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In die heisse Wüstenei . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 17. Juni
  • 12 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Juni

Depesche 18 - Nach Jaisalmer - 2018


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Das nachlassenen Wanken des Waggons und gleißendes Sonnenlicht wecken mich. Durch die schmutzig gelben Vorhänge de Abteils kann ich einen Bahnhof erkennen. Welcher es ist, vermag ich nicht zu sagen, habe ich doch unendlich tief und erholsam geschlafen.

   Das ist mein Schicksal, irgendwie scheint mein Körper in allen Transportmitteln dieser Welt wunderbar abschalten zu können. Vor Jahren bin ich mal mit der alten Ugandabahn von Mombasa nach Nakuro gefahren. Die Spurbreite der Schienen hat dort nur gut 60 cm, was bei der Modernisierung niemanden daran hinderte, moderne Waggongrößen auf dieses Playmobilfahrwerk zu bocken. Das Ergebnis, beireits bei der fulminanten Geschwindigkeit von 60 kmh, die der Höllenexpress hinlegt, schaukelt alles wie ein alter chinesischer Seelenverkäufer im Taifun vor Lantau Island. Nicht umsonst braucht der Zug 17 Std. bis Nairobi und weitere 8 Std. nach Nakuro. Da schaukelte das Dampf-ross so durch die Steppe von Tsavo und bei sternklarer Nacht war sogar der Umriss des Kilimanjaro im Vollmondlicht zu sehen. Trotz dieses faszinierenden Naturschauspiels, machte mich das elende Hin- und Hergewanke so müde, dass ich sanft in den frischbezogenen Betten meines Abteils einschlummerte und ich erst kurz vor Nairobi aus den Träumen erwachte. Ähnlich geht es mir gerade, ausgeruht, tief und fest geschlafen.


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   Gefühlt mitten in der Nacht werden wir zum Bahnhof von Jodhpur gebracht. Um 4 Uhr morgens holt uns ein Tuktuk an Yogis Guest House ab und brettert durch das nächtliche Jodhpur. Man stelle sich freie Straßen vor, gesäumt von schlafenden Hunden, kreuz und quer geparkten Fahrzeugen aller Art, stapelweise gelagerten Müllsäcken und allerlei undefinierbarer Gegenstände, die wahllos umherstehen oder -liegen. Zusammengenommen ergibt das einen kleinen aber feinen Slalomparcour. Faktisch ist kein Unterschied zur Tagzeit, man ersetze im Geiste einfach alles was so rumliegt durch rumstehende Hunde, Fahrzeuge, Müllsäcke und undefinierbare Gegenstände. Die Lücken fülle man einfach mit sich ruckartig bewegenden Tuktuks, die ununterbrochen hupen. Der geneigt Leser sollte jetzt nicht leichtsinnigerweise annehmen, dass der Nachtzeit und eher anmutenden Straßenleere jetzt nicht gehupt würde. Oh nein! Der Tuktukfahrer nimmt alles mit, vor allen Dingen Schlaglöcher. Er scheint noch zu schlafen, denn irgendwie ist sein Daumen am Hupknopf festgewachsen, trötet sie doch ununterbrochen.


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   Nun evolutionär kann das zweierlei bedeuten: erstens im Hindi existiert der Begriff Daumen für die rechte Hand nicht und die deutsche Übersetzung bedeutet einfach „Hupfinger“. Zweitens könntes es bedeuten, dass der Daumen durch die ununterbrochene Dauerbenutzung einfach festgewachsen ist. Wissenschaftlich gesehen, scheint zweitens eher wahrscheinlich, denn dadurch erklärt sich, warum die meisten Tuktukfahrer im Tuktuk schlafen. Wunder über Wunder des Orients. Auf zum Bahnhof, Rosi Mittermeier könnte echt nicht besser schwingen...... Für einen kurzen köstlichen Moment schließe der geneigte Leser die Augen und stelle sich vor, dass ein wild hupendes Taxi durch eine nächtlich schlummernde Großstadt in Deutschland ballert . . .

   Der ein oder andere Leichtschläfer wäre bestimmt kurz vor dem Axtmord..... Aber ich habe mir fest vorgenommen später, mir nochmal schriftlich Zeit für das Phänomen des Hupens zu nehmen.

    Der grell erleuchtete Bahnhof von Jodhpur ist total verschlafen. Hunderte Menschen liegen schlafender Weise vor dem Bahnhof, im Bahnhof und auf den Bahnsteigen. Nur das Bleichgesicht hat innere Abreisehektik. Alle liegen rum! So hocken wir uns auf unsere Rucksäcke, lehnen uns gemütlich an die rotgezieglte Wand vor dem Büro des Station Masters (der heißt wirklich so) und nehmen vornehm südeuropäische Siestahaltung ein. Aber Indiana Jones schläft nie, zumindest nicht, wenn eine diebische Affenbande langsam in den Bahnhof einfließt, wie mein alter Taktiklehrer immer zu sagen pflegte. Unter meinen scheinbar schweren Liedern ist sofortige Gepäckverteidigungsbereitschaft hergestellt und meine Augen folgen den possierlichen Pelztieren, wie sie mal hier, mal da eine Plastiktüte mitgehen lassen. Aber die Rumliegenden sind alle grundentspannt und so verzieht sich die Rotte mit ihrer Beute zwischen die Stahlträger der Dachkonstruktion.


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   Dann werden wir Zeuge eines richtigen orientalischen Wunders. Als das metallische Singen der stählernden Schienen das Nahen des Zuges ankündigt, da stehen plötzlich alle ehemals Rumliegenden. Mit einer einzigen fließenden Bewegung von 0 Grad auf 90 Grad liegt keiner mehr rum und noch bevor ich mich von meinem Rucksack erhoben habe, drängen alle mit ihrem Gepäck an den äußersten Rand des Bahnsteigs. Das Erklimmen des Waggons geschieht mit indischer Vielfalt - alle drängeln auf einmal in die bereits gefüllten Abteile - natürlich bis an die Zähne mit den interessantesten Gepäckstücken bewaffnet und besetzen die vorgebuchten Sitzgebiete. Wenn dieses Eisenbahngambit nicht dabei wäre, wäre der Indientrip ja nur der halbe Spaß. Während das vornehme Bleichgesicht in abendländischer Gelassenheit immer hübsch Abstand zum Vordermann lässt, quittiert der eisenbahnsachverständige Inder geschickt diese - völlig lächerliche - Zurückhaltung der Weißbrote mit unumwundenen Tatendrang. In scheinbar flüssigem Aggregatzustand manifestiert er sich und seine beiden schrankartigen Koffern, einem guten Dutzend prallgefüllter blauer Kunststoffbeutel, des blechernen Henkelmanns - mit 5 Etagen(!) - und seiner Großtante im Rollstuhl in der 30 cm2 großen Lücke zwischen mir und einem Saduh aus Varanasi dessen Fingernägel so lang sind, dass er sich im Stehen die Fußsohlen kratzen kann. Wie gesagt, Wunder das Orients.

   Der Rest der Zugfahrt nach Jaisalmer ist schnell erzählt: wir finden unsere gebuchte Liegestatt, ich versuche noch einige Seiten zu lesen und nach gut vier einhalb Minuten trägt mich ein fliegender Teppich, der  - zugegeben beträchtlich schwankt - in Morpheus Arme. Das Schwanken des Zuges scheint eine derartig beruhigende Wirkung auf meinen Geist auszuüben, dass meine Psyche sofort in einen hypnotischen Dämmerzustand verfällt. Gut, die ein oder andere Feministin wird der maskulinen Welt die irrige Annahme vermitteln wollen, dass das männliche Gehirn ganz einfach runterbootet, ähnlich den biologischen Einzeller, wie bspw. Amöben o. ä.. Ich denke, es hat mehr damit zu tun, dass Morpheus der Sohn des Hypnos ist, also -  wenn ich die griechische Götterbeziehungsmatrix meines Kumpels Spiridon letztlich so richtig verstanden habe....

   Da sind wir nun inmitten der indischen Wüstenei angekommen. Der Fahrer vom Helsinki House hat uns netterweise am Bahnhof von Jaisalmer eingesammelt und uns somit vor dem gleißenden Sonnenlicht des frühen Mittags gerettet.


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   Das Land hier ist platt - wie der Westfale so sagt - die nächsten Hügel östlich liegen 150 Km entfernt und im Westgen gar nicht weit befindet sich die pakistanische Grenze. Nach den Sanddünen rechts ab, sagt unser Fahrer, schon ist man in Pakistan. Jaisalmer strahlt Ruhe und Gemütlichkeit aus, hitzebedingt so eine Art Dauersiesta, wenn man die Kühen am Straßenrand genauer unter die Lupe nimmt. Der Jaisalmerochse als solcher hält schon mal mitten im Kauprozess inne, erweckt den Eindruck bei offenen Augen eingenickt zu sein, nur um dann abrupt wie die malenden Bewegungen seiner Kie-fer wieder aufzunehmen. Natürlich können das auch, von der flirrenden Hitze bedingte neuronale Aussetzer sein, faktisch also fehlende Befehle des Großhirns an den Kaumuskel. Kenne ich, sehe ich immer wieder in meinen Vorlesungen, passiert geschlechterunabhängig gerne montags in der 16-Uhr Vorlesung. Wir rumpeln am Bergfried vorbei, der sich majestätisch aus der Ebene erhebt, auch wenn er platt wie eine Flunder ist. Auf dem Flunderplateau haben die Rajputen vor langer Zeit, also sehr langer Zeit eine malerische Burg gebaut, mit einer Vielzahl lustiger Türmchen, die selbst Ludwig den II. begeistert hätten. Hier ist alles gelb, Wüstensandgelb, auch die ausgewaschenen Ziegel der Festung. Strategisch am Rande Wüste Thar gelegen, lebten im Innern sehr reiche Gewürzhändler mit jeder Menge Kamele. Am Fuße der Flunder, ich weiß Flundern haben Flossen - Fisch und so - passt bildlich aber besser, also am Fuße der Flunder läuft eine uralte Karawanenstraße entlang, die Orient und Okzident miteinander verbindet - bis heute. Theoretisch, läge da nicht der ein oder ander Krisenherd dazwischen, Pakistan, Afghanistan, Irak, Iran, alle romantischen Urlaubsorte der Saison sozusagen. Auf den Straßen ist wenig los und das Helsinki House liegt außerhalb der weltkulturellen  Flundertürmchen. Von der Hauptstraße abrupt abbiegend, geraten wir auf eine gelbe staubige Sandpiste, die durch ein gelb bebautes Viertel führt mit immer spärlicher werdender Bebauung. Am Ende der gelben Piste sind gut 100 Meter mit groben gelben Steinplatten gepflastert, wogegen der Belag der Via Appia als glatt zu bezeichnen ist. Dort stehen, bildlich am Rande der Wüste, einige Hotels aus gelben Ziegeln. Das quaderförmige Gebäude hat mehrer Etagen und angelehnt an 1001 Nacht sind die schlüssellochähnlichen Fenster über und über verziert. Hinter dem Helsinki House eröffnet sich eine weite gelbe Sandebene, die bis zum Horizont mit grünen Büschen durchsetzt ist - vermutlich kommt dieses endlos erscheinende Buschland nur in der Regenzeit zustande. Die dunkelbraune Tür - an der die obligatorischen Messingbeschläge natürlich nicht feh-len dürfen - ist leicht verzogen, aber mit dem nötigen Druck der Schulter lässt sich ruckartig ins dämmrige Innere der Lobby gelangen. Hinter dem Tresen lächelt uns ein junger Inder an und heißt uns überschwänglich willkommen - kurzfristig fühle ich mich an Szenen aus The Best Exotic Merrigoldhotel erinnert. Aber - alles ist perfekt organisiert, wir bekommen unseren Zimmerschlüssel und schon ist das Gepäck auf dem Weg nach oben. Das Helsinki House heißt so, weil der Besitzer lange in Finnland gelebt hat - einleuchtende Erklärung, hatten wir doch schon gefragt, wie der Name wohl zustande kommt. Im Inneren gibt es einen Lichthof mit etagenweisen orientalischen Säulengängen, dessen Licht von der Dachterrasse kommt.


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   Wir haben ein Hochbett, ich meine wirklich hoch! Mitten im dunkeln Zimmer steht ein Hochbett, die Liegefläche auf 1,80m höhe mit einer davor stehenden Holzbank mit europäischer 75cm Normsitzhöhe, die als Aufstiegshilfe dient. Im Kopf beginne ich schon längsseits mit einer berufsgenossenschaftszertifizieren Sicherheitsverspannung meiner Gepäckriemen, um himalayaverdächtige Abstürze zu verhindern. Mein Unterbewusstsein beschwört Bilder eines nächtlichen freien Falls von 1,80 Höhenmeter auf grauen Marmorboden hervor und schon sehe ich mit mit einer stark spritzenden Kopfblutung in der Notaufnahme des Universitätsklinikums von Jaisalmer. Neben der Tatsache, dass es vermutlich nicht mal ein richtiges Krankenhaus in Jaisalmer gibt, stelle ich mir vor, wie wir mitten in der Nacht mit einer sprühenden Blutspur durch die endlosen Flure einer indischen Notaufnahme irren. Ob die hier meine Daten der Klinik aus Jaipur akzeptieren? Nehme mir im Stillen vor, die Patientenkartei aus Jaipur des Nachts griffbereit zu halten.

   Unter dem Bett ist Stauraum. Es scheint, als würden hier üblicherweise Gäste mit Schrankkoffern residieren. Man stelle sich zwei so monströse Quarder vor, mit denen Queen Viktoria nach Indien zu reisen pflegte, also Dimensionen wie die Pax-Schrankwand von Ikea, mit kleiner Wohngelegenheit für das Personal. Unsere kleinen Rucksäcke verschwinden förmlich im diffusen Licht der hohen Bettstatt.

   Von der geräumigen Dachterrasse hat man einen tollen Ausblick auf den Bergfried von Jaisalmer. Heißer Wüstenwind lässt die Sonnensegel flattern und die Luft flimmert vor Hitze. Im Vergleich zum unerträglich feucht-schwülen Klima in Delhi oder Agra ist die trockene Hitze und der heiße Wind geradezu paradiesisch, was uns nachmittags den ersten Zug durch die Gemeinde beschert.


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   Erste Station ist der äußere Bereich um den Bergfried und wir landen zunächst im Café+. Im Untergeschoss gibt es indische Fusion-Food-Küche und Textilien, Kleinkunst und traditionelles indisches Objektdesign. Die gemütliche Dachterrasse ist mit ihren Plastikpalmen so eine Mischung aus hawaiianischer Frontkneipe im Tiki-Style und der Leergutannahme im Hinterhof der Heineken Brauerei. Überall stehen leere Bierflaschen, jeder nur erdenklichen Biermarke herum. Dekoration, Leergutannahme oder einfach nur nicht weggeräumt. Stört aber niemanden, vermutlich lieben die Menschen hier einfach Bier, wer weiß das schon.

   Von hier kann man auf die Hauptstraße blicken, die Festung und in einiger Entfernung den Eingang zum Markt. Markt ist ein gutes Stichwort, denn meine Cargobuxe hat einen langen Riss bekommen und ich müsste dringend in die Abteilung Schneiderei. Der Verkehr der Hauptstraße ist ziemlich entspannt, überhaupt ist man in Jaisalmer ziemlich gechillt, wie das neologistisch heute so heißt. Überall gibt es schattenspendende Vordächer, die eifrig von allen zwei- bzw vierbeinigen Lebewesen genutzt werden, um vor der Sonne Schutz zu finden. Hier und da gibt es versprengte Touristengrüppchen auf dem Weg zur Festung oder von der Festung kommend, die beladen mit Markteinkäufen zu ihren Hotels streben. Die Temperaturen haben nachgelassen und angenehme, fast schon mediterrane Wärme breitet sich aus, sodass sich das Tee wieder vom Rücken löst und das Großhirn normale Befehle prozessieren kann und nicht nur Signale wie Wassermangel in den Orbit der Hirnrinde sendet.

   Schräg gegenüber des Café+ ist eine Motorradvermie- tung! In der rötlichen Abendsonne stehen 3 klassische Royal Enfield Maschinen vor dem flachen Bürogebäude und lächeln mich beschwörend an. Und überhaupt, ich wollte schon immer mal mit dem Moped auf den Basar, denn dafür sind wir im richtigen Land. Die Wahl fällt kurzentschlossen auf eine 350ccm Maschine mit dunkelblau/Creme-weißer Lackierung, viel Chrom, einem sehr bequemen Fahrersitz und einem sehr unbequemen Beifahrersitz!


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   Die Firma Royal Enfield wirb mit dem Slogan “Like a cannon...” Nun ja - da ist einfach was dran. Inmitten des  allerorts wogenden indischen Zweiradmeeres hört man immer wenn der Hai vorbeizieht..... Keine Ahnung, wie die das machen, aber die Karre hat einen so deftigen Sound, das jeder Sounddesigner aus Bayern oder wahlweise aus Milwaukee vor Neid in den Krümmer ihrer jeweiligen Premiummodelle beißen würde. Ein ultrasattes Wummeren kündet, dass ein Stückchen indische Identität und technische Kultur des Subkontinents herannaht. So sind wir für 2 Tage und 12 US$ zeitweilige Besitzer einer 350 Classic in Creme-weiß-blau geworden. Eine kurze Probefahrt auf der Kreuz-ung vor dem Café+ - Linksverkehr versteht sich - und wir werden uns handelseinig. Natürlich will der junge Mann meinen Pass als Garantie für die ordnungsgemäße Rückführung des kulturellen Blechhaufens am folgenden Tag, aber das lehne ich vehement ab! Niemals den Pass abgeben! Da haben wir eine Situation, er will den Pass, ich den indischen Einzylinder, aber mei-nen Pass geb ich nicht ab. Es wird wild telefoniert, alle möglichen offiziellen Dokumente werden abgefragt, aber auch von meinem Perso, dem Führerschein, dem internationalen Impfbuch will ich mich nicht trennen. Schwierig - dann ein Leuchten in seinen Augen - er hat die Lösung: Wir nehmen Annis Reisepass als Pfand. Erwartungsvoll strahlt er uns an, aber wir entpuppen uns weiterhin als spießige Spassbremsen, nix Pass! Hm - er macht ein Gesicht zu der Situation, dann hinterlege ich das offiziellste aller Reisedokumente, das ich mitführe: Die Abus Security Card meiner Motorradalarmanlage, das daheim in der Garage schlummert. Er kopiert mei-nen Pass, das Visum, archiviert meine Plastikcodekarte und beglückt macht er noch kurz vor Feierabend ei-nen Geschäftsabschluss. Warum ich diese dösige Plastikkarte mit nach Indien geschleppt habe, weiß ich eigentlich nicht. Versehentlich nehme ich an, ist bei den Vorbereitungen einfach übersehen worden. Aber wieder mal bewahrheitet sich - man weiß nie, wofürs gut ist - nicht mal bei der Security Card von Abus.


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   Anni ist ganz still geworden - vermutlich ahnt sie, dass ich jetzt mit der Klassikmopete auf den Basar will. Wahrscheinlich konnte man es deutlich in meinen Augen lesen - ein Paar Pupillen, auf deren Iris sich die Umrisse einer Royal Enfield zwischen Marksständen abzei- chnet. Aber warum auch nicht, machen alle hier......

   Die Karre springt mit einem lauten Wubwubwub an, Rahmen und Tank surren gleichmäßig mit dem Kolben im Takt. Das Kuppeln ist auch gleich Arbeit, der Bowdenzug füllt sich chronisch unterfettet an, die Kupplung schleift und der ganze Bock rappelt beim Anfahren wie ein Sack Muscheln. Ich glaub den Sound kann man nur hören, wenn man dahintersteht. Ab dem zweiten Gang tritt fahrtechnische Gutmütigkeit ein und das Traditionsgefährt bewegt sich gleichmäßig nach vorn - was sich nur anerkennend quittieren lässt.

   Wir umrunden die Festung in der rötlicher werdenden Abendsonne und abgesehen von einigen fahrtechnischen Eigenheiten mal abgesehen, fühle ich mich für den Basar gewappnet. Zugegeben, das Lenkkopflager ist völlig ausgeschlagen und zwingt einen zu ruckartigen Steuerbewegungen, was Anni dazu verleitet ihre Fingerspitzen in die Tiefen meiner Hüftmuskulatur zu bohren. Aber was solls, wir sind im Lande der Improvisation, wer wird sich da von ein paar Charakterschwächen seiner Maschine beunruhigen lassen. Bei schwer erziehbaren Kindern sagt man ja heute auch, dass das sie verhaltenstechnisch originell seien.... - also bitte!

   In der zweiten Runde um die Festung biegen wir auf den Basar ein, es wird schlagartig hektischer - der Verkehr, das Lenken und die Hüftbohrungen. Linksspuriges Ausweichen verlangt volle Konzentration, die kleinen 25er Maschinen bewegen sich wie quirlige Flummies durch das unübersichtliche Verkehrstetris. Aber in der Abteilung Schneider wird unter lautem Hupen lässig eingeparkt, was aus der umliegenden Textilbranche mit Kopfnicken und Grinsen anerkennend quittiert wird.

   Auf einem indischen Basar sind alle Gewerke immer gleichermaßen sortiert - Topfhändler unter sich, Blumenhändler unter sich und natürlich auch die Schneiderzunft ist unter sich. So reihen sich bestimmt 10 Schneidereien nebeneinander und man weiß gar nicht, welchen man aufsuchen soll. Die Wahl fällt auf das größte Ladenlokal - damit das sperrige Bleichgesicht darin Bewegungsfreiheit hat - es ist ein mal zwei Meter groß und vollgestopft mit gestopften Sakkos, Hosen und Hemden. Vermutlich bin ich hier zum Rissstopfen goldrichtig. Mit geschmeidiger Eleganz entfaltet sich das tapfere Schneiderlein, das gerade noch auf dem Boden verpackt saß, um in der nächsten Sekunde hinterm Tresen mein Begehr zu erfragen. Tresen fragt sich der geneigt Leser, jawohl Tresen. In diesem Miniaturlädchen - dessen Dimensionen bei uns als Puppenhaus von Mattel durchgegangen wäre, steht wahrhaftig noch ein Tresen. Hier ist nichts unmöglich.


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    Ich zeige ihm den Riss und schon beratschlagt er sich mit dem Rest der Schneiderzunft von Jaisalmer. Unmerklich haben sich alle Lücken des Ladenlokals mit den handwerklichen Mitbewerbern gefüllt. Risssanierung an der Cargobuxe ist keine Privatsache. Der Meister zaubert einen Acrylkasten hervor, in dessen Bauch ein 36facher Farbverlauf an Nähgarn schlummert. Wildes Palaver entbrennt um die Farbwahl des Stopfgarns und gefühlt alle Natogrüntöne der nördlichen Hemisphäre werden an die Buxe angehalten, zwecks größtmöglicher Unauffälligkeit des Buxenschadens. Die Situation ist komplex, Nähgarn wählen ist nicht einfach, alle reden durcheinander - beherzt greife ich in die Garnauslage und halte einen Farbton hoch. Ruhe, schlagartig Ruhe - ha, man könnte eine Stecknadel fallen hören - alle machen ein Gesicht, dann ohrenbetäubende Diskussion. Mit meiner Wahl des feuerwehrroten Nähgarns - RAL 3000 - ist hier keiner einverstanden. Der Hauptschneider macht neben seinem Gesicht auch noch eine Handbewegung - halte ihm unbeirrt das rote Garn hin, beschwörend streckt er mir seine grüne Auswahl entgegen. Mein Kopfschütteln erzeugt bei ihm Kopfschütteln - dann die Weigerung - das mache er nicht. Ich bedränge ihn, alle reden durcheinander, Anni hat sich zum Mangostand verdrückt - es ist herrlich. Das gesamte Schneiderwesen Jaisalmers kommt zum Erliegen - das Bleichgesicht will rote Rissanierung zur grünen Buxe! Eine Sensation, es gibt einen kleinen bis mittleren Menschenauflauf, immer mehr Händler kommen, sodass Parallelgewerke, wie die Taschengilde zum Erliegen kommen.

   Aber ich bleibe hart - der Riss wird in feuerwehrrot genäht und der nächste Diskussionspunkt ist eröffnet: Dafür will er kein Geld - das Basarvolk beginnt wieder zu diskutieren, untereinander und quer über die Straße, inzwischen haben etliche Frauen ihre Shoppingrunde unterbrochen und sich in die Diskussion eingeschaltet. Vermutlich diskutieren sie meinen schlechten Ge- schmack, Anni hat schon - lässig an der Enfield lehnend - die zweite Mango in Angriff genommen und tut so, als ginge sie das Ganze nix an.

   Zusammenfassung: Klärung der Garnfarbe - gute 30 Minuten Diskussion; Beseitigen des Risses - etwa 24 Sekunden; Begleichen der Rechnung ca. 15 Minuten Diskussion. Alles in allem war es aber ein spannender Ausflug auf den Basar.


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Zum Ausklang fahren wir, wenn auch - nach indischen Maßstäben - modetechnisch fragwürdig, etwa 10 km aus Jaisalmer Richtung Westen und genießen am Rande der Wüste einen rotgoldenen Sonnenuntergang. In der Stille, untermalt von Grillen und leichtem Wind, lässt die Hitze nach und bietet ein unglaublich kitschiges Postkartenerlebnis. Was für ein toller Tag!


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