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Von Einbeinpaddlern, Spinnern und Zigarren . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 3. Juni
  • 13 Min. Lesezeit

Depesche 14 - am Inle See - 2016



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Ein typisches Longtail mit dem ebenso üblichen Einheitsmotor bringt uns durch den Kanal zum Inlesee. Es ist kurz vor Sonnenaufgang, herrlich kühl und goldenes Licht hinter den wolkenverhangenen Höhenzügen, die sich zu den Längsseiten des Sees erheben, kündet vom baldigen Sonnenaufgang. Der Kapitän ist ein untersetzter Burmese, der wieder ganz anders aussieht, als die vielen anderen ethnischen Minderheiten, deren Wege wir bisher kreuzten. Das Longteil ist gut 7 Meter lang und hätte bestimmt Platz für 12 Reisende geboten, doch nach harter Verhandlung mit unserer kleinen zierlichen Rezeptionistin, sind wir alleiniger Mieter des schlanken Seelenverkäufers und - man höre und staune - auch Bestimmer der Route.


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   Für gewöhnlich ist hier jede Sehenswürdigkeit bis in kleinste Detail organisiert. Und auch unsere kleine zierliche Rezeptionistin schlug professionell sofort eine Karte des Sees auf und verzeichnete an den Ufern ein überaus spannendes Angebot an Freizeitaktivitäten, die uns den ganzen Tag auf dem See halten sollen. Das Reiten lehnen wir ab - 1 Std. inkl. Reittest, Aufsatteln und Schritt bis zur einzigen Galoppstrecke, ca. 5 Minuten, dann Schritt 25 Minuten zurück entlang der Dorfstraße! Danke, nein! Nein? Nein! Unsere strickte Ablehnung verunsichert sie völlig und deshalb versucht doch noch zwei Plätze für uns zum Traben an der wunderschönen Dorfstraße zu buchen. Nein! Nein? Nein! Erst als ich ihr ein Foto des heimischen Zossens zeige, verwirft sie den Plan und konzentriert sich völlig auf einen Seetrip für uns. Bevor sie loslegen kann, zeige ich auf die Seestadt, die Seidenspinnereien, das Katzenkloster und die Zigarrenfabrik. Noch mehr verwirrt versucht sie krampfhaft mehrere Programmerweiterungen einzubauen. Nein! Nein? Nein! „Warum?“, fragt sie - „No Handcraftmarkets“, unsere sparsame Antwort. Jetzt ist sie ganz raus. No Handcraftmarkets? No Handcraftmarkets! Aha, Unverständnis und Unglauben lösen sich in ihrer Verwirrung ab. „You don´t like handcraft....“ will sie fragen. „No!!!“ unsere Antwort. Wir würden das Beste verpassen kontert sie, um vielleicht doch noch Provision rauszuschlagen. Wir einigen uns auf 20 US$ für den gesamten Tag und ganz klar, die wichtigste Bedingung ist, no handcraftmarkets! Wir lassen sie mit ungläubigem Staunen über die irren Bleichgesichter, die offenkundig bewusst das Beste des Inle Sees verpassen wollen, zurück. „Same, same, but different“, oder wie heißt das auf allen asiatischen Handcraftmarkets immer so schön?


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   Um 05:15 Uhr ist unser Käptn Ahab vor Ort, verfrachtet uns in besagtes Longtail, wirft den Motor an, setzt zurück in den Kanal, wendet und als er Vollgas gibt, grinst er breit über das ganze Gesicht und schreit gegen das Motorengebrüll „No handcraftmarket.“ Anschließend schüttelt er sich wie ein unter Strom gesetzter Marshmellow und gluckst noch eine ganze Zeit vor sich hin. Damit hätten wir ja nun alles geklärt, und ich vermute im Stillen, dass wir in der französichen Bäckerei, die wir vortags entdeckt haben, ebenfalls so verlacht werden. Vermutlich in ganz Nyaungshwe. Aber wen juckts - manchmal muss man eben ein Zeichen setzen! Jawohl!

 

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  Mit gleichmäßigem, aber unüberhörbaren Tuckern treibt Ahab den Longtail durch den Kanal zum offenen See. Der Kanal ist nicht nur als Touristenroute vorgesehen, sondern auch als Verbindungsweg der Menschen aus der Seestadt, die in Nyaungshwe oder Umgebung arbeiten. Immer wieder begegnen uns beladene Longtails, deren Motoren ebenso laut wummern und eine ebenso eindrucksvolle Heckfontäne produzieren. Der Motor eines Longtails ist flexibel in der Höhe verstellbar und aus dem Motorblock ragt eine ca. 2m lange Stahlstange, in deren Innern sich die Antriebswelle für die Schraube befindet. Je nach Tiefe des Gewässers kann man nun den Antrieb variieren. Das macht diese Boote und Motoren in diesem Teil der Welt so beliebt. Die meisten Flüsse, ihre Mündungen oder Meeresbuchten sind oft versandet und unser administrativer Flurbereinigungswahn ist dem Asiaten als solchem eher unbekannt. Mit einem Longtail kann er also fast überall vorankommen, selbst in einem gefluteten Reisfeld. Die Höhenzüge zeichen sich pechschwarz gegen den sich rotorange verfärbenden Himmel ab und die Sonne wird jetzt nicht mehr lange auf sich warten lassen. Unser Wetterbericht kündigt schwere Unwetter für den Inle See an, aber über dem See sind kaum Wolken, sodass es ein sonniger Tag zu versprechen lohnt.  An der Mündung des Kanals schwappen in der Dünung der entgegen kommenden Longtails bereits die ersten schwimmenden Gärten auf und ab.


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Auf luftgepolstertem Gewebe werden Tomaten, Zucchinis und Gurken angebaut und damit die langen „Bahnen“ nicht ziellos umhertreiben, werden lange Holzstäbe durch das Gewebe in den Grund des Sees gerammt. Kaum sind wir auf dem eigentlichen See angekommen, paddelt schon ein energischer „Einbeinpaddler“ wild in der Gegend herum und balanciert gekonnt eine überdimensionale Reuse mit seinen Füßen. Der Mann ist natürlich auch in leichtem traditionellem verwaschenen Fludderschnapp unterwegs und müht sich redlich ab, den Bleichgesichtern eine tolle Einbeinpaddelei zu bieten. Leider ist das kleine bewegliche Kerlchen nicht „echt“, sondern strategisch geschickt an der Kanalmündung platzierter Touristennepp - irgendwie auch verständlich, denn jedes Longtail, beladen mit abenteuersuchenden Bleichgesichtern, muss hier vorbei... wie wir auch! Überhaupt ist die ganze Einbeinpaddlerkiste etwas zwiespältig zu bewerten, denn vom ganzen Tourismusboom haben die „richtigen“ Einbeinpaddler nix, denn die Touris werden immer nur an ihnen vorbeigeschifft zu diversen Handcraftmarkets und ähnlichem Gedöns. Im Grunde haben die klapprig dürren Jungs eine ziemlich ausgereifte Technik, ein Paddel in ihrer


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Kniekehle zu fixieren und damit ein wackeliges Holzbötchen in einem Kreis zu steuern, um dabei mit beiden Händen das Fischernetz ins Wasser gleiten zu lassen. Auf dem verbliebenen Bein vollbringen sie, positioniert am äußersten Ende des ultrainstabilen Einbaums, wahre Balancewunder. Da die Fische von den zahllosen Touribooten inzwischen vertrieben wurden, scheint diese Art des Lebensunterhalts eine ziemlich mühselige Angelegenheit zu sein. Wir lassen den Showfischer links liegen und erreichen eine kleine Ansammlung an „echten“ Fischern, die wirklich aufs eindrucksvollste ihrer Fischereikünste bei der normalen Arbeit demonstrieren. Allein der Gedanke, dass ich am äußersten Ende von so einem brasseligen Holzkahn auf einem Bein noch irgendetwas anderes vollbringen sollte, als bei voller Konzentration mich auf den Planken zu halten, scheint mir wahnwitzig. Dennoch ist die Finesse und natürlich die Ruhe der Jungs ziemlich beeindruckend. Da Ahab - auf unseren Wunsch hin - immer den tuckernden Motor des Longtails abschaltet, liegt tiefe Ruhe über dem See, außer dem leisen Schaben, wenn das Paddel an der Bootswand entlangreibt. Der See hat etwa 7-8 Meter Ttiefe und ist relativ klar, was vermutlich nichts über die Wasserqualität sagt. Inzwischen ist die Sonne hoch am Himmel, beginnt die Luft aufzuheizen und vertreibt damit die Kühle, die vom Wasser aufsteigt. Außer uns ist weit und breit keine lange Bleichgesichterschaluppe in Sicht, sodass wir mit dem See allein sind. Vermutlich hängen noch alle Backpacker über der hoteleigenen Reling und haben einen hang over, wer weiß das schon.


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   Nach einer wirklich vergnüglichen Stunde voller Ruhe und des Fischereibeobachtens bringt uns Ahab mit affenartiger Geschwindigkeit über das tiefblaue Wasser des Inle-Sees. Noch scheint zumindest das Ökosystem des gut 22km langen Sees halbwegs in Ordnung zu sein. Doch die Idylle wird zukünftig nicht erhalten bleiben, da bin ich mir sicher, denn auch wir benutzen ein Motorboot und tragen so dazu bei, dass traditionelle Berufe zu Gunsten einer irrationalen Tourismuswelle aufgegeben werden. Hier und da dümpelt schon die ein oder andere Plastikflasche in den dichten Wasserhyazinten, die die Grundlage für die schwimmenden Gärten bildet. Insgesamt ist  hier weniger vermüllt, als ich es in allen anderen Teilen Asiens erlebt habe, aber das Land schickt sich an ,die Boomtown des fernöstlichen Tourismus zu werden. Aber auf der anderen Seite, wer könnte es ihnen verübeln nach 50 Jahren Militärdiktatur. Ich hoffe nur, dass sie nicht die gleichen Fehler machen, die sich an allen anderen Ballungszentren dieser Branche schon seit Jahrzehnten unnützerweise immer wiederholer.



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   Als wir den Ortsrand der Seestadt erreichen, drosselt Ahab den Motor und wir tuckern fast im Lehrlauf durch ein unüberschaubares Gewirr an Wasserstraßen und Pfahlbauten. Wir haben die unzusammenhängende Ansammlung der Pfahlbauten der Einfachheit halber Seestadt getauft. Die Grenzen zwischen Ufer und Wasser sind nicht erkennbar, aber es verwirrt, wenn an der einen Ecke eines Hauses ein Kind mit dem Boot paddelt, während an der anderen Ecke die Dame des Hauses auf ein Moped steigt und wegfährt. Die Böden der Häuser liegen drei Meter über dem Wasserspiegel, was Aufschluss darüber gibt, wie stark der Wasserpegel hier schwanken kann. In den frühen Morgenstunden scheinen die Menschen hier ziemlich entspannt zu sein. Tiefer Frieden liegt über den Wasserstraßen und im warmen Licht der Sonne scheint es ein vergessenes Paradies auf Gottes Erde zu sein. Aber natürlich ist alles, was nach Idylle aussieht, nur eine trügerische Momentaufnahme. Wir sind keinesfalls willkommen - nicht, weil wir wir sind, sondern unsere Rolle als Tourist wird hier verachtet. Und nach wenigen Wasserstraßen fühlen wir uns unwohl. Vermutlich fühlen sich die Menschen hier wie im Zoo. Unser Besuch, der sich aus Interesse und Neugierde motiviert, scheint sich für sie nur als ein lästiges Begafftwerden darzustellen. Später berichtet uns der Inhaber der französischen Patisserie von Nyaungshwe, dass eigentlich nur wenige Organisationen an dem See-Touristen-Paradies verdienen und die Menschen am See selbst - bis auf wenige Ausnahmen - leer ausgehen. Business as usual!


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Später am Tag erleben wir natürlich auch die andere Seite der Bleichgesichterinvasion, die totale Distanzlosigkeit gegenüber den Menschen hier. Da wird gnadenlos an die Häuser rangefahren und der ein oder andere Chinese zwängt sein Monsterteleobjektiv förmlich in die privaten Räume  der Pfahlbauten ... Alles hat immer zwei Seiten! Während ich noch so vor mich hinsinniere, hält Ahab seinen Seelenverkäufer vor einem Pfahlbau mit niedriger Anlegemöglichkeit. Der baufällige, ziemlich angeranzte Anleger, führt zu einer breiten Treppe, an deren oberen Ende eine scheinbar uralte Frau hockt. Sie hat ein ornamentiertes violettes Tuch um den Kopf gebunden, trägt die traditionelle Tracht der Bergvölker und um den Hals hat sie etliche schwere Messingringe, die ihren Hals über Jahrzehnte gelängt haben. War klar, Ahab hat versucht, das verordnete Handcraftmarketverbot zu umgehen. Hole meinen Clint-Eastwood-Blick raus und strafe ihn damit ab - was er auch sofort kapiert, etwas verschämt die Achseln zuckt und schelmisch grinst. Anni und ich schauen uns an, machen noch auf der Treppe kehrt und nehmen umgehend Platz in unserer Privatjacht. Das bringt Ahab natürlich mieses Karma, ist ja klar, die Karen schauen ihm finster hinterher,  und mir wird klar, dass unsere geplante Trinkgeldsumme gerade gestiegen ist. Was ist also in diesen dreieinhalb Minuten auf dem schräbbeligen Holzsteg passiert? Ganz einfach - unser burmesischer Käptn Ahab bekommt von den Karen ein saftiges Trinkgeld, wenn er uns zu ihrem Handcraftmarket karrt. Dieser Handcraftmarket ist aber durch die Betreiber - geschäftstüchtige Padaung - nicht sofort als solcher erkennbar ...



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   Die Padaung sind - wie kann es auch anders sein - eine ethnische Minderheit, deren eigentliche Volkszugehörigkeit die Karen sind. Ursprünglich lebten und leben die Karen im südöstlichen Grenzgebiet Myanmars zu Thailand. Irgendwo meine ich gelesen zu haben, dass die Bezeichnung Padaung sich von  Yan Pa Daung, was frei übersetzt so viel heißt wie, „mit glänzendem Metall umwickelte Menschen“. Der geneigte Leser liegt richtig! Traditionell bekamen die Frauen der Padaung von jungen Jahren an schwere Messingringe um den Hals gelegt, um den Hals zu längen. Mit dem Älterwerden kam noch einer hinzu, und noch einer und noch einer. Leider hat diese Tradition des Spiralschmuckes, die vielleicht früher einen soziokulturellen „Sinn“ hatte, heute zu einer besonderen Form des weltweiten Ethno-Tourismus geführt. Da die Damen ja nur als nostalgischer „Werbeträger“ zur Vermarktung landestypischer Handarbeitsprodukte  fungieren, werden sie natürlich von der Riesenkohle, die mit Holzmännchen, echten Kunstseidenschals und natürlich gaaaanz echten Antiquitäten, die in Serie in den Hinterhöfen produziert werden, nichts abbekommen. Wir hatten von vornherein nicht vor, das zu unterstützen, obwohl  uns natürlich die Menschen leid tun, die auf alles Trinkgeld der Welt angewiesen sind. Die alte Padaungdame bedenkt uns mit einem finstersten Blick, wogegen die Dame aus dem Zug von Mandalay nach Tazi sich wie ein  frisch geschlüpftes Lämmchen ausnimmt und giftet uns dann auch noch quäkend hinterher. Ahab macht ein Gesicht. Ein richtiges Gesicht - aber wir bleiben hart. Schließlich waren die Damen mit dem Sprialschmuck nur die Vorboten, der sich hinter ihnen abzeichnenden Handcraftmarkethölle.


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   Wie vereinbart liefert uns Ahab dann bei den Spinnern ab. Diese Spinnerei am Inle See ist ziemlich berühmt, denn neben Roh- und veredelter Seide werden hier Mischgewebe aus Lotosfasern und Seide verarbeitet. Der Rundgang durch den Betrieb, dessen Produktion ausschließlich immer noch am manuellen Merkantilismus  unseres 19. Jahrunderts angelehnt ist, macht Spaß. Spürbar ist eine wirtschaftliche Gesetztheit dieser Spinnerei, denn wir werden zu keiner Sekunde genötigt, irgendetwas zu kaufen. Am Ende der Tour gibt es natürlich einen  Showroom, wie man es heute neumodisch angliziert nennt. Doch auch hier sind wir allein mit den Waren, bis wir uns melden und Assistenz benötigen. Auf allen Etagen, bis unters Dach, stehen Pedahlwebstühle, mit unterschiedlichen Fadenbespannungen. Durch den gesamten Pfahlbau dröhnt das Klacken der Schiffchen, wenn es auf seiner Schussfahrt zwischen den Kettfäden hin und her läuft. Die Arbeitsgeschwindigkeit der Spinnerinnen ist beeindruckend für unsere, dem permanenten Automatisierungswahn unserer Zeiten ausgesetzten Sinne sogar schon beängstigend. Vom Rohmaterial über die Fadenspinnerei bis zum fertigen Gewebe wird alles hier in diesem Hause produziert. Tja, lieber Leser, kommen wir doch zum Seiden-Lotos-Gemisch ... grundsätzlich sehr beeindruckend, wie die Fasern gewonnen und zu spinnbare Fäden verarbeitet werden. Nun ja, irgendwie fühlt sich das Material stumpf an, obwohl ihm jede Menge positive Eigenschaften nachgesagt werden, kühlend, geruchsabsorbierend, und, und, und. Dennoch kann ich mich nicht für das burmesische Superzeug erwärmen. Mag daran liegen, dass dem Designer wieder mal die ästhetische Engstirnigkeit einen Strich duch die Offenheit gegenüber anderen Formen und Farben macht. Nun ja - es geht einfach nicht, die Hemden haben den Charme einer wollenen bulgarischen Joppe aus den späten 80ern und die T-shirts sind im Design und Schnitt eher aus der Zeit vor dem Militärputsch. Da hilft auch nicht eine ganze Batterie schlecht kolorierter Bilder von namhaften burmesischen Regierungsmitgliedern, die alle hier Hemden und Tshirts käuflich erwarben. Die Dinger sehen einfach grottig aus! So fragwürdig der burmesische Männerbekleidungsgeschmack auch sein mag, für die Damenwelt ist die hauseigene Kollektion natürlich totschick. Was mich immer mehr in meiner Ansicht bestärkt, dass Männer schön gekleideter Frauen ohnehin nur unbedeutend-dekoratives Beiwerk sind.


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   Die gute Stunde, die wir voller Intensität den interessanten Beiträgen des Besitzers gelauscht haben, bestärkt Ahab in seiner Meinung, dass der Bootstrip vielleicht doch noch gut werden kann. Inzwischen ist er wieder gut gelaunt und sein Karma ist heute doch nicht so mies, wie angenommen. Vielleicht gibt es auch sowas wie versöhnliche Hausgeister, wer weiß das schon. Dass es Geister gibt, davon ist man in Burma fest überzeugt. Überall hats welche, uns sind zwar keine begegnet - vielleicht nur die dicke, fette Kröte, die im Innenhof des Inle-Inns residiert - aber es gibt bestimmt welche. Wie sollte das ganze Land auch sonst funktionieren, so in seiner ganzen Unvollkommenheit, wenn nicht durch die treibende Kraft verschiedenster Geister? Fragen über Fragen des Orients. Ich habe mich da mal einzulesen versucht, doch bereits auf Seite 2 hatte ich schon den Überblick verloren und bin nicht mehr durch die Konstellationen von niederen und höheren Geistern durchgestiegen, von den bösen und guten mal ganz abgesehen. Nun ja, eigentlich begann alles ganz einfach. Es gibt 37 Nats und alle anderen Geister. OK, geht, kann man nachvollziehen! Es gibt Nats in mächtig, gut, hilfreich, böse, gehässig, unsittlich, zornig, ...und, und, und. Nats sind Wächter und sehen aus wie Menschen ... OK, wir lassen es und gehen über zur Zigarrenproduktion.


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   Ahab schippert uns gemächlich durch die Seestadt, vorbei an kleinen und großen Schreinen, Pagoden und durch das gar sehr verzweigte venedig-anmutende Kanalsystem der schwimmenden Gärten. Die Produktionsstätte der Zigarrenfabrik ist einfach nur ein großes, hallenartiges Pfahlhaus. Der Manager heißt uns willkommen und geleitet uns zu den Produktionsmaschinen in Form von drei Damen, die vor einem großen Berg Tabak hocken und in rasender Geschwindigkeit Pflanzenblätter rollen und dabei mit Tabak füllen. Damit ist jetzt zur Produktionstechnik auch schon alles gesagt. 700 Stück sind Tagessoll! Ok, wer jetzt unbeteiligt mit den Achseln zuckt, der stelle sich jetzt Folgendes vor: Man hockt 12 Stunden auf den Knien, hat einen 1m breiten, geflochtenen Korb vor sich stehen, der gut 1m3 hoch mit Tabak gefüllt ist. Dann dreht man Blätter um einen schmalen Bambusstab und stopfe oben eine nicht näher spezifizierte Menge Tabak hinhein. Anschließend verklebt man die Blätter mit einer Kalklösung und zieht das Bambusstäbchen unten heraus. 700 Mal am Tag ... Der schwer arbeitende Manager hat dagegen ein wirklich hartes Los gezogen. Während die Mädels beim Drehen der burmesischen Dübel auch noch so auf dem Boden rumchillen können, muss der Mann richtig ran: er heißt uns willkommen, zeigt die Produktionsstätten und den Maschinenpark,


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präsentiert kaufbare Ware und quatscht ein bisschen mit Käptn Ahab. Als er uns zwei Pakete von den muffigen Raucherzeugnissen angedreht hat, ist sein Kalorienverbrauch an der zulässigen Obergrenze angelangt - er muss sich erst einmal setzen und sich einen Dübel anstecken. Die Hektik des Alltages bringt einen um, ohne Frage! Lieber Leser, kommst du zum Inle See, besuche diese Fabrik, kaufe ein paar Packungen Rauchwaren und vermeide sie in den eigenen Rucksack zu packen. Was auch immer sie da reinmischen, man munkelt der Aniszusatz wäre der Dauerbrenner - vermutlich auf dem Klo, führt auf jeden Fall zu einem gepäcktechnischen Geruchserlebnis, das Jahre anhält. Da meine Reisetasche schon so voll war, bestand Anni darauf, dass sie die Rauchwaren verpacken würde. Tja, was soll ich sagen, der Rucksack verströmt immer noch den dezenten Geruch einer königlich-burmesischen Tempelkobra mit massivem Durchfall. Ein Analysebericht zur Tabakqualität und dem damit verbundenen Raucherlebnis lässt sich unsererseits nicht vorlegen. Mein Freund Frank vermerkte lakonisch nach dem Genuss einer halben Inle-Zigarre, wir hätten netterweise einen sizilianischen Vertragskiller auf ihn ansetzen können, wenn wir ihn denn schon umbringen wollten. Diese Zigarre als Mordwerkzeug empfand er geradezu als unmenschlich! Vom zweiten Beschenkten, ein näherer Verwandter von Anni, wurde nie wieder etwas gehört ... Ich sags ja immer wieder, Rauchen gefährdet die Gesundheit! Das nächste Mal bringe ich Frank reines Opium mit, das ist wenigstens vollbiologisch kalkulierbares Risiko und hat in diesem Teil der Welt nun ja auch nostalgische Tradition.


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Inzwischen ist es ziemlich drückend geworden, und trotz der Windstille über dem Wasser, ziehen gemächlich Wolken über die Berghänge herauf. Wir wollen noch zum Lin Kin Kloster, welches inmitten der schwimmenden Gärten liegt. Mit dem Longtail stören wir den emsigen Erntebetrieb in den Gärten, denn die Kanäle sind meist nur einen knappen Meter breit. Wieder werden wir finster gemustert, aber Ahab, ganz der Kutscher des Teufels, manö-vriert drängelnd und ungerührt grinsend seinen Kahn an den voll beladenen Transportbooten der Bauern vorbei, wodurch er sicherlich nicht Mitarbeiter des Monats wird! Das LinKin Kloster steht halb auf Pfählen, die im Grund des See stecken und halb auf festem Boden eingemauert wurden. Der Eingangsbereich und die große Halle sind mit dunklen Bodenbrettern ausgelegt und die Holzfenster sind alle aufgestellt. Trotz des geringen Windaufkommens ist es im hölzernen Klosterbau recht kühl  und voller Katzen. Was soll ich sagen, der ganze Gebetstempel ist voller vergoldeter Buddhafiguren und struppig-räudigen Katzen. Die vierbeinigen Flohfänger chillen überall in der Gebetshalle nutzlos herum, glotzen uns träge an und sind sonst auch nicht so kommunikativ. Sie erwachen erst zum Leben, als ein Mönch zum Mittagsmahl läutet, also zu ihrem Mittagsmahl. Der Mönch als solcher scheint zu anderen Zeiten zu essen. Natürlich kommt das Leben in die Bude, wie immer, wenn ein Lebewesen seinen ureigensten Überlebensdrang - das Stillen des knurrenden Magens - im Genick spürrt. Wir überlassen dem Katzengeviech das Buffet und schlendern in den weitläufigen Klosteranlagen herum. Es gibt hier einen großen quadratischen Raum, der zu allen Seiten offen ist, mit dunklen Holzbohlen und einem hohen weiten Dachstuhl. Der Blick wird rechts und links


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von hohen Kokospalmen begrenzt und in der Weite nur von tiefgrünen Hängen des Hochlandes. Alles in allem der Meditations(t)raum eines vegan-bewegten, an Yoga-burnout leidendem und resilienzsuchendem, Oberstudienrates mit der Facherkombination Deutsch/Sowi. Die Örtlichkeiten sind wirklich sehr schön, unterscheiden sich aber in ihrer spirituellen Atmosphäre sehr von anderen Klöstern, die wir besucht haben, nun ja - ist hier ein bisschen mehr so wie beim Tierheimbasar. Wir werden ein  wenig schief angeschaut, weil wir, trotz eindrucksvollster Raubkatzenfütterung, nicht in einen hemmungslosen Spendenwahn verfallen. Vielleicht liegt es aber auch an der brütenden Hitze der Mittagsstunden, dass alle mehr so in Siesta- denn spiritueller Stimmung sind. Die etwas gelangweilte Art der Mönche lässt ahnen, dass sie an den permanenten Besuch von irgendwelchen Bleichgesichtern gewöhnt sind, und so der Spendenrubel stetig in die Whiskasschatulle rollt. Wer könnte ihnen da einen Vorwurf raus machen?


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   Inzwischen haben sich viele Quellwolken gebildet, die Luft flirrt vor Hitze und wir treten, sehr zur Freude von Käptn Ahab, den Heimweg an. Von diesem Teil des Sees braucht das Longtail etwa eine dreiviertel Stunde im Tiefflug für den Weg zurück durch den Kanal nach Nyaungshwe. Unterwegs begegnen wir einem schier unaufhörlichem Strom vollbeladener Tourilongtails, die, scheinbar alle handcrafmarketsüchtig, Richtung See fliegen. Kaum sitzen wir in der französichen Patisserie, vor feinstem Kaffee und fettigen Buttercroissants, als draußen die Welt untergeht. Der Himmel über dem See ist tiefschwarz und nach einer ordentlichen Blitz- und Donneraufführung, bei der sich offenkundig Zeus und Jupiter stritten, wer den längeren Blitz hat, öffnen sich alle Schleusen des Himmels und es regnet, dass selbst Noah sich fürchten würde. Nun wird mir klar, wofür die riesigen Planen sind, die aufgerollt an den langen Bordwänden der Longtails vertäut sind. In Anbetracht der Wettersituation hoffe ich, dass die anderen Bleichgesichter alle, wenn auch unfreiwillig, in einem  Handcraftmarket Asyl gefunden haben, denn ein Unwetter mit Sturmböen, Blitz und Donner in einem kippeligen Longtail auf einem weitläufigen See ist echt kein Spaß.


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