Der goldene Tempel von Kyoto . . .
- Ingo

- 1. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Depesche 15 - 01.08.2025 - Von Uji nach Kyoto

Nun mein lieber Leser, sind wir in Kyōto angekommen. Das Nadelöhr des Tourismus. Die Wiege der reisenden Massen, hungrig auf der Jagd nach Exotik und japanischer Wahrhaftigkeit. Wie wir! Wenn man sich mit Kyōto näher beschäftigt, dass weiß man vor lauter Geschichte, gar nicht, wo man anfangen soll. In den dunklen Seitengassen tauchen immer wieder alte Häuser aus der Edo_Zeit auf, geschwungene Dächer mit dunkel polierten Holzfronten künden von tiefer Spiritualität und die hohen Mauern der ehemaligen Samuraistadtviertel flüstern Legenden von Schlachten, Schwertduellen und dem Ehrenkodex des Dienens. Jeder Reisende, der nach Kyōto kommt, sucht etwas. Was, ist vielen vielleicht gar nicht bewusst, doch vermutlich ist keine Stadt in Japan so legendär, wie der jahrhundertelange Sitz des japanischen Kaisers. Kaum ein Kapitel - aber auch in jedem x-beliebigen Reiseführer - ist stets so lang, wie die Auflistung zahlloser Must-sees, kultureller Schwergewichte im historischen und auch sipirituellen Sinne, wie über die Metropole Kyōto. Ich bin auf der Suche nach einem Motorradhelm. Was soll ich sagen, mein Lieblingsmodell - wird in Japan hergestellt - kostet hier tatsächlich nur die Hälfte - leider ist es in meiner Größe in jedem einschlägigen Mopedladen - von Kyōto bis Kanazawa - vergriffen. Samuraihelme in meiner Größe, kein Problem, aber der Arai Tour V in weiß - vergriffen!


Da wir erst um 13 Uhr unseren Stellplatz bekommen, lassen wir uns mit der Anreise ziemlich Zeit, auch zwangsweise, denn der Verkehr in Kyōto ist dicht, fließt zwar, aber dicht, bleibt dicht. Nach dem erfolglosen Ankaufversuch von Motorradhelmen, bleibt uns immer noch reichlich Zeit und so beschließen wir durch die tief eingehauchte Geschichte zu gondeln und als erstes den Kinkaku-ji Tempel zu besichtigen, der dem geneigten Leser vielleicht eher als „Goldener Tempel von Kyōto“ bekannt ist. Für mich ist der Goldene Tempel ein ganz besonderer Ort, denn er verkörpert für mich Japan als solches. Das liegt daran, dass ich schon von frühester Jungend an, Bildbände über Asien verschlungen habe und damit wurde die Abbildung des Kinkaku-ji mein erster visueller Kontakt mit Japan und gleich damit auch zum seinem Inbegriff. Vielleicht versteht der ein oder andere, dass ich heute ein ziemliches Kribbeln im Genick hatte.

Verwirrend ist für den Japanreisenden, dass es immer die verschiedensten Namen für bestimmte Schlüsselorte gibt. Der Kinkaku-ji heißt eigentlich Rokuon-ji, was soviel wie Garten der Rehe übersetzt heißt. Eigentlich irgendwie seltsam, denn hier war weit und breit kein Reh, so viel ist mal sicher. Kinkaku-ji heißt die gesamte Anlage, Rokuon-ji bezeichnet das Bauwerk, welches langläufig als Goldener Tempel bezeichnet wird. Also nur die Reliquienhalle, deren obere Stockwerke vollständig blattübergoldet sind. So, wo fange ich nun an, der Shogun Yoshimitsu, der irgendwann lebte, als alle noch lange graue Bärte trugen, gab eine spirituelle Anlage und auch den Goldenen Tempel in Auftrag, war als Kind kurzzeitig in einem Zen-Kloster. Als Folge dieser Episode wurde er auch in seinem späteren Leben stets von Geistlichen der Zen-Schule beraten. Moralische Unterstützung von Politikern, so so!1394 legte Yoshimitsu, grad mal 37 Jahren alt, das Amt des Shōguns zugunsten seines Sohnes nieder und wurde so frei von offiziellen politischen

Verpflichtungen. Dann hatte er wohl Zeit - mit 37 in Rente, schöne Zustände waren das. Aber, er hatte sich noch ein Hobby gesucht, nämlich die Erbauung seines Alterssitzes. Zwischen all den Prachtbauten, die er so für seinen Alterssitz benötigte, gehörte auch so eine spirituelle Anlage. Na klar, baue mir 2036 auch als erstes eine Kapelle auf den Balkon, was auch sonst. 1397 ließ er dann den sogenannten Kinkaku-ji als sein Denkmal erbauen. Der „Goldene Pavillon“, ist auch mehr ein Pavillon, als ein richtiger Tempel, das musste hier mal gesagt werden. Man traut es sich ja kaum zu sagen, doch der Architekt hat da einen ganz schönen Stilmix hingelegt. Dat Häusken vereint

unterschiedliche japanische Stile und ist gleichzeitig von chinesischen Bauelementen beeinflusst. Was soll ich sagen? So viele Chinesen heute vor Ort, kann kein Zufall sein. Obwohl wir schon etliche viel größere und auch aufwendiger gestaltete Bauten hier in Japan gesehen haben, bin ich aber doch von der klaren, filigranen Bauweise fasziniert. Die beiden vergoldeten Obergeschosse steuern natürlich noch eine gehörige Portion Wertigkeit hin zu, so viel ist mal sicher. Die Dächer sind leicht nach außen geschwungen, im Stil von Pagoden. Niedrige Deckenhöhen und schmale Säulen unterstreichen zusätzlich die Leichtigkeit in der Optik des „Goldenen Pavillons“. Gekrönt ist der Bau

mit einem goldenen Federvieh, dem Fenghuang, was wir wahrscheinlich als Phönix bezeichnen würden. Die Vergoldung führt bei Sonnenlicht natürlich zum Strahlen. Heute ist es mehr so bedeckt und beim Eintritt auf das Gelände, bin ich über das Wetter auch ein ganz bisschen enttäuscht. Doch irgendein guter Geist hat sicherlich meine kindliche Freude und auch kribbelige Nervosität wahrgenommen und beschert uns zwischendurch immer wieder strahlenden Sonnenschein. Und - beginnen die Sonnenstrahlen auf die vergoldeten Bauteile zu scheinen, entfaltet der Kinkaku-ji seinen eigentlichen Reiz. Das Gold beginnt hell das Licht zu reflektieren und der ganze Backs spiegelt sich im davor liegenden Teich. Der funkelnden Aura des Goldenen Pavillons kann man sich nur schwer entziehen. Auch die chinesische Besucher nicht - nicht, dass sie leiser wären, im Gegenteil sie werden dann immer lauter. Aber Freude ist eben Freude!


Umgeben wird das architektonische Kleinod von einer weitläufigen, vor allem mit Bäumen und Sträuchern bepflanzten Grünanlage. Der Kinkaku-ji liegt am Rande eines großen Sees, dem sogenannten Kyōkochi-Teich. Aha, so so! Der Pavillon ist jedoch so dezent eingebettet in diese scheinbar natürliche Umgebung, das er eher ein Teil der Parklandschaft ist und nicht sein wichtigster Teil. Ich habe gelesen, dass dies quasi festgeschriebnes ästhetischen Gesetz für Gärten und Tempelanlagen war, um sich - nach buddhistischer Sicht - möglichst kontrastfrei und fließend in das natürliche Umfeld einfügen und somit eine harmonische Beziehung zwischen Natur und Mensch widerspiegeln. So, das muss man jetzt erst mal sacken lassen. Für mich hat sich jedenfalls ein Jungendtraum erfüllt. Auch wenn es voll war, hat das nicht gestört, denn der Park ist so aufgebaut, dass jeder Reisende seinen Goldenen Pavillon „sehen und finden“ kann. Während ich mir hier so die Bilder anschaue, wird mir wieder einmal mehr bewußt, welches Glück Anni und mich auch auf dieser Reise begleitet. Konbanwa folks!







