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Water ATM´s und italienische Küche . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 5 Min. Lesezeit

Depesche 04 - Shimla - 2018



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Der Monsoon hängt schwer über Shimla. Alles ist feucht, die Bettdecke (Gott sei Dank nur außen), die Handtücher, unsere Wäsche vom Vorabend ist immer noch tropfnass, an den kleinen vergitterten Fenstern läuft das Kondenswasser in Strömen runter. Unser Gepäck ist im Rucksack zusätzlich in kleinen wasserdichten Packbeuteln verstaut, sodass da alles trocken geblieben ist. Im Spiegel sehe ich in ein hohlwangiges Gesicht und denke „überlebt“. Aber der Durchfall hört einfach nicht auf. Wir frühstücken eine Maggitütensuppe, die nicht von Maggi ist, aber so schmeckt. Überall auf der Welt gibt es diese Tütensuppen, alle von unterschiedlichen Herstellern, unterschiedlichen Inhalts, unterschiedlichster Verpackungen - aber alle schmecken gleich.

   Nach diesem wahrhaft nahrhaften Frühstück gehe ich duschen. Was es im Himalaya in den Hotels immer gibt, ist ein großer Vorrat an heißem Wasser. Leider fehlt die Möglichkeit zum thermischen Feintunnig des Wassers. Eigentlich gibt es nur „Verbrennen“ oder „Erfrieren“. Nachdem ich mir das erste Mal am Abend schon die Pelle verglüht habe, versuche ich mit der unendlichen Geduld eines Safeknackers die Mischbastterie zur Herausgabe von warmen, duschbaren Wasser zu zwingen. Dann höre ich Annikas auf dem Sofa schreien.

   Folgendes Szenario: Zwecks Lüftung hatten wir leichtsinnigerweise die Fenster geöffnet, schließlich sind sie vergittert, so dachten wir. Während ich im Hygiene- nahkampf mit der Mischbatterie weilte, hatte Anni auf dem Sofa noch einen Tee getrunken, als auf einmal ein langer, behaarter Arm und der Kopf eines Makkaken (keine Ahnung ob das so richtig geschrieben ist?) durch das Gitter kam, der halbe Affe war sozusagen schon beim Frühstück dabei.... Wir hatten natürlich nicht bedacht, dass es die Viecher nicht nur als riesige Brechmänner gibt, sondern auch kleine Ausführungen. Erfolgreich vertrieben wir das possierliche, wenn auch etwas vorwitzige Pelztier und schlossen hektisch die Fenster. Lautstarkes Pochen an die Scheibe und wütendes Gemecker der Sippe war der Lohn....

   Leider regnete es durchgehend bei totaler Windstille und so beschließen wir, ins Dorf runter zu wackeln. Trotz meines Schwures, nie wieder etwas zu essen, verspüre ich einen leichten Anflug von Hunger und Shimla ist schließlich ein Touristenort, der jede Menge Gastronomie bietet. Berühmt ist bspw. das Indian Coffee House, mit rustikaler Einrichtung und beturbanten Kellnern, bestimmt eine Topadresse, aber zu Kaffee sehe ich mich noch nicht in der Lage. So landen wir im Wave & Bake. In einem kleinen engen Fachwerkhaus, das ohne weiteres auch in Dorset stehen könnte, erklimmen wir über eine windschiefe enge Holztreppe den Gastraum. Hübsch, mit Holz eingerichtet, könnte dieses Café/Restaurant aber in jeder Universitätsstadt dieser Welt beheimatet sein. So sitzt da eine Inderin mit Laptop und arbeitet, junge Inderinnen und Inder essen und lachen und der ganze Laden hat so wenig von Indien, wie man nur meinen kann. Die Karte ist international und wir bestellen Ministrone und Nudeln ohne alles. Die Suppe ist vorzüglich und die Nudeln, die doch geölt waren, geben meinem Magen etwas zu arbeiten. Erstaunlicherweise bleibt es drin und wir verbringen ei- nen recht vergnüglichen Nachmittag im Wave & Bake.


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Inzwischen erstreckt sich Shimla über 5 Berghänge. Bie- nenstockartig sind die unterschiedlich farbigen Häuser an den steilen Hängen des Südhimalaya angeordnet. Die flache Spitze des Bergrückens, auf dem Shimla erbaut wurde, nennt sich „the Ridge“. Auf dem „Ridge“ findet das Sozialleben von Shimla statt. Hier grenzen alle wichtigen städtischen Gebäude, wie Rathaus, Polizeiwache, Feuerwehr, Tourismusbüro, Banken, ATM (Geldautomaten) und... Water ATM´s! Am Water ATM kann man, unter Benutzung der Kreditkarte oder der Bankkarte, seine Wasserflasche mit Mineralwasser auffüllen. Eigentlich eine tolle Einrichtung, um benutzte Flaschen wieder zu verwerten. Und das in diesem Land! Water ATM´s! Shimla wird heute überwiegend von indischen Touristen heimgesucht. Um diese Jahreszeit kann man Bleichgesichter wie uns an einer Hand abzählen. Also alles ist voller Inder, gut, dass hätte ich vielleicht nicht so unbedingt erwähnen müssen. Sämtlich offiziellen Gebäude von Shimla sind im viktorianischen Stil erbaut und es mutet für mich immer noch seltsam an, wenn man mitten im Himalaya ein britisches Fachwerkhaus antrifft, dass so im Süden Englands Gang und Gebe ist. Heute sehen wir von den Bergen nichts, der Regen fällt senkrecht und erinnert sehr an die durchschnittlichen Sommer in Münster. Immerhin ist es angenehme 24 Grad Celsius, vermutlich kühler als gerade in Deutschland. Eigentlich möchte ich im Wave & Bake übernachten, denn die Aussicht wieder zum Dreamland Hotel 150 Höhenmeter rauf zu kraxeln, lächeln mich gerade nicht an. Nach 1 Std. vergeblichen Wartens auf eine Reaktion meines Magens, beschließen wir den Basar zu besuchen. Welch eine Schnapsidee, denn in Shimla sind nicht nur die Häuser am Hang, leider auch alles andere. Der Basar liegt um die Moschee angeordnet, nur dass das in Shimla Auf- und Abstiege bedeutet. Aber ich schlage mich tapfer. Annika hatte die Lebensmittelvergiftung nicht so heftig wie mich erwischt und sieht im Gegensatz zur mir aus, wie das blühende Le- ben. So stiefeln wir runter zum Gemüsemarkt, rauf zum Teppichwesen, tief runter zur Abteilung Bekleidung, hoch hinauf zu den indischen Miederwaren.    


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   Die Abteilung indische Miederwaren ist auf jeden Fall eine Rubrik wert! Also, man stelle sich ein großzügiges Ladenlokal vor, so 2 mal 3 Meter. An den Wänden befinden sich Regale vom Fußboden bis zur Decke, gut 1,90 m hoch. Man nehme jetzt eine durchschnittliche Warenmenge vom gut 70 kg feinster, synthetische Bindemittel ausgasender Liebestöter, Feinrip mit Eingriff, Farbe: alle und lasse sie von Kolka mit einem Lastenfahrrad nach Shimla - 96 km bergauf - transportieren. Nach drei identischen Lieferungen bestückt man sein Warendepot oberhalb der Moschee, indem man alle Waren in Kunststofffolie verpackt wahllos in den Verschlag wirft. Natürlich nicht bevor man in der Mitte einen hölzernen Hocker, den schon die Briten 1902 wegen Materialermüdung steuerlich abgeschrieben haben, fixiert hat. Mit einem gezielten Sprung aus den La- tschen, gelangt der Storemanager nun auf seinen Handelsposten inmitten des wogenen Schlüpfermeeres. Wenn jetzt kaufwillige Kundschaft oder auch kaufunwillige Kundschaft - das ist der indischen Unterwäschehandelsmission eigentlich egal - leichtsinnigerweise Interesse bekundet (dafür genügt auch ein unvorsichtiger Blick in die falsche Richtung), kommt Leben in das Wäscheparadies. In kürzester Zeit werden hier ganze Kollektionen des Grauens präsentiert und im Schritt angehalten, Größe, Farbe  und Modell unwichtig! Dabei materialisiert sich der indische Plintenfachverkäufer derartig schnell neben einem, dass man meinen möchte, es gibt einen Klon von ihm. Man sieht förmlich nicht, wie er seine hölzerne Handelskonzession verlässt und sich durch die Synthetikwogen bewegt. Nun ja, ich habe gelesen, dass noch eine ganze Menge Schamanen im Himalaya ihr Unwesen treiben und im Stillen nehme ich mir vor, beim nächsten tibetanischen Trödler eine Geistermaske zur Abwehr zu erwerben.

   Trotz des gemütlichen Charmes, der zweifelsohne Shimla inne wohnt, beschließen wir am kommenden Morgen abzureisen, da der Wetterbericht 6 Tage Windstille und Dauerregen verheißt. Nächstes Ziel ist Amritsar im Punjab, nahe der pakistanischen Grenze, die Wetter App verheißt angenehme 30 Grad und Sonne. Tickets organisieren wir über das Hotel und verbringen einen fast trockenen Abend im Hotel, da die Wolken Shimla so eingehüllt haben, dass man quasi den Affen nicht vor Augen sehen kann.

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