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Von Reissäcken, Kaffee und Eiern . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 18. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Depesche 20 - Jaisalmer - 2018


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Es ist heiß und Unabhängigkeitstag. Wir sitzen in einem Café hoch oben über der Stadt und hoffen auf ein kühles Lüftchen - aber nur in den höheren Lagen gibt es so etwas wie stetigen Wind. Zumindest flattern die indischen Nationalflaggen, die jeden Wehrturm Jaisalmers zieren, zappelig im Wind hin und her. Aber unten in den Gassen des Bergfrieds steht die Luft, wenn auch trocken, ist es dennoch ziemlich drückend. Der Himmel ist wieder verhangen und hat die Farbe von flüssigem Blei, dass sogar das intensive Gelb des Wüstensandsteins fahl erscheinen lässt.

   Nachdem wir den gestrigen Tag nur rumgefahren sind, beschließen wir, die wenigen Kilometer zum 1. Stadttor des Bergfrieds zu laufen und unsere Muskeln etwas in Bewegung zu bringen. Unser Hotelier findet dieses Unterfangen ziemlich dämlich, denn mal ehr-lich, wer würde bei dieser Affenhitze zu Fuß gehen wollen, ganz bestimmt kein Affe. Wir ignorieren seine Bedenken und latschen in sengender Hitze bis zum Stadttor. Jaisalmer hat mehrer Stadttore, ein ziemlich ausgeklügeltes System mehrerer Mauerringe -zur Verschleierung des eigentlichen Eingangs zum Burgberg sozusagen. Das eigentliche Stadttor - das 2. - ist sehr hoch - klar für den royalen Elli bestimmt - aber auch recht schmal. Ist man durch dieses Tor durch steigt der gepflasterte Weg steil an und nach gut 30 Meters macht er


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eine 180 Kurve um einen Mauervorsprung an dessen oberen Ende Wehrgänge sind. Wer es hier also mit seiner Streitmacht durch das Tor geschafft hatte, sollte besser einen vernünftigen CE-normierten Helm aufgehabt haben, denn von oben kam bestimmt nichts Gutes, es sei denn, man bezeichnet brennendes Öl als einen Segen von Oben. Der Zugangsweg zum Nächsten Tor ist grad mal 5 Meter breit und hier muss alles durch, was in die obere Stadt will! Tuktuks können sich hier grad mal im Schritttempo aneinander vorbei bewegen und der schräge Anstieg ist nicht so ganz einfach zu überwinden. Bergab quietschen die Bremsen der grüngelben Dreiräder bedenklich und bergauf heulen die niedrigmotorisierten Blechhaufen gequält auf. Als wir die erste Kurve zwischen den beiden Toren erreicht haben versucht ,ein 25er Honda Spirit Moped - beladen mit Fahrer und zwei Sack Reis zu je 50 kg (!) und einem jungen Mann oben drauf - vermutlich der Auf- und Ablademitarbeiter - den Anstieg mit seinem bescheidenen Vollgas zu nehmen. Kurz vor der Biegung direkt neben uns verreckt der Motor und das Vorderrad hebt sich und nur unsere spontanen abstützenden Intervention sei Dank verhindert das nach Hinten wegkippen des ganzen Gefährts. Wie der Fahrer geglaubt hat, dass das Gutgehen kann, ist uns schleierhaft. Also schieben sie das ganze Arrangement nach oben - auf die Idee hätte man früher kommen können! Aber - halt keine deutschen Optimierungsgedanken - die Jungs wissen schon, was sie tun! Hinter dem dritten Stadttor eröffnet sich ein großer Platz, der von etlichen hohen


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Sandsteingebäuden eingerahmt ist. Der Maharadschapalast türmt sich hoch über das 3. Stadttor - heute ein Museum - mit Türmchen, Erkern und allerlei verwinkelten Bauteilen, sodass die Dimensionen für den Betrachter nicht gleich deutlich werden. Wir verschieben den musealen Aufstieg auf später und beginnen mit einer Umrundung der oberen Stadt auf den Wehrgängen der Burgmauern. Majestätisch erhebt sich die Anlage in der Ebene und der Blick gen Süden und Westen ist bis zum Horizont unbegrenzt. Ähnlich einem pointillistischen Gemälde von Seurat verschwimmen die gelben Sandflecken mit den grünen Tupfen der Dornbüsche zu einem gelbgrünen Tupfenbild, das am Horizont mit dem bleifarbenen Himmel verschmilzt. Die verlassenen Winkel der Wehrgänge werden von streuenden Hun-den bevölkert, die sich den lästigen Fliegen zum trotz in Nischen vor der Hitze zum Schlafen verzogen haben. Abgesehen von den vierbeinigen Flohfängern sind wir allein auf der Mauer - Touristen gibts in der Regenzeit hier eh nicht und darüber hinaus feiern die Familien den Unabhängigkeitstag unter sich. Wir schlendern von Turm zu Turm und genießen den Blick in die Ferne. Jaisalmer ist eigentlich nur ein Nest - wäre diese spektakuläre Burg nicht, würde sich kein Fremder in diese öde Wüstenei verirren. Die Bebauung im Innern des Mauerrings ist ebenfalls ziemlich alt und es bieten sich ebenso tolle Ausblicke auf die Stadt, wie in die Ferne. Der östlichen Teil der Stadt beherbergt einen ziemlich großen Hindutempel, dessen konische Spitze die meisten Dächer überragt. Die Luft steht still, der Schweiß rinnt förmlich permanent am Körper entlang und zu allem Überfluss ist der Tempel ziemlich überfüllt und voller europäisch anmutender Ellibuchsen. Wir machen einen großen Bogen um den touristischen Stau und schlendern durch die Gassen. Auch hier herrscht eher verhaltene Stimmung, selbst die zahlreichen Ladenlokale, die alle möglichen autentische Jaisalmer Anti- quitäten vertreiben - übrigens produzieren die Jodhpurer -, Jaipurer- und auch die Udaipurer Handwerkszünfte identische Produktpaletten - sind leer und auch die Betreiber lassen uns in Ruhe. Etwas befremdlich ist das schon, ein bisschen will der geneigte Orientreisende schon belästigt werden, sonst kommt man ja um das Vergnügen des indischen Verkaufspokerns. Aber nichts zu machen - in Anbetracht der Unabhängigkeit - sind wir nur noch Spieler zweiter Klasse auf dem Spielfeld ungehemmten Warentransfers.


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   Da wir im Hinblick auf das indische Basargambit keinen würdigen Gegner auftreiben können, beschließen wir in Kultur zu machen - und gehen einfach ins Museum. Am Eingang ist man sich nicht sicher, ob ich ein Ticket für die Kamera brauche - die Ratlosigkeit ist groß und steigerungsfähig. Als der mürrische Sicherheitsfuzzi am Ticketschalter alle drei Kameras entdeckt hat, wird es kompliziert. Verwirrt kratzt er sich am Kopf - wildes Palaver zwischen ihm und dem Kartenverkaufskabuff. Lösung keine - er will alle Geräte sehen und stellt fest, dass zwei der ominösen Elektrogeräte bewegte Bilder einfangen können.Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass Anni sich schon mal einen Platz zum Sitzen sucht, es dauert länger. Natürlich ist es das alte Spiel - wer hat den Längeren - im Kabuff sitzt eine Dame! Dann fällt mir der Grund für die hitzige Geschlechterdebatte ins Auge: Auf den Ticket für die Kamera ist ausdrücklich ein Fotoapparat ausgewiesen! Also kommt hier die indische Regierung um fulminante Einnahmen, 70 Rupien - 1 Euro, da ich ja auch filme. Sie will mich mit zwei Tickets einlassen, er beharrt auf vier Tickets. Als ich mich gerade freiwillig zum Erwerb von zwei Zusätzlichen Kameraticket melden möchte, gewinnt die Stimme der weiblichen Vernunft - und ich brauche gar kein Ticket für die Kameras. Wirklich das ist Exotik pur - ganz wie bei Kipling beschrieben - das Denken des Ostens ist grundverschieden zum Westen.


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   So begeben wir uns in den Palast, um Remineszenzen vergangenen Glanzes und die Mystik von 1001 Nacht zu schnuppern und werden bitterlich enttäuscht. Halb renovierte Räumlichkeiten, mit einer so spährlichen Sammlung, dass man meinen könnte, der Museumskurator hätte sich doch tatsächlich einen ganzen Vormittag Zeit genommen, um die wertvollsten Artefarkte auf dem Basar zusammen zu klauben. Definitiv ist der ganze Backs von außen spannender anzuschauen, als durch die leeren und verwinkelten Räumlichkeiten zu schleichen. Wir sind außerdem nahezu völlig allein in den royalen Gemächern, denen der entsagenden spirituelle Charme einer buddhistischen Karawanserei innewohnt. Neben ein paar begeisterten indischen Fa- milien, die ohnehin nur Familienselfies machen, wozu - zugegebenermaßen - die Räumlichkeiten mehr als genug Platz aufweisen, sind wir die einzigen Kulturbegierigen in diesem Ort der Leere. Fühle mich ungefähr so verlassen, wie ein militanter Fußballhasser, der beim Weltmeisterschaftsendspiel Deutschland - Italien durch die verwaiste Fußgängerzone schlumpft....

  Immerhin hat man auf dem Dach seiner Majestät ei-nen fulminanten Rundumblick über Jaisalmer. Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich auch, warum wir kein Ticket für die Kamera brauchten, geschweige denn drei solcher. Die Leere ist selbst der Ticketverkäuferin so peinlich, dass selbst sie uns nicht zur Kasse bitten wollte - das will schon was heißen im Lande des Touristendollars!


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   Ok - Kultur ging nicht so richtig, das Shoppen war langweilig, die Wolken sind schwer und bleigrau, es ist mehr als vierzig Grad warm und das bei geringem bis gar keinem Wind - bleibt das Syria Cafe´.

   Das Syria Café liegt in einem Gebäude der Stadtmauer und ist von erfahrenen Fernostbloggern DIE angesagteste Kaffeeschmiede des modernen Jaisalmer. Der Trendsetter in uns will nach draußen und so beschließen wir dort hippe Frozen Frappucino Double Cream gegen die Hitze einzunehmen. Das ganze Café ist eine einzige überdimensionierte Elibuchse, in welcher wir alleine hocken. Gegen die Ansammlung von Form und Farbe im Syria Café fallen architektonischen Baukonzepte von Hundertwasser vergleichsweise farblos aus. Nachdem meine ästhetischen Sinne das spontane Wecksa- cken der Knie überwunden haben, sehe ich mich dem Hohn und Spott meiner Reisebegleitung ausgesetzt, deren Blick - wenn auch wortlos - so tiefgründige Sät-ze wie, “Sei doch mal offen für andere Farbansätze” zu formulieren scheint. Die Wahl des Tisches fällt auf ein kleines gemütliches Separe - der 1 m2 große Balkon hoch oben in der Stadtmauer -auf dem wir uns zusammenfalten und der angesagten Kaffeespezialitäten harren. Obwohl wir die einzigen Gäste des zweistöckigen Etablissements sind dauert der Kaffe gut 30 Minuten. Da die Luft noch drückender geworden ist, verweigert mein Organismus jegliche Bewegung, um den Feuchtigkeitsverlust nicht noch zu steigern.


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   Es wird Zeit den Heimweg anzutreten, da uns morgen früh ein Taxi nach Jodhpur zum Flughafen bringen wird, damit wir rechtzeitig nach Delhi kommen für den Heimflug. Beim Abschließenden Gang über den Basar entdecken wir ein Geschäft, dessen Existenz uns bisher verborgen geblieben ist - vermutlich war ich der Fahrt über den Basar kurzfristig abgelenkt. Es ist der “National Egg Center” - jawohl, der ist in Jaisalmer. Wir sind beeindruckt - keine Frage! Aha! Äh, was ist der National Egg Center? Keine Ahnung, und wenn ich wüßte, was es ist, hätte ich von den Dimensionen her - in Anbetracht des doch recht hoch gegriffenen Names - mehr so eine Ladenzeile erwartet. Aber vielleicht denkt das Bleichgesicht ja wieder in zu großen Dimensionen. Schließlich gibt es in meiner Heimatstadt ja auch ein Restaurant - das Rotkelchen - das so in klein aber fein macht - zumindest bei der Portionsgröße ist man da ganz auf der sicheren Seite. Man wird keineswegs mit Magendrücken nach Hause gehen - vielleicht in Anbetracht der Rechnung, die klein aber fein geschrieben riesig ausfällt. Man mus das Pferd - besser das Huhn eher von dieser Seite aufzäumen. Klein, fein, Spitzenware - in Form und Farbe - künstliche Marktknappheit, um das Begehren zu steigern und potente Käufer auf den Plan zu rufen. Ein wahrlich pfiffiges Konzept - bei 1,5 Milliarden Indern lagern 436 Eier in der Auslage des National Egg Centers! Nicht schlecht!  Wenn das marketingtechnisch kein Begehr erzeugt, dann weiß ich es auch nicht!    


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