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Von Dreirädern und fiesen Läppchen . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 3. Juni
  • 12 Min. Lesezeit

Depesche 10 - Bagan - Pyin U Lwin - 2016


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Das aufälligste an der großen Kreuzung von Pyin U Lwin ist der Bell Tower, stolzes Symbol britischer Kolonialzeiten. In Stein gemauerte abendländische Lebenskultur, dessen Uhr verdächtig dem Ziffernblatt des Big Ben ähnelt, ragt er über die verkehrsreiche Kreuzung empor, die sogar mit Ampeln versehen ist. Der Verkehr ist gemischt, asiatisches Durcheinander mit britischem Formalismus. So jagen kleine Zweiräder hektisch knatternd von einer Straßenmündung zu nächsten, neuere SUVs gleiten vornehm leise zurückhaltend über den holprigen Belag und mittendrin juckeln bunt bemalte alte Landower mit davorgespannten erbarmungswürdig struppigen Vierbeinern von Lücke zu Lücke. Diese alten Kutschen sind tatsächlich noch offizieller Teil des ehemals öffentlichen Transportsystems und jedes Mal, wenn eine der riesigen japanischen Blechhaufen an den armen Pferden vorbeischnibbelt, die mit ihren kupierten Ohren und dem zerzausten Fell einfach mitleiderregend sind, hole ich tief Luft. Downtown Pyin U Lwin hat alles, was man von einer alten britischen Verwaltungsstadt erwartet, offiziell dreinblickende Backsteinfassaden, eher tief in Dorset verwurzelt, denn im tiefsten Orient, hölzerne Bauten, deren verblichener Zierrat von den indischen Kulis kündet, die als „Boys“ von ihren englischen Offizieren hierher verpflanzt wurden und natürlich die neueren Minaretts, Wahrzeichen einer selbstbewussten muslimischen Gemeinde. Schon beim ersten Kaffeegespräch, den wir in einer einheimischen Kaffeeschmiede am Rande der Kreuzung serviert bekommen, wird uns beiden klar, dass das Lebensgefühl in Pyn Uu Lwin irgendwie anders ist. Wir können beide nicht genau den „Finger darauf legen“, was hier anders ist als in Bagan, Pyay oder Rangoon, aber es ist spürbar anders. Während draußen auf der Kreuzung ein kühler Sturzregen niedergeht, versuchen wir für uns in Worte zu fassen, wie sehr sich dieser Ort von Bagan unterscheidet.


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    Entgegen meines typisch westlich geprägten Misstrauens, werden wir morgens pünktlich von einem Zubringertaxi an unserem Hotel eingesammelt und gemütlich zum Busbahnhof von Nyaung U gekarrt. Alles verläuft ordentlich organisiert, jeder sitzt auf seiner bestellten Sitznummer, Bleichgesichter wie Locals, der Buss rumpelt zum vorgegebenen Zeitpunkt los und wir sind „back on the Road to Mandaley“. Unser Schiff der Landstraße ist ein mittelgroßer Reisebus, gold-violett lackiert, ohne den üblichen AC-Aufkleber aber mit AC im Inneren. Anders als in Indien, wo die Air Condition in Reisebussen immer eiszeitverdächtige Klimazonen produziert, befindet der burmesische Landstraßenkapitän, dass gemäßigte Temperaturen das Wohl der Transportmassse positiv beeinflusst. Der Straßenbelag ist ungewöhnlich glatt, was sicherlich ein Zugeständniss an all die Touristen ist, die von Mandaley in Richtung Bagan aufbrechen. Natürlich treibt mich dieser sanft hügelige burmesische Highway sofort in Morpheus Arme und ich verschlafe - wie mir später berichtet wird, die plateuartige Ebene, gekennzeichnet von dröger Landwirtschaft und unbedeutenden Dörfern.  Aber, was wäre eine gute asiatische Überlandfahrt, ohne den obligatorischen Zwischenstopp. Als reisendes Bleichgesicht unterschätze man niemals den obligatorischen Zischenstopp - für die, die zwanghaft schnell ankommen müssen, ist er ein touristischer Graus, für die, deren Weg das Ziel ist, ist er unverzichtbares kulturelles Rahmenprogramm. So trifft man bei diesen Gelegenheiten auf gar seltsame Menschen, kuriose Begebenheiten und natürlich auch derartig Fremdes, dass ich den „obligatorischen Zwischenstopp“ als festes Lernprogramm für die jeweilige Kultur mit einplane. Dazu kommt, dass man häufig zu


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Speisen kommt, die man sonst niemals probiert hätte. Gut, auch da gibt es Grenzen, wie bspw kambodschanisches „Prohok“ - gegorener Fisch - wo meine Geschmacks- und vor allen Dingen meine Geruchsnerven umgehend den Dienst versagten und mein Organismus diese beiden Sinne sofort down bootete. Aber hier, inmitten der elendig leeren bäuerlichen Atmosphäre des platten Landes, gab es eine kleine Anzahl an Hütten, neben dem gigantischen Rohbau einer Tanksstellenneubauszenerie. Während ich nahezu schlaftrunkend die skelettartigen Grundzüge zukünftiger Car-Cosmetics, Turbozapfsäulen und dem Shop-im-Shop bewunderte, näherte sich, aus Mandaley kommend, ein wunderliches Gefährt.  Man nehme eine normale Honda Spirit, 25ccm, schweiße einen Seitenwagen daran und fertig ist das 4-Personengefährt! Nun ja - ich sehe förmlich das spontan zu Salz erstarrende Gesicht eines bundesdeutschen TÜV-Prüfers vor mir, als ich, in Ehrfurcht vor dem Mut der Besatzung versunken, die technische und bauliche Verkehrssicherheit des burmesischen Familienbombers in Augenschein nahm. Hassan, mein geliebter türkischer Alltagsphilosoph, würde wieder mal „Problem yok“ sagen und natürlich ist Verkehrssicherheit und die damit verbundenen westlichen Katastrophenszenarien eine untrügliche Konsequenz unseres ankonditionierten Sicherheitswahns. Was sind schon durchgerostete Schweißnähte? Tja - rissige, verrostete Schweißnähte sind nun wirklich kein Grund, um sich aufzuregen - nein wirklich! Zumindest nicht in Asien. Unser inzwischen ankonditionierter geistiger Sicherheits-TÜV kann schon mal pfiffige Ideen zum Erliegen bringen, noch bevor man die Sache auf einem Bierdeckel skizziert hat. So hatte der Monteur dieses wunderlichen Gefährts einfach einen Doppelsitzer-Beiwagen konzipiert, bei dem die Passagiere Rücken an Rücken sitzen. Nun ja, grundsätzlich eine tolle Idee - hat man doch hier und da als globetrottendes Bleichgesicht in Asien die üblichen verkehrstechnischen Nahtoderfahrungen. Was wäre besser geeignet, als ein der Fahrtrichtung abgewendeter Sitz für den Passagier? Eine recht nützliche Konstruktionsidee, die in unseren Breiten schon gestorben wäre, noch bevor sie das wirre Hirn eines


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bayrischen Droschkendesigners verlassen hätte. Und - wer hätte nicht gern, zu später Stunde, also am frühen Nachmittag, wenn die gesammelte Studentenphalanx geschlossen in angeblauter Swapfietsflotte alle westfälischen Verkehrseigenheiten ignorierend über die Wolbeckerstraße zu Ihren angestammten Frühstückstränken streben - einen Beiwagenplatz, der nach hinten ausgerichtet wäre. Hinter dem Pilot, natürlich ein männchenartiges Prachtexemplar im allgegenwärtigen Longhi, hockt Passagier Nr. 3, in Anbetracht des Alters der beiden anderen Damen vermutlich die Schwester oder Ehefrau des Dreiradtieffliegers. Natürlich haben alle kräftig in Mandaley eingekauft, so dass das zugelassene Verhältnis von Fahrzeuggewicht, Passagieren und Nutzlast exorbitant überschritten wurde. Aber wen juckts? „Problem yok“, wie mein Freund Hassan ...... Neben dem schnittigen Dreirad parkt der Eismann ein. Erkennbar an der riesigen Wasserspur, die er hinter seinem Gefährt herzieht. Zwei kräftige Jungs wuchten einen glasklaren Eisblock mit zwei alten Tragezangen von der Ladefläche und schleppen die glitschige Fracht in die dunkle Fin-sternis der Raststätte. Die beiden Zangen sind so herrlich britisch-antiquiert, vermute insgeheim eine spätherbstliche Lieferung aus Liverpool im Jahr 1920 an den Docks von Rangoon, dass sie einem indischen Antiquitätenhändler aus Udaipur bestimmt Dollarzeichen in die Iris brennen würden. Aber die beiden Zangenjungs hocken schon wieder auf den verbliebenen Eisstelen, vermutlich ein sehr angenehmer Sitzplatz bei dieser Affenhitze, während der Fahrer tapfer alles aus seinem asiatischen Einheitsmotors herauskitzelt und in Richtung Mandaley die Landstraße entlangöttelt. Vielleicht sollte ich ein paar Worte zum asiatischen Einheitsmotor verlieren? Nun ja - vor langer Zeit, vermutlich vor der Entwicklung eines Kupplungsgetriebes, also sehr lange her, hat irgendein findiger Motorkonstrukteur einen unverwüstlichen eingängigen Motor entwickelt. Unempfindlich gegen


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die klimatischen Extreme östlich des 70. Längengrades, mangelnde bis gar keine Wartung und der Gebrauch jahrzehntealten Motoröls, der absoluten Fahruntüchtigkeit der Cockpitinsassen und natürlich nicht zuletzt das unzugängliche und bombenkraterähnliche Terrain der asiatischen Straßenkonstruktion. Vergleichbar mit einem westfälischen Mühlenesel, der langsam, aber stetig und stoisch seine Runden um den abgeschliffenen Baumberger Sandsteinkoloss dreht, verzeiht dieser Motor alles und läuft und läuft und läuft. Verbaut wurde dieser brummende Steppenkosak in alles, was irgendwie Mobilität verlangte, Autos, Lastenfahrzeuge, Boote, einfach alles. Einer alten Bell UH1 D gleich wummert dieser Motor immer im gleichen Takt und ich wage die stolze These, dass dieses sich mantrisch wiederholende Wummern eine genauere Taktfrequenz aufweist, als das Premiummetronom eines Konzertpianisten in der Carnegie-Hall. Man hört dieses rhythmische Wummern schon aus größter Entfernung und wenn dann ein Vehikel, aufgrund der fehlenden Gänge 2-5, langsam knatternd vorbeijuckelt, kann man sich eines milden Schmunzelns nicht erwehren. Aber man trifft diesen stählernden Antriebsblock in allen, aber auch wirklich allen Ecken von Asien. Wunder über Wunder des Orients!

   Mandaley lassen wir links liegen - kommen ja auf dem Rückweg nocheinmal hier durch - und wie nichts gut 70 km den Berg rauf nach Pyin U Lwin. Es regnet, also nicht nur so ein Schauer, nein es regnet, diesen - ich will nicht böswilligerweise „Londoner Fisselregen“ sagen, denn wer aus Münster kommt, sollte sich nicht über Regen anderer Leute mokieren - diesen fiesen, nebelartigen, alle-Klamotten-durchdringenden-Regen. So checken wir in ein chinesisch geführtes Hotel am Rande des Stadtkerns ein, bezahlen zwei Nächte im Voraus und werden in einem leicht feucht-muffigen Zimmer abgeladen. Egal, hab schon in schlimmeren Zimmern genächtigt, Regenjacke an und nichts wie die Stadt erkunden. So passieren wir den Purcell-Tower, die großen Hinweisschilder zum neuen IT-Zentrum von Pyin U Lwin und kreuzen schließlich den neuen  - über und über mit reichlich knalligen Farben dekorierten - Hindutempel. Der Hindutempel ist brandneu und seine Bemalungen sind, nun ja, wie soll ich es ausdrücken, eine ziemlich gruselige farbtechnische Zumutung - zumindest für den allgemein akzeptierten europäischen Farbkanon. Aber, da wir ja nicht in Europa sind, geht hier alles - auch farblich ... und das ist auch gut so, finde ich.


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    Jede Stadt in Asien, die etwas auf sich hält, hat einen Marktplatz oder gar eine Markthalle - im Idealfall beides. Natürlich auch Pyin U Lwin (das übrigens Pin O Leeh ausgesprochen wird), die, als aufstrebende IT-Stadt versucht, den feucht-kühlen britischen Verwaltungsmuff los zu werden. Der Markt besteht aus einer riesigen Halle und wird zusätzlich von offenen Ständen und burmesischen Ich-AGs eingerahmt, die innerhalb weniger Minuten überall aus dem Boden sprießen. Es ist früher Nachmittag und der Aufbau des mobilen Marktes ist in vollem Gange. Wir lassen uns treiben, der Sog der Menschen zieht uns erbarmungslos in das Innere des ökonomischen Dämmerlichts. Hier gibt es alles, von der Ginsengwurzel - feilgeboten von chinesisch anmutenden alten Männern, Tisch-und Stuhlgruppen aus Kunststoff, fette Reishändler  - mit dunkler indischer Haut und den mandelförmigen Augen der Shan, hagere moslemische  Gewürzhändler, deren traditionelle Takkas (Gebetsmützen) dem Häckeldeckchen meiner Großmutter zum Verwechseln ähnlich sehen. Die Halle ist ein riesiger Raum, dessen Dach auf steinernen Pfeilern ruht, die mit leichtem Steingewölbe verstrebt sind. Dazwischen tummelt sich die gesamte ethnische Belegschaft, die sich unter dem Minoritätenhimmel Burmas versammelt hat. Es ist herrlich laut, chaotisch und unverschnitten real, denn überall wird gehandelt, Waren werden befühlt, geprüft und begutachtet, Geschäftsabschlüsse getätigt oder auch nur Gespräche geführt. Ein beturbanter Sikh starrt mich an, als wir seinen Stand passieren, er lässt alles stehen und liegen, eilt mir nach, stellt sich mir mit einem Strahlen in den Augen und dem breitesten Lächeln, dessen ein Mensch sich hinreißen lassen kann, in den Weg. Er will wissen, ob ich je in Amritsar war, deutet mit seinen Händen auf mein orangenes Halstuch, was ich tatsächlich vom Goldenen Tempel mitgebracht habe. Er freut sich spitzbübisch über diesen Zufall, redet unablässig auf mich ein, zeigt mich förmlich herum - alle umliegenden Händler werden auf dieses bahnbrechende Ereignis eingestimmt. Welche tiefen Heimatgefühle ihn bewegen müssen, wo er, wie er mir berichtet, noch nie in Amritsar gewesen sei. Schließlich lässt er uns in die Dämmerung der riesigen Halle weiterziehen, wo uns andere Kulturen, einer eisernen Faust gleich, umschließen, festhalten und alle Aufmerksamkeit abringen. In diesem dunklen Wirrwar der Basargassen, durch das gedämpfte Murmeln von Dialekten, dem Anblick fremder Gesichtszüge, dem Schimmern bunter Bekleidung und durch den Duft seltsamer Gerüche tritt für den Reisenden der orientalische Minoritätenschmelztiegel Burmas am ehesten zu Tage.


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   Dann sind wir schlagartig in einem Teil des Basars, in dem das Lächeln der Menschen verstummt, als wir vorbei schlendern. Finstere, missbilligende Blicke verfolgen unsere Schritte und wo noch vor wenigen Sekunden heitere Ausgelassenheit über uns komische Bleichgesichter die zwischenmenschliche Kommunikation beherrschte, ist jetzt Schweigen. Naiverweise sind wir einfach durch die Basargänge gelaufen und haben jetzt den Abschnitt der muslimischen Händler erricht. Schimpfworte hallen laut über die Standtheken und durch eindeutige Kopf- und Handgesten werden wir rüde aufgefordert zu verschwinden. Seltsam, wir sind uns keines religiösen oder kulturellen Fauxpas bewusst und dennoch erlebe ich hier in Myanmar das erste Mal in meinen Reisen rund um den Globus eine unschöne Situation mit Moslems. Schlagartig fühlen wir uns nicht mehr wohl und verlassen die Markthalle, um uns in den äußeren Marktbezirken ins pralle Leben der Straßengastronomie zu werfen.

   Um die Markthalle tobt das pralle Leben - hier werden Waren jeglicher Art verladen, abgeladen und aufgeladen. Drücke mich in sicherer Entferunung an den uralten Dieselschleudern vorbei, denn die Marktjungs sind so konzentriert in ihren routinierten Handgriffen, dass ich nicht versehentlich gegriffen und verladen werden will. In kürzester Zeit sind hier offene Schnellrestaurants, Kleinstunternehmer und Bauchladenbesitzer tätig geworden und haben ihr Warensortiment nach bestem Marketingwissen entladen, entstaubt und kundenorientiert auf der Verkaufsfläche angeordnet. Dieser professionelle Vorgang beinhaltet auch eine sehr typische asiatische Handbewegung, der ich unbedingt ein paar Zeilen widmen muss - die richtige Handhabung des Staubfeudels! Ja lieber Leser, dem reisenden Bleichgesicht in der Fremde mag es zwar unwahrscheinlich vorkommen, aber Asien ist ein sehr reinliches Fleckchen Erde, auch wenn wir Ureinwohner der Alten Welt glauben, dass wir - nun ja wohl eher die peniblen Schweizer, die Reinlichkeit erfunden haben ... lächerlich diese Annahme! Man stelle sich diesen Vorgang


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in etwa so vor: Nach der Platzierung der Ware kramt man aus einer - nicht näher definierbaren Kiste - ein, inzwischen farblich ebenfalls undefinierbares Stück Stoff, dessen Altersbestimmung selbst den genauesten High-Tech-Gaschromatografen der Firma BASF vor ein digitales Rätsel stellen würde. Vergraut, ausgefranst und ästhetisch eher aus der Kategorie www.fiese_laeppchen.de, umgreift man nun beherzt einen Zipfel des muffigen Gewebes und drischt mit kurzen, rhythmisch- knallenden Schlägen auf das Produkt ein. Dabei entsteht ein markerschütterndes Geräusch, dessen peitschenähnlicher Sound selbst hoch trainierte Traber spontan in einen wilden Jagdgalopp verfallen lassen. Diesen Vorgang habe ich in allen Teilen des Vorderen Orients gesehen, sodass ich im Stillen genetische Evolutionstricks vermute und die Menschen hier einfach mit dieser Handbewegung geboren werden. Nach einer ausgiebigen Lappendrescherei aller Waren, verharrt der gemeine asiatische Lampenputzer als solcher in einer saharaverdächtigen Sandsturmwolke, die sich im Verlauf mehrerer Minuten dann als gleichmäßiger Farbschleier wieder auf alles niederlegt, wodurch auch sämtliche Spuren des Be- und Entladens getilgt wurden. Nun ja, wenn jetzt der ein oder anderer kritische Leser nachdenklich eine Augenbraue hochziehen und anmerken möchte, dass es diese Handbewegung in unserem Kulturkreis auch gibt, dann kann ich das natürlich nur bejahen - vermutlich aber nur in einer niederbayrischen Benediktinerabtei, wobei die Jungs dann kein fieses Läppchen sondern eine Neunschwänzige Katze in der Hand hatten.  „Problem yok“, wie Hassan ... Man kann nicht sagen, dass sie hier keine eigenen Systeme entwickeln können. Getoppt wird das eigentlich nur noch von dem Burmesen in Bagan, der hockenderweise vor einen Tempel den roten Sand gefegt hat ... Wunder über Wunder des Orients.


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   Zum Essen landen wir bei einer gemütlichen Burmesin, die irgendetwas pfannkuchenartiges produziert. Mit Wonne haut sie Eier in einen schier uralten, flachen Wok, der vermutlich in grauer Vorzeit mit den mongolischen Horden über die schneebedeckten Hänge des Himalayas in dieses Land gekommen ist. Ihr, für diese Breiten eher unüblicher Leibesumfang, lässt darauf schließen, dass sie ihre eigene Küche ziemlich mag. Ein unschlagbarer Indikator für uns hier für unser Straßenmenü einzukehren. Der berockter Longhi-Ehemann rührt wie ein Wahnsinniger in einer riesengroßen Schüssel herum, deren Volumen bestimmt eine ganze Kompanie burmesischer Straßenbauer in einem Rutsch sättigen könnte. Selbst für burmesische Verhältnisse ist er rappeldürr, so dass er sich hinter einem hölzernen Strommasten umkleiden könnte, was mich sofort nachdenklich stimmt, denn entweder mag er ihr Essen nicht oder aber sein Stoffwechsel ist um Längen besser als der ihre. Trotzdem wagen wir eine Kostprobe und bestellen leichtsinnig zwei der handgefertigten Teigwaren. Eigentlich alles wie bei uns: das Eisen einfetten, Eiermasse in das siedende Öl geben, frische Zutaten drauf, ausbacken und fertig - einwickeln, essen! Beruhigt schauen wir ihren routinierten Handgriffen zu, bis sie in eine große Schüssel mit geschnittenen Chilis greift, und diese liebevoll auf der gesamten Fläche des Eierkuchens verteilt. Im hintersten Winkel meines Gehirns laufen nun auf den neuronalen Autobahnen Katastrophenszenarien von Mundhölenverbrennungen, wasserfallartiger Schweißperlenbildung im Genick und von erbarmungslosen Toilettengängen auf allen Abenteuerklos, die sich am Wegesrand bieten. Natürlich sind wir die einzigen Bleichgesichter weit und breit und natürlich sind wir umgeben von einer Traube neugieriger Burmesen jeden Alters und Geschlechts. Also hier die erste chilienthemmte Dschungelprüfung für das reisende Bleichgesicht, Augen zu und durch! Liebevoll reicht die Köchin ihr Eierprodukt über den Tresen, hübsch verpackt in eine grellbuntgedruckte burmesische Tageszeitung, die ich eventuell noch als Notfall-Toilettenpapier benutzen kann. Aber, man höre und staune, es ist scharf, jedoch nicht so scharf, dass ich eine vermeintlich rotierende Kreissäge in meiner Speiseröhre vermute. Der Auflauf der Einheimischen hat sich verflüchtigt, da sich nicht genügend skurrile Bleichgesichtershow entwickelt hat und so können wir relativ unbehelligt umhergeistern, um das bunte Treiben zu genießen. Tja, lieber Leser, was heißt schon „bunt“? Es ist sehr Vielfältig hier, hm - schwierig - vielfältig originell trifft es wohl besser. Da wäre zum Beispiel die Latsche, nun ja, dazu habe ich bereits genügend Informationen preisgegeben. Nein ich meine die Absatzlatsche für die haute-coture-


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bewusste Burmesin von heute. Die modebewusste Burmesin ist in der Regel eher kleinwüchsig - das ist ein Fakt! Wie bereits erwähnt, schaue ich immer über ein Meer von schwarzen Haaren, wenn ich in Asien über die Märkte schlendere. Nun ist Burma ja inzwischen an das Internet angeschlossen, es gibt westliche Fernsehshows, sowie damit verbunden natürlich auch den Drang nach Materialisierung des westlichen Lifestyles, und letztendlich werden auch westliche Schönheitsideale präferiert, egal, wie ästhetisch fragwürdig das herrschende Ideal ist. In Dar Er Salam habe ich mal eine riesige Bildwerbung gesehen, die für „Skin Bleeching“ - Produkte warb. Wie bekloppt muss man sein, um sich irgendwelche Chemie auf die Haut zu schmieren, damit die dunklen Pigmente ausbleichen. Verrückte Welt, an der unsere anscheinend immer enger werdende geistige Spirale in den Köpfen des Westens nicht ganz unschuldig ist. Da finde ich die grellbunte Plateaulatsche ein eher harmloses Unterfangen, sich einem vermeindlich körperlichem Ideal anzunähern. Hier haben findige Latschendesigner eine Lösung für den weiblichen Drang nach nicht vorhandener „idealer“ Körperlänge gefunden - die Plateaulatsche. Das muss der geneigte Leser sich jetzt so vorstellen: Man nehme eine normale burmesische Addilette, dengele ein keilförmiges Kunststoffplateau darunter und schwupps ist mangelnde Physis ausgeglichen. Jetzt kommt das modetechnische Feintunning, wo Stoffgüte, Musterversatz und Textur ins Spiel kommt. So lassen sich mir nichts dir nichts unauffällig mindestens 3-4 cm Körperlänge mühelos und sehr stylisch hinzugewinnen. Natürlich darf man den schleppend-schlappenden Gang nicht vergessen, denn am Ende bleibt es eine Latsche, die einfach nur eine schlurfende Fortbewegung zulässt. In der markteigenen Latschenabteilung gibt es alle, genauer gesagt - einfach alle - möglichen Modelle dieses Schläppchentyps, von großflächigen Hibiskusmustern bis hin zu dezent hausmeistergrau. Der Renner ist natürlich, dass man ein „nacktes“ Modell kauft und es vor Ort passend zum Kleid im selben Stoffmuster bezogen bekommt. Und das sagt man bei uns, „Design on Demand“ wäre keine Geschäftsidee. Während ich so sinnierend vor der weiblichen Latschenabteilung herumlungere, überlege ich, ob ich nicht meine Birkenstock Gizehschlappe in grauem Kammgarn beziehen lassen sollte, damit sie perfekt zu meinem Bürooutfit passt. Fragen über Fragen.


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   Am frühen Abend setzt wieder der fiese britische Sprühregen ein und treibt uns in der Dämmerung zurück in unser feuchtes Hotel. Am Tresen hockt immer noch der gelangweilte junge Mann und spielt - ebenfalls gelangweilt - an seinem chinesischen Smartphone herum. Interessanterweise scheint Facebook sich hier großflächig eingekauft zu haben, denn fast alle Burmesen „betreten“ den virtuellen Raum des Internets über die Facebookwebsite .... Die Begriffe „Aufklärung und politische Mündigkeit“ geistern immer irgendwo im hintersten Winkel meines Großhirns hin und her, aber ich wäre vermutlich genauso kritiklos erpicht auf die glitzernde, bunte digitale Welt, wenn mein Geist 50 Jahre lang nur dem kommunistischen Parolen, Einheitsmedien und Einheitsleben ausgesetzt gewesen wäre. Hier und da sieht man noch verblichene Wandmalereien kommunistischer Ideale, wie kräftige Bauern bei der Ernte, ruhmreiche Soldaten mit aggressiven Gesten und Maschinengewehren und natürlich darf der Personenkult um die „bescheidenen“, „asketischen“ (aber immer dicken) Volksführer nicht fehlen. Natürlich bietet die grellbunte Animationswelt von Facebook und Co. den größtmöglichen Gegensatz zu dem gulaschkommunistischem einheitsgrau, wer könnte den kreativ-geistig ausgehungerten Menschen diese kindliche Neugierde verübeln?




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