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Von Sky-Bars und anderen Mysterien . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Depesche 22 - Nach Rangoon - 2016


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So sind wir zurück in Rangoon. In der Metropole. Nach hunderten von Kilometern in glänzenden Bussen, heruntergekommenen Zugabteilen und urigen motorisierten Dreirädern, über Schienen staubige Landstraßen und sandige Piste, sind wir nun zurück in der Metropole des Landes, Rangoon. Rangoon ist Rangoon, natürlich gibt es auch Mandalay und irgendwo auch noch Naypyidaw, aber Rangoon ist eben Rangoon.

   Am Fuße einer bombastisch architektonischen Geschmacksverirrung lassen wir uns breitschlagen und folgen den eindringlichen Anweisungen eines livrierten Männlein-Weiblein-Duos und erklimmen die Sky-Bar. Die asiatische Hommage an den cosmopoliten Fortschritt heißt Glas-Beton-Architektur und Sky-Bars. Austauschbar, langweilig und geradezu nervig hedonistisch kommt die vermeintlich hippe Lokalität daher. Beißende RAP-Beats, grellbunte Neonröhren und viel billiges Chrom-Stahl-Gedöns verströhmen den Charm einer 80-Jahre Revival-Party, deren Besucher aber nicht in den 80ern gelebt haben. Ein DJ rackert sich ab, um die kleine hedonistische Rangooner C-Promiszene in Stimmung zu bringen. Er trägt alle Devotionalien, die man in seinem Gewerbe so haben muss, leider ist das Bemühen um den richtigen Look so vordergründig, dass er nur als billige Kopie rüberkommt. Der geneigte Leser merkt, ich bin nicht in Party-Laune und schon gar nicht in Cocktail-Laune. Natürlich wurden wir nur


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angesprochen, weil noch ein paar Bleichgesichter fehlten, denn trendige Internationalität kommt nur an, wenn auch internationale Besetzung vorhanden ist. Da gibt es die unvermeidlichen gertenschlanken Asiatinnen in ihren hautengen Cocktailkleidern, die ausschließlich gelangweilt auf ihren Smartphones rumdaddeln, den internationalen Sarariman im austauschbaren blauen Anzug mit cognacfarbenen Budaperstern und der wichtigen Laptop-Tasche, europäische Touristen im urbanen Outdoorchick und natürlich junge Burmesen in dunklen Anzügen, die unaufhörlich Cocktails verabreichen wollen, deren Preis höher ist als das Tageseinkommen eines Rangooner Taxifahrers. Ich bin so gar nicht in Stimmung für die Sky-Bar. Mit meiner Cargohose, dem orangenen Halstuch aus Indien und meiner Reportertasche passe ich ungefähr so gut hierher, wie ein Gemüsebauer auf den Wiener Opernball. Ich bin noch nicht wieder bereit für urbanen Hedonismus, versnobten Geldadel und maskenhaft verschminkte Gesichter, deren einziger Sinn und Zweck zu sein scheint, als dekoratives Element zu fungieren. Die jungen Servicekräfte scheinen das instinktiv zu spüren und machen einen großen Bogen um meine scheinbar „schwierige“ Raubtieraura, denn wer würde schon gerne bei den Nachfrage zu einem Getränk über die Brüstung der 27.Etage fliegen. Sie pausieren also respektvoll im Hintergrund und halten sich lieber an Anni, deren sanftes Gemüt eher zielführende Getränkebestellungen verspricht. Immerhin ist der Rundum-Blick über Rangoon schon sehr schön und der milde Wind hier oben löst meine verschwitzten Kleidungsstücke. Wie man hier tatsächlich im blauen Anzug Mai Tais schlürfen kann, geht mir nicht in den Kopf. Interessant ist, dass die Sky Bar auf gleicher Höhe mit der Krone der Shwedagon zu sein scheint. Unser langweiliger Glasturm steht topografisch gesehen, wesentlich tiefer als die große Pagode. Dunkle Wolken kündigen wieder mal einen Monsooschauer an, vor deren Wand die goldene Stupa grell-golden leuchtet. Nach Süden hin kann man den mächtigen Irrawaddy und einen seiner Nebenarme sehen. Von oben betrachtet ist Rangoon eher eine schäbbige Stadt, dessen Divergenz natürlich die Folge europäischer Außenpolitik ist. Die Metropole teilt das Schicksal mit Delhi, Bombay, Kalkutta, Bangkok, Phnom Penh, Hanoi, Saigon, Vientiane, Jakarta ... Irgendwann kamen die Europäer, versuchten ihre Heimatvorstellungen durchzusetzen, vermischten die historischen Gegebenheiten und nach ihrem Abzug ließen sie meist orientierungslose Städte zurück, deren Weg sich bis heute nur mühsam davon lösen kann. Dazu kommt, dass der Fortschrittsglaube moderner westlicher  Gesellschaften an, meist schwachsinnigen, Parametern hängt, die besonders in diesem Teil der Erde gerne aufgenommen werden.


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   Hier in Rangoon sieht man an jeder Ecke architektonische Überreste britischer Kolonialbauten. Die meisten stehen leer und verrotten, andere aber wurden zweckentfremdet und beherrbergen jetzt Familien, oder kleine Ich-AGs. Irgendwie fehlt Rangoon der Charme einer historisch gewachsenen asiatischen Stadt, deren Spannungsfeld zwischen traditionellen Sakralbauten, maroden 50er/60er Betonsünden und einer sich eigencharakterlich entwickelten Baumoderne. Irgendwei fehlen mir hier die kleinen, engen Gassen, die ich so gerne in Hanoi durchstreife. Aber in Myanmar ist gerade alles im Wandel und nach 50 Jahren Militärdiktatur sollten man die ersten selbstständigen Gehversuche unterstützen und nicht gleich die Kritikpeitsche herausholen!. Also etwas milder gestimmt wandern wir an der Brüstung entlang und umrunden so die Stadt von oben. Der Bahnhof mit seinen    

vergrauten Wandflächen liegt, trotz seiner Massigkeit, eher unauffällig im städtischen Kontext. Der lustige Beginn unserer burmesischen Zugerfahrungen kommt mir in den Sinn und unterstützt vom Wind in meinem Gesicht und der Weite des Blicks beschließen wir, dass wir eines Tages wieder kommen und das Land für länger bereisen werden.


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   Mit dem schnellen Einsetzen der Dunkelheit, was typisch für die geografische Äquatornähe ist, versinken die einzelnen Häuser und Stadtviertel Rangoons im diffusen Licht. Die vormals scharfkantig sichtbaren Gebäudesilhouetten einzelner Stadtviertel verschwimmen zu grau melierten Schatten und kurz bevor die Straßenbeleuchtungen aufflammen, gibt es einen kurzen mystischen Übergangsmoment weitestgehender Dunkelheit. Dann erleuchtet das unvermeidliche Meer der Lichter, welches jeder Metropole anheim ist. Dieser Übergang hat immer etwas magisches, ja verheißungsvolles, unterstützt durch die schwere diesige Luftfeuchtigkeit des Monsoons. Es ist wie das zweites Gesicht des griechischen Gottes Janus, dessen Züge plötzlich expressiv zu Tage treten und die ganze Gegensätzlichkeit des Lebens heraufbeschwören. Während in anderen Metropolen das Gesicht der Nacht laut, rebellisch und untermalt von einer unbändigen Lebenslust heraufzieht, verhallt der Tageslärm Rangoons dumpf in den Gassen. Selbst auf den großen Straßen tritt Ruhe ein, der Verkehr lässt nach und das sonst so emsige Leben hier verblasst zu einem ausklingenden Echo. Vielerorts gibt es keine oder nur defekte Straßenbeleuchtung, nur das mattblaue Leuchten montröser Flachbildschirme aus den offenen Wohnungen weist einem digitalen Leuchtfeuer gleich dem Suchenden den Weg in der Nacht. Am Shwedagon und auch an der Sule-Pagode tobt noch Leben, nicht zuletzt auch wegen dem daneben liegenden Rathaus und einer Moschee.


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   Es ist Zeit für das Abendgebet und so quellen aus den anliegenden Gassen Männer und Frauen in langen weißen Gewändern, von hier oben nur unterscheidbar durch Takke oder Hijab, und streben auf die verschiedenen Eingänge der grell erleuchteten, weiß getünchten Moschee zu. Die Sule-Pagode ist ebenfalls in gleißendes weißes Neonlicht getaucht - hatte ich erwähnt, dass das kalt-weiße Neonlicht Asiens Ode an die Beleuchtungsindustrie ist? - und auch hier pilgern noch Scharen von Buddhisten zum Abendgebet. Mir kommt wieder das kleine goldene Schiffchen in den Sinn, welches haufenweise schmierige Kyatscheine gen Himmel transportiert und dabei verheißungsvoll Glück, Gesundheit und Wohlstand suggeriert. Das friedliche Nebeneinander der beiden Religionen scheint, zumindest in dieser kurzen Momentaufnahme, konfliktfrei zu sein. Aus der Rückschau und vor dem Hintergrund des Rohingya-Konflikts, der sich nur ein Jahr später (2017) ereignen sollte, mutet diese nächtliche interreligiöse Szenerie schon beinahe skurril an. Schweigend verharrt unser Blick noch lange über dem nächtlichen Antlitz Rangoons und wie so häufig am Ende meiner Reisen frage ich mich nach dem inneren Nachhall dieses Ortes.


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   Die magische Anziehungskraft des Orients wird in seiner Fremdheit für mich immer ein Teil meines Lebens sein. Ganz einfach durch die völlige Andersartigkeit der hier lebenden Menschen, dem „anderen“ Licht, den Gerüchen, der Temperaturen. Das Durcheinander auf den Straßen, dass Lachen, die bunte Mischung der Menschen, deren Miteinander noch nicht zu durch kalkulliertem kommerziellem Einheitslifestyle verkommen ist. Besonders elektrisierend ist die technisch-digitale Unbekümmertheit mit der hier Jung und Alt in eine neue Zeit aufbrechen, vielleicht auch nur, um die Entbehrungen, Verachtung und Grausamkeiten dunkler Jahrzehnte hinter sich zu lassen. Es ist ein faszinierender Teil der Erde, dessen Menschen in ihrer Ursprünglichkeit und eigenen Traditionen alle äußeren Einflüsse aufnehmen und in die Alltäglichkeit integrieren. Historische Spuren der Briten sind omnipräsent, werden aber nicht negiert, sondern als ein eigener Teil der historischen Entwicklung auf- und angenommen. Erstaunlich, denn andere Völker gehen ganz anders mit diesem Teil ihrer Geschichte um. Die Kenianer beispielsweise versuchten sofort mit ihrer Unabhängigkeit die britischen Spuren zu negieren und zu beseitigen. Nairobi ist daher heute eine moderne Großstadt mit ästhetisch fragwürdigen Betonkomplexen, denen die alten britischen Verwaltungsgebäude weichen mussten. Verständlich, aber der burmesische Weg ist eigentlich ziemlich spannend, weil sich aus kontrastierenden Gegebenheiten immer soziokulturelle Neuerungen ergeben. Das Negieren von Entwicklungen der eigenen Geschichte führt letztlich immer nur zu bewahrendem Stillstand, der leider nur augenscheinlich innere Orientierung bietet.


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   Wie sich Burma entwickeln wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich hoffe nur, dass die neu eröffnete Jagd nach dem Dollar nicht diese charmante Unbekümmertheit der Menschen überlagert, die grandiose Natur nicht durch den touristischen Wahnsinn, der sich normalerweise in den tropischen Paradisen Asiens abspielt, zerstört wird, dass die faszinierenden Relikte versunkener Epochen dem Investorenansturm standhalten wird, und dass die Menschen ihr schier unglaublich offenes Lächeln nicht verlernen. Auf jeden Fall werden wir wiederkommen.


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