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Auto-Segnung im Tempel . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • vor 4 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Depesche 28 - 14.08.2025 - Tokyo


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Was macht man in einer 37 Millionen Metropole, wenn man genau 5 Tage Zeit hat. Diese Frage stellen wir uns insgeheim schon ein paar Tage. Diese Stadt bietet so viel, dass man gut 6 Monate hier verbringen könnte und hätte noch nicht alles gesehen. Außerdem ist August, die heißeste Zeit des Jahres und daher gibt es spezielle Dinge nicht. Wir sind immer wieder angesprochen worden, ob wir denn auch einen Sumo-Ringkampf anschauen werden. Das wollten wir natürlich sehr gern, doch, wie es das Schicksal so will, gibt es im August keine offiziellen Sumo-Wettkämpfe. Aha, so so! Das fällt raus und wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, dass wir eventuell einen Sumo-Wettkampf verpasst haben. So haben wir uns einen Plan gemacht und versuchen nun diesem Plan zu folgen.

Daher geht es heute morgen als erstes nach Shibuya. Shibuya liegt im Osten des Stadtzentrums und ist einer der 23 Stadtbezirke Tokyos. Shibuya ist in den vergangenen Jahren durch social media überaus bekannt geworden. Zum einen liegt das an der berühmten Straßenkreuzung, dem „Shibuya Crossing“ und zum anderen auch durch die beiden Einkaufsstraßen „Center-Gai“ und „Takeshita-dori“, die jedoch im Viertel Harajuku liegt. Aber dazu später. Wir erreichen gegen 11 Uhr morgens den Bahnhof Shibuya. Eine Fußgängerbrücke führt vom Bahnhof über eine der Zubringerstraßen zur Shibuya Crossing. Dort hat man einen sehr guten Überblick über die Kreuzung. Die an der Westseite des Bahnhofs gelegene


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Kreuzung von Bahnhofsstraße und „Center-gai“, ist eine sogenannte „Alle-gehen-Kreuzung“. Irgendwann in den vergangenen Wochen hatte ich ja schon mal kurz etwas zu der Zebrastreifensituation in Japan erzählt. Genau so verhält es sich hier an der Shibuya Crossing. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in den Ampelphasen, haben alle vier Fussgängerampeln gleichzeitig eine Grün-Phase, auch der „diagonale“ Zebrastreifen. Dann gehen - zumindest zur Primetime der Berufstätigen pro Ampelphase bis zu 2.500 Menschen gleichzeitig über die Kreuzung und zwar kreuz und quer. Die Zubringerstraßen sind streng reglementiert, der Verkehr genauestens durch Traversen und Leitplanken kanalisiert - wir sind schließlich in Japan - und Uniformierte regeln penibelst das Verkehrsaufkommen. Heute Morgen ist es eher ruhig - ehrlich gesagt habe ich in Bangkok und Shanghai größere Menschenansammlungen über die Straße gehen sehen und natürlich auch im höheren Maße wesentlich chaotischer. Aber, vielleicht liegt das auch nur an der Tageszeit. Es gibt auch nur wenige Instablogger, die kurz vor dem „grünen Startsignal“ auf die fahrzeugleere Kreuzung stürmen und ein Selfie machen, wenn sich die Menschenmenge im Hintergrund in Bewegung setzt. Die Kreuzung ist von formalistischen Glastürmen umgeben, an denen sporadisch große Bildschirme hängen, über die die globalen Sinfonien des Konsums flimmern.


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Außerdem befindet sich dort, auf der Bahnhofsseite des Übergangs die kleine Hachiko-Statue. Als wir dort vorüber schlendern, hat sich eine lange Schlange an Selfie- und Fotowilligen angesammelt. Dieser Ort ist einer der bekanntesten Treffpunkte in ganz Japan, denn der Hachiko ist der japanische Inbegriff der „Treue“. Dazu muss ich etwas ausholen. Hachiko war ein Hund der Akita-Rasse, den ein Professor der Kaiserlichen Universität Tokyo 1924 als gerade mal einjähriges Haustier, mit in seine Wohnung nach Shibuya nahm. Von diesem Tage an, holte der treue Hund sein Herrchen täglich an der Shibuya Station ab. Professor Ueno verstarb während einer Vorlesung 1925 und der Hund kam dennoch täglich - noch 10 Jahre lang, bis zu seinem eigenen Tod - zur Shibuya Station. Obwohl der Hund inzwischen bei Verwandten von Professor Ueno lebte, riss er immer wieder aus und lief täglich unbeirrt nach Shibuya zum Bahnhof. Letztendlich übernahm der frühere Gärtner Professor Uenos Hachikos Pflege, da er in der Nähe des Bahnhofs wohnte. Zunächst in Bahnhofsnähe nur geduldet, wurde dem treuen Hund später vom Bahnhofsvorsteher eine Ruhemöglichkeit eingerichtet. 1928 erkannte ein früherer Student von Professor Ueno den Hund zufällig wieder, als er eine Forschungsarbeit über Akita-Hunde durchführte. Der Student fand heraus, dass Hachiko einer von nur noch etwa 30 reinrassigen Akita-


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Hunden war und begann so, sich näher für Hachikos Geschichte zu interessieren. Der student verfasste mehrere Zeitungsartikel über den Hund, was 1932 dazu führte, das die Artikel Hachiko in ganz Japan bekannt machten und schon zu Lebzeiten wurde er zum Inbegriff des treuen Hundes. Die Achtung vor Hachiko fand 1934 ihren Höhepunkt, als eine Bronzestatue errichtet wurde - in Anwesenheit des Hundes! Was soll ich sagen? Den Tod des Hundes vermeldeten die Medien tatsächlich landesweit . . . So weit die Fakten! Ich gebe zu, dass das tatsächlich eine sehr rührige und auch herzerwärmende Geschichte ist. Dabei kann ich auch die Metaebene verstehen, auf der sich die emotionale Anteilnahme der Besucher entlädt. Da wir aber schon mal in Chiang Mai, der geneigte Leser erinnert sich - im Japanviertel - auf eine Hachiko-Statue gestoßen sind, ist die Geschichte für uns nicht so neu. Nun, hier tobt der Mob um das kleine Bronzeding und wir stravanzeln weiter die Center-gai runter.


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Shibuya und Harajuku sind Modeland. Sehr beliebtes Modeland - vor allen Dingen bei jungen Leuten, Schülern und Teenagern, Studenten und uns. Vielleicht noch ein Wort zu Harajuku. Dieses Viertel gibt es offiziell nicht auf dem Stadtplan, denn es gehört zum Bezirk Shibuya, doch der Name des Viertels ist synonym für Trends, modetechnische Innovationen und junges Leben jenseits der gesellschaftlichen Starre des Alltags. Harajuku gilt mit seinen vielen Läden und Boutiquen, nebenbei erwähnt, als eines der wichtigsten Modezentren Japans. Die kleinen, gassenähnlichen Einkaufsstraßen sind die wichtigsten Einkaufsmeilen für junge Menschen. Die etwas punktastige Independentmode der Jugendlichen hat sogar einen eigenen Namen, den sogenannten „Harajuku-Kei“. Bei unserem Rundgang stellen wir fest, dass die großen globalen „independent Modelabel“ längst Harajuku für sich entdeckt haben. So finden sich zwischen den Vintage-Boutiquen auch Carharrt, Adidas oder Vans wieder, was das Innovative etwas verwässert, aber dennoch tobt hier das pralle (Jugend-)Leben. Hier kann gefahrlos getragen werden, was im


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restlichen Japan den jungen Menschen gesellschaftlich verwehrt bleibt. Hier wird alles kombiniert, getragen und verändert, Hauptsache es ist individuell. Wie lange das in Anbetracht der schleichenden Unterwanderung von Jugendlabeln noch so bleibt, wird man sehen. Derzeit ist Harajuku ein tolles Shoppingparadies - vor allen Dingen für mich und meinen Geldbeutel, weil es hier nichts, absolut gar nichts in meiner Größe gibt, so viel ist mal sicher. Das ist besonders schmerzlich, weil hier auch eine Firma sitzt, deren Motorradbekleidung mein Herz mit Freude erfüllt, doch sie scheinen nur für Zwerge zu produzieren. Als ich hereinkomme, muss ich schon den Kopf einziehen und neben mir seht ein Biker, der vielleicht die italienische Hosengröße 28 hat. In dat Höschen komme ich nicht mal mit meinem Oberarm rein. Leider, bekomme ich auch eine wunderschöne Bikerjacke nicht mal über die Schultern - in Größe XL - also japanisch XL . . . Aber für den Winter hätten sie eine größere Jackenversion in Planung, wie lange wir denn bleiben würden? . . .


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Von Harajuku aus, stößt man auf die Omotosando-dori. Nun, hier bietet sich das totale Kontrastprogramm. Hier gibt es alles - Hauptsache von exorbitant teuer bis hin zu unerschwinglich. Hier sitzen sie alle, von Boss, über den Hermes Shop bis hin zu Guccipucci. Alle in sehr ausgefallenen Shops und Gebäuden. Die Platzhirsche der monetären Gesellschaftsadelung. Die Dichte an Mercedes Benz, Porsche und Lambrogini nimmt zu und unsere geistige Auslastung im Angesicht von so viel geballter Modeexklusivität, drängt uns zur spirituellen Pause. Wir wandern zum Meji-Schrein hinüber, der nur einen Steinwurf entfernt liegt.


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Der Meiji-Schrein, genannt „Meiji-jingu“, gehört eigentlich auch noch zum Bezirk Shibuya und ist nahe dem Bahnhof Harajuku. Am Park-Eingang verlaufen auch etliche Metrolinien oberirdisch, sodass man immer ein wenig technische Geräuschkulisse hat. Nicht richtig laut, doch hörbar. Der Schrein ist dem 1912 verstorbenen Meji-Tenno gewidmet und seiner Frau, die 1914 verstarb. Begraben ist der Tenno allerdings in Kyoto, der Schrein hier in Shibuya, ist damit „lediglich“ seiner Seele gewidmet und der seiner Gattin. Umgeben wird der Schrein, der als Inbegriff des Shintoschreins gilt, von einem wunderschönen Park und einem Garten, den wir aber im Hinblick auf die späte Tageszeit nicht mehr besuchen können. So richtig schmerzt es nicht, denn ich habe heute schon richtige Plattfüße, so viel sind wir gelaufen. Ich habe gelesen, dass die Bauarbeiten, die 1912 begannen und erst 1920 abgeschlossen wurden, die irre Summe von gut 20 Millionen Yen verschlangen. Teurer Seelenschrein, auch, wenn ein Großteil der Kosten aus Spenden finanziert wurden. 20 Millionen Yen, bleiben 20 Millionen Yen. Am 1. November 1920 wurde der Schrein eingeweiht, weshalb dieser Tag hier im Kalender als Jahrestag des Schreins gilt und gleichermaßen dann hier auch das große Herbstfest ausgerichtet wird. Während wir so durch die schattigen Auen laufen, über kleine


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Brücken und das kreischende Konzert der Zikaden die Stimmen der Menschen verschluckt, kommt mir wieder in den Sinn, dass die Amerikaner 45, noch am 1. April, den Schrein in Schutt und Asche legten. Doch ca. 100.000 Freiwillige meldeten sich, um den Schrein wieder auf zu bauen. Wie wir ja inzwischen gelernt haben, sind die meisten japanischen Shintoschreine gar nicht original, sondern werden turnusgemäß immer wieder abgerissen und erneuert. Der heutige Schrein stammt aus dem Jahr 1958. Die Stimmung hier ist sehr friedlich. Die vielen Menschen, die wie wir, etwas Ruhe vor dem Echo der Großstadt suchen, verlaufen sich in der weitläufigen Anlage. Die flachen Holzgebäude zieren überall das kreisrunde, vergoldete Chrysanthemenemblem des Tenno. Am Schrein selbst, darf nicht gefilmt und fotografiert werden, worauf auch etliche kaiserliche Hofbeamte peinlichst achten. Was schade ist, denn der Schrein ist in seiner hölzernen Schlichtheit unfassbar schön. Allerdings gibt es da so ein paar Dinge, die sind mir irgendwie neu. In einem kleineren Seitenschrein der Anlage ist ein Shintopriester gerade damit beschäftigt, einen Neuwagen zu segnen. Aha, so so! Hier kann man sich das anscheinend leisten. Fragen über Fragen des Orients. Konbanwa folks!


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