Die Stadt fällt ins Wasser . . .
- Ingo
- 10. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Depesche 20 - Pathein - 2016

Früh morgens, bei strahlendem Sonnenschein, steigen wir in einen kleinen Überlandbus, der uns zum bustechnischen Knotenpunkt von Rangoon bringen soll - gemäß Mrs. Grace Beschreibungen auf einem Luftpostbriefumschlag. Der Bus ist leer, bis auf den Fahrer, den blutjungen Ticketverkäufer und uns Bleichgesichtern. In Bagos Stadtzentrum geht es zivilisiert zu, na ja, was man unter asiatischer Verkehrszivilisation so versteht. Hunderte von verschiedenen Kleinbussen gleicher Bauart fließen aus der Blechlawine und halten am Straßenrand, andere starten und fließen wieder zurück in den unaufhörlichen Strom der Fahrzeuge. Doch kaum haben wir die Stadtgrenze von Bago hinter uns gelassen, verändern sich scheinbar die Regeln des Transportgewerbes und die Situation auf holprigen Überlandstraße nach Rangoon erinnert an die A40 Freitags nachmittags.

Aber alles hat System, wie wir später feststellen. Erst einmal gibt der Busfahrer richtig Gummi, ignoriert etliche Reisewillige am Straßenrand und gut 10 km hinter Bago verringert er sein Tempo und der blutjunge, klapperdürre Junge hängt sich förmlich aus dem Fenster und brüllt jedem der so am Rand im Staub der Straße rumlungert, „Yago, Yago,Yago,Yago“ entgegen. Nach wenigen Minuten ist klar, dass der erste Bus des morgens alles vom Straßenbankett klaubt und einläd, was nicht schnell genug auf dem nächsten Mangobaum ist. „Yago“ ist natürlich die Kurzform von „Yangon“ und so ist binnen kürzester Zeit die Bude gerammelt voll. Jedes nur erdenkliche Plätzchen ist dann so eng mit irgend einem Transportgut gefüllt, dass die vormals angenehme Komfortzone des reisenden Bleichgesichts beengter Atmung gewichen ist.


So richtig „Überland“ gibt es zwischen Bago und Rangoon nicht. Die Landstraße ist gesäumt von losen Siedlungen, Reisfeldern, Industrieanlagen und einer schier unendlich großen Kaserne. Letzteres ist natürlich interessant, da im restlichen Land kaum militärische Einrichtungen in Erscheinung treten. Da Rangoon aber als Ultraliberal gilt, ist hier militärische Präsenz eigentlich kaum verwunderlich. Der große Komplex umfasst technische Einheiten, Panzer, Helikopterlandeplätze und natürlich Behausungen, die der einfachen Soldaten und die der hohen Stabsoffiziere. Inmitten der Anlage ist eine riesige Villa zu sehen, was darauf hindeutet, dass das Militär in den vergangenen 50 Jahren gut für sich gesorgt hat. Vermutlich ist das neue demokratische System Burmas unter der Oberfläche fragiler, als es für den Reisenden ersichtlich ist.



Der kleine blaue Luftpostumschlag von Mrs. Grace erweist sich wieder als perfekter Wegbereiter. Keine 5 Minuten nachdem wir den Busbahnhof von Rangoon erreicht haben, sitzen wir bereits in einem Anschlussbus, der uns nach Pathein ins Irrawaddydelta bringt. Kaum haben wir den leichten smogartigen Dunst von Rangoon hinter uns gelassen, reißt der Himmel auf und schönster Sonnenschein begleitet uns durch eine flache, grüne Reislandschaft. Die Straße, es ist die einzige übrigens, die nach Pathein führt, liegt auf einem erhöhten Damm, der von Bewässungskanälen gesäumt wird. Auf den Reisfeldern herrscht emsiges Treiben, mit Wasserbüffeln wird der Boden bearbeitet, Reispflanzen werden von Hand umgesetzt und ganze Felder werden trocken gelegt. Hier und da gibt es eine Kreuzung zweier Straßen, deren rissigen, grauen Asphaltbänder sich in der Ferne des Horizonts zwischen dem Grün des Landes verlieren. Im Kreuzungsbereich gibt es kleine Handelsposten, nach unseren Maßstäben mehr Kioske, die von der Handykarte über Batterien bis hin zu Reischips und abgefülltem Benzin in PET-Flaschen alles im Sortiment haben. Wir überqueren mehrere große Seitenarme des Irrawaddy, der sich hoch angefüllt schlammig durch sein Bett nach Süden zum Golf von Bengalen schiebt. Je näher wir dem großen Fluss kommen, so nimmt das Netz kleiner Kanäle zu, auf denen reger Bootsverkehr zu sehen ist. Für die knapp 200 km von Rangoon nach Pathein brauchen wir gute 4 Stunden. Natürlich gibt es einen Zwischenstopp an einem Restaurant, wo der geneigte Reisende unbedingt essen soll.

Am frühen Nachmittag erreichen wir im Sturzregen Pathein, das direkt am Ufer des westlichen Irrawaddys liegt. Unsere anvisierte Bleibe entpuppt sich als ein recht neumodisch gestyltes chinesisch geführtes Hotel, halbwegs gepflegt mit roten Herzchenkissen auf dem hochglanzlackiertem Bett. Es liegt nur einen Steinwurf vom Pathein River entfernt, wie hier der westliche Seitenarm des Irrawaddy genannt wird. Als wir die betonierte Uferpromenade entlangschlendern, präsentiert sich der Fluß ebenfalls als schlammig-brauner Drache, der seine gewaltigen Massen träge vorantreibt. Überall auf der Wasseroberfläche sind kleine harmlose Strudel zu sehen, was darauf schließen lässt, dass am Grund ausgewaschene Kolke befinden, die eine trügerische Strömung erzeugen. Der Monsoon hat im Stadtzentrum für Überschwemmungen gesorgt. Eine Trennung zum Fluß ist nur noch durch ein paar Geländer zu erahnen, deren obere Querstange aus dem Wasser ragen. Wie alle anderen machen wir also einen Kneipp´schen Wassertretspaziergang und hoffen, dass in der undurchsichtigen Brühe keine unliebsamen tierischen Überraschungen lauern, die ebenfalls die Gelegenheit für einen Ausflug in die City nutzen.


Man kann es einfach nicht schlendern nennen, waten trifft es auch nicht so richtig, denn da der Wasserpegel bis zum Knie reicht, ist es im wahrsten Sinne des Wortes Wassertreten! Das Erstaunlichste ist, dass diese Situation hier nun wirklich niemanden aus der Ruhe bringt. In den tiefen Erinnerungen meines Gehirns erscheinen Bilder meiner gefluteten Heimatstadt im Jahre 2014. Nach heftigsten Regengüssen liefen in manchen Stadtvierteln die Keller voll und auf der ein oder anderen Straße im Innenstadtbereich eröffneten Studenten mit Luftmatratzen die Badesaison und ließen sich über die Hauptstraßen treiben. Im Vergleich zu den hier täglich stattfindenden Überschwemmungen ist das natürlich mehr so eine westfälische Hobbykatastrophe. Der flut- und regenerprobte Burmese nutz die Gelegenheit, badet rasch die neuesten und jüngsten Familienmitglieder, lehrt den Älteren das Schwimmen, fährt mit dem Boot in die Innenstadt oder bleibt einfach in seinem eigenen Fahrradtaxi sitzen, bis der Pegel wieder gefallen ist. Der allabendliche Jahrmarkt an der Uferpromenade wird kurzerhand auf eine erhöhte Betonplattform verlegt und alles geht seinen gleichmütigen Gang. „Problem yok“, wie mein türkischer Basarhä ... Ja, ja - ich weiß, ich wiederhole mich. Aber irgendwie hat dieser unbekümmerte Umgang mit Katastrophen auch etwas naiv-rührseeliges. Da ist beispielsweise eine Garküche, die das Pech hat, an einer tiefergelegenen Stelle der Innenstadt verortet zu sein. Alle Gäste sitzen im Wasser, essen im Wasser die „Küchenzeile“ der Ich-AG steht im Wasser und keiner hat Stress. Bewundernswert ist diese Gelassenheit, wie ich finde. Keiner kämpft innerlich gegen diese Situation an, womit auch keiner Stress damit hat. Wie bläute mir einer meiner Militärausbilder immer so schön ein: „Kämpfe nicht gegen Dinge an, die du nicht ändern kannst! Wenn es regnet, regnet es!“ Aber genau diese Dinge haben wir alle verlernt, denn unser Leben ist dadurch geprägt, dass wir versuchen, alle unabänderlichen Dinge zu beeinflussen und damit zu unseren Gunsten zu verändern. Wie heißt es doch so schön: „Manche Menschen können den Regen spüren und manche werden nur nass!“



Plötzlich steht Anni bis zur Hüfte im Wasser. Der Straßengulli hatte einfach mal eine Vergitterung. Glück im Unglück, keine Schrammen oder Brüche! Bei der braunen Brühe möchte ich nicht über Infektionsrisiken nachdenken oder aber über all die wunderlichen Dingen, die sich im groben Sieb eines burmesischen Straßengullis auffinden, wie kleine, possierlich-schlängelnde Wassertierchen mit scharfen Giftzähnen, und, und, und. Nix passiert und so schlendern wir über den Irrawaddy-Auen-Flohmarkt und bestaunen die Dinge, die das grellbunte Plastik-China für seine Nachbarn so produziert. Vom billigen Seidenschal, über allerlei schreiend farbiges Babygedöns bis hin zu chinesischer Schminke gibt es hier alles. Das Weibsvolk vor Ort ist entzückt, Kleidung wird anprobiert, Babytechnik fachmännisch auf Funktionalität geprüft und Make-up-Proben vorgeführt. Die Sinologentünche gibt es nur mit dem Hellbezugswert 95% - also greller gehts nicht. Aber man ist ja farbenfroh in diesem Land und wer würde sich schon mit gedeckten, zurückhaltenden Farbtönen den Auftritt versauen lassen, lächerlich! Alles was geht, ist die Devise. Da die hoffnungsvollen jungen Damen alle relativ dunkle Haut haben, benötigt man auch eben stärkere Schichtdicken im Auftrag und bei den ganzen willigen Nachwuchsmodels spachtelt die junge Make-up-Vertreterin als gälte es eine Pagode zu vergolden. Natürlich gibt es auch Buden mit leckerer Shanküche und der Vorteil des stationären Essens ist eben, dass wir das bunte Rahmenprogramm offiziell von einem kniehohen Monoblock aus bestaunen können.





Pathein hat eine Shopping Mall. Jawohl, und sie ist größer als der gläserne Konsumtempel in Bago. Dazu hat sie einen Parkplatzwächter?!? Verrückte Welt, ich weiß, wozu sollte ein Volk einen Parkplatzwächter benötigen, wo es doch keinerlei Regelwerk für den Verkehr und Transport gibt? Das ist wirklich lächerlich! Aber es gehört zur neonglänzenden Konsumzivilisation dazu, dass man Parkplätze anbietet und dazu einen graubekittelten Wächter einstellt, ihm eine amtliche Würde in Form einer Armbinde verleiht, was ihm fortan die schiere Macht gibt, Parkplätze zuzuweisen. Interessanterweise parken ausschließlich riesige japanische SUVs vor dem klimatisierten Glasbunker. Ihnen entspringen kleine, dickliche Erfolgsburmesen, die es vermeindlich in der neuen Welt geschafft haben. Tja, sie tragen keine Einheitslatsche mehr, sondern für diese Witterung völlig ungeeignete stylische Lederslipper mit goldenen Schnallen. Mit diesen Devotionalien des monitären Erfolgs wird das Wassertreten natürlich unmöglich und so lässt man sich - im strömenden Regen - vom Parkplatzwächter ein Paar Einheitsgummistiefel reichen, damit man, zwar nassgeregnet, aber trockenen Fußes 2 Meter Wasserlache überbrücken kann. Nun ja, lieber Leser, das erfolgreiche Komfortjäckchen passt halt nicht zur Monsoonzeit ... Wunder über Wunder des Orients!








