18 - 04.08.2025 - Von Kyoto nach Miki



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Da stehen wir nun, lieber Leser, vor dem „weißen Kranich“, oder dem „silbernen Kranich“, so genau weiß das der Übersetzer auch nicht. Ich spreche von der Burg Himeji. Dem ein oder anderen wird sie geläufig sein, aus „James Bond - Man lebt nur zweimal“ oder „Shogun“ oder „Der letzte Samurai“. Aufgrund der Tatsache, dass hier neben ein paar ausländischen Produktionen, jeder Menge inländischer Produktionen entstanden sind, kommt noch hinzu, das diese Burg eines der ältesten erhaltenen Bauwerke aus dem Japan des 17. Jahrhunderts ist. Und majestätisch kommt das Bauwerk daher, keine Frage. Sie ist schon weithin sichtbar, als wir etwas ermattet über die große Brücke nach Himeji hinein fahren . . .


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Kyoto war anstrengend, denn gefühlt haben wir einen Sightseeingmarathon hinter uns, der sich gewaschen hat. Dazu kommt, dass in Kyoto die Luft förmlich stand. Nachts kaum Abkühlung, sehr hohe Luftfeuchtigkeit und ein exorbitantes Kulturprogramm, haben ihr übriges dazu beigetragen. Außerdem haben wir ein ganz bisschen Zeitdruck, denn wir müssen am 13.08. unseren Bulli ja wieder in Tokyo abgeben und bis dahin stehen noch etliche Punkte auf unserer Japanliste - Osaka, Nara, die Halbinsel Izu und - wir müssen auch einen der größten Metropolen der Welt durchqueren. Tokyo und Yokohama sind so nah zusammengewachsen, dass man schon beim Landeanflug dachte, wow, eine einzige durchgehende Stadt. Wir werden sehen oder - was wir sehen, sehen wir und was wir nicht sehen, sehen wir beim nächsten Mal!


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Um 05 Uhr reißt uns der Wecker vom fliegenden Teppich. Wir hatten zwar alles vorbereitet, aber, meist kommt es dann doch irgendwie anders. Wie beim Vermieter angekündigt, verlassen wir um kurz nach 6 unseren Stellplatz und nehmen Kurs auf unseren letzten Touristen-Hotspot in Kyoto - den Fushimi Inari-Taisha Schrein, im gleichnamigen Stadtbezirk Fushimi. Der Schrein sieht eigentlich aus, wie viele Schreine in Kyoto, weiße Fachwerkgefache, zinnoberrotes Gebälk, geschwungene Dachkonstruktionen und viel buddhistische Spiritualästhetik am Rande. Vor dem Tempel ist ein Parkplatz, der kostenfrei ist. Das ist ein Novum, denn in Japan kostet sogar der hinterletzte Parkplatz immer etwas. Das muss ein Versehen in der Stadtverwaltung von Kyoto sein. Doch wir beschweren uns nicht und parken still und heimlich gegen 06:30 Uhr auf dem geweihten Boden der Blechkarossen. Der Schrein interessiert übrigens keinen einzigen Touristen, im Leben nicht. Hierher kommen alle, weil es einen Schreinpfad


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gibt, der über den Berg führt. Auch das wäre nichts Aufregendes, denn in Kyoto hats an jeder Ecke Schreine in allen möglichen Größen, Formen und Farben. Aber hier sind die Wanderpfade von Torii „überstellt“. Torii sind torähnliche Holzgebilde der traditionellen japanischen Architektur und fungieren als reales oder symbolisches Eingangstor zu einem Schrein. Meist sind sie aus Holz oder Stein, machmal auch aus Beton, die häufig zinnoberrot lackiert sind und den Übergang vom Weltlichen hin zum Spirituellen markieren. So viel dazu. Ich hab morgens um die Zeit eh immer einen inneren Übergang vom Realen zum Spirituellen, daher bin ich an solchen Orten immer gut aufgehoben. Doch die Wanderpfade, sind auf Grund der Anzahl, manche sprechen von Tausenden von Torii, fast tunnelartig geworden und entstanden sind nun pittoreske Torii-Alleen, die die Berge rauf und runter führen. Wären wir in China, hätte man die Wanderwege bereits durch Rolltreppen ersetzt. Doch davon ist man hier noch ziemlich weit entfernt, hoffe ich mal. Am Eingang steht ein Schild und mahnt den Besucher, dass der Ort zur Meditation und dem Gebet gewidmet ist und Bittet daher um Ruhe für die Menschen, die sich hier im spirituellen Rahmen aufhalten wollen. Aber, nun hat der Veranstalter, seine Rechnung ohne die chinesischen Massen gemacht und das halbnackte italienische Nudisten Camp. Wir auch nicht. Um Punkt 6:40 Uhr stehen wir am Eingang der Torii-Alleen und müssen uns den Weg schwer


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durch die Influencer-Riege erkämpfen. Es ist noch nicht einmal 07 Uhr und hier tobt schon der Bär, unfassbar. Im Verlaufe der Höhenmeter, entzerrt sich die Meute etwas, sodass wir doch noch einen friedlichen Spaziergang durch die Tore machen können. Die orangen Torii sind in der Regel alle aus Spenden finanziert, von Einzelpersonen, Familien oder auch Unternehmen. Um 07 Uhr kriecht die Sonne über die Bergrücken und einzelne Strahlen werfen helle Lichtflecken auf die lackierten Holzflächen, wodurch ein wirklich schönes Farbspiel entsteht. Wir gehen nicht zum Ende des Weges, auch, wenn dort ein Schrein wartet. Die schnellen Gipfelstürmer sind lange an uns vorbei gezogen, die etwas kalorienbehafteteren Han-Chinesen, kämpfen noch mit Stativ und der 100.000 US$ Fotoausrüstung im eher unteren Bereich der Alleen. So sind wir im mittleren Teil ganz plötzlich ziemlich allein, auch wenn hier und da ein versprengter Reisegruppenteilnehmer umherirrt, doch wir haben die schöne Szenerie für uns - erstaunlich. Als wir wieder im Bulli sitzen - schweißgebadet natürlich, um die 100 Kilometeretappe bis nach Himeji zu fahren, zeigt meine Uhr etwa 08 Uhr an. Anni stellt die Klimaanlage auf Stufe Zermatt und wir rollen langsam vom Parkplatz. Der Zugang zum Tempel erfolgt übrigens quasi aus einem Regionalbahnhof heraus. Aus den finsteren Tiefen des Bahnhofs kriecht, einem Lindwurm gleich, eine schier unüberschaubare Menschenansammlung, bergauf, Richtung Torii-Allee . . . Möchte nicht wissen, was hier so gegen 09:30 Uhr los ist, wenn die Reisenden vom Buffet hierher geeilt sind. Was haben wir wieder mal ein Glück gehabt. Also, lieber Leser, möchtest Du den Fushimi Inari-Taisha Schrein besuchen, 05 Uhr ist eine gute Zeit, um das in Ruhe zu genießen . . .


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Die Fahrt von Kyoto nach Himeji geht durch die Berge. Schmale Straßen kreuzen Bambushaine, bewaldete Berge und winden sich tief unten in den Tälern. Überall wird Reis angebaut und die Dörfer bestehen aus eher traditionellen Häusern, mit vielen kleinen geschwungenen Giebeln und versetzt angefügten Dächern. Hohe Zedernwälder wechseln sich mit massiven Pinien oder ganzen Ahornbewaldungen ab. Dennoch sind wir irgendwie müde. Außerdem ist ziemlich bleierndes Licht, in Kyoto bahnen sich für morgen schwere Gewitter an, die Sonnenstrahlen vermögen kaum durch die graue Wolkendecke zu dringen. Die fahle Sonne sticht dennoch unangenehm und nach fast zwei Stunden - mit Tempo 50 übers Land, versteht sich - halten wir für eine kleine Schlafpause. Ich falle in einen totenähnlichen Schlaf, klar’, denn die Klimsie hat den Bulli ja auch runtergeführt, dass man so wegschlummeln kann. Nach einer halben Stunde ist der Wagen so aufgeheizt, dass ich schweißgebadet wieder aufwache und es geht weiter. So 40 Kilometer über Land können sich ziehen, wenn man in jedem Dorf nur 40 km/h fahren darf und alle 200 Meter eine rote Ampel wartet, Stopschilder und Bahnübergänge. Bei letzteren muss man per se immer anhalten, hatte ich, glaub ich, schon mal erwähnt.


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So erreichen wir Himeji in der brütenden Mittagshitze. Wir suchen uns in Ruhe einen Parkplatz, Ventiweste an, den UV-fähigen Regenschirm nicht vergessen und los zum Eingang. Anni hat seit ein paar Tagen einen UV-fähigen Knirps angeschafft, denn die Sonne ist in Kyoto so aggressiv, dass jedes bisschen Schatten hilft. Der Fotograf hat sich übrigens im Mopedladen so leichte Armstulpen gekauft, die man fix überstreifen kann, vom Handgelenk bis zur Schulter. Der Bergfried ist sehr eindrucksvoll. Auf einer Anhöhe gelegen, von massigen Mauern geschützt, thront die


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weiße Burg mit ihren 5 Etagen hoch oben über den restlichen Wehranlagen. Die ganze Anlage besteht aus 83 einzelnen Gebäuden und gilt als schönstes Beispiel des japanischen Burgenbaus. Sie hat natürlich einen tollen Beinamen, was auch sonst, wir sind ja in Asien. Der geneigte Leser erinnert sich an die Burg von Matsumoto, die man liebevoll die Krähenburg nennt. Die Burg von Himeji hat, als Anspielung auf ihre weißen Außenmauern und Dächer, den Beinamen Shirasagijō, was direkt übersetzt „Weißer-Reiher-Burg“ bedeutet. Aha, so so. Wir haben wieder mal Glück, die Wolken verziehen sich nach und nach, und die Sonne lacht aus vollem Halse und strahlt dabei die weißen Flächen der Burg an. Sie ist wirklich etwas ganz besonderes. Wenn man so auf den Bergfried zuläuft, scheint sich der obere Bereich immer steiler und höher für die Augen des Betrachters zu erheben. Was soll ich sagen. Hab schon


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viel gesehen, aber, das hier ist sehr sehenswert. Es gibt zwei Touren durch die Burg und wir entschließen uns für die lange Tour, denn heute schaffen wir das eh nicht mehr bis nach Osaka, also bummeln wir rum und verweilen. Annika-sama und Ingo-sama mit weißen Zehensocken und Milchkaffee . . . Wir besuchen zuerst den westlichen Teil, wo man, auf Socken natürlich, auch auch die 240 Meter lange Wehranlage schreiten kann. Dort befinden sich die Gemächer der Diener, Hausdamen, Samurai und was-weiß-ich-noch. Dunkles poliertes Holz, hölzerne‚ Schiebefenster und Einbauschränke, sehr sehenswert, denn die Kunsthandfertigkeit der japanischen Schreiner in der Feudalzeit, ist ungeschlagen. Leider sind keine Möbel oder ähnliches erhalten, was schade ist. Dennoch bekommt man einen guten Einblick in das damalige Leben. Durch die Längsbauweise, fegt ein kühler Wind nur so durch die Gänge, doch im Winter pfeift der auch, und dann möchte ich nicht wissen, wieviel Paar Zehensöckchen da so zu tragen sind . . . Trotz ihrer baulichen Schönheit, bspw. der spiralförmige Grundriss, sind ihre Wehranlagen so hoch entwickelt, dass die Burg als praktisch uneinnehmbar galt. Schon Mitte des 14. Jahrhunderts baute man die ersten Gebäude der Anlage.


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Als eigentlicher Baubeginn der Burg von Himeji fand 1580 statt, eigentlich nur eine Erweiterung, als ein wirklicher Neubau. Nach der großen Keilerei von Sekigahara grabschte sich der Tokugawa Ieyasu den Backs. Sekigahara ist sozusagen die Entscheidungskeilerei im japanischen „Bürgerkrieg“, wo es um ein vereinigtes Japan ging. Am Anfang des 17. Jahrhunderts entstand nach einer achtjährigen Bauzeit das fünfstöckige Hauptgebäude. Durch das Innere des Hauptgebäudes latschen wir nun auch, es ist mehr so ein ganz steilen Treppensteigen. Wirklich steil. Leider sind auch hier nur noch die Holzkonstruktionen erhalten, die jedoch sehr sehenswert ist. Wir fragen uns schon die ganze Zeit, wo haben die Jungs diese dicken Stämme her. Denn die Holzarbeiten sind großartig. Natürlich wurde in den vergangenen 50 Jahren ziemlich viel daran rumrenoviert. Aber, die Burg Himeji ist das erste Unesco-Weltkulturerbeobjekt in Japan gewesen. Und das, obwohl die Stadt, vor gut 150 Jahren beschlossen hatte, dass man die Burg nicht mehr benötigen würden und verkaufte sie kurzerhand für 23,5 Yen. Schnäppchen, würd ich mal sagen. Konbanwa folks!


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