Schokocroissants und das schönste Arschloch von Rangoon ...
- Ingo
- 1. Juni
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juni
Depesche 01 - Rangoon - 2016

Der Eingang ist gesäumt von zwei bemalten exorbitant großen Steinlöwen, Aslan1 und Aslan 2, wie mein geneigter türkischer Basarhändler immer zu sagen pflegt und über dem vergoldeten Giebel des Einganges prangt dieses Schild: ရွှေတိဂုံဘုရား Lieber Leser, das lesen wir jetzt mal langsam und deutlich vor. Genau, „Shwedagon Pagode“ - eigentlich ganz einfach. Natürlich gibt es unmittelbar hinter dem pompösen Eingang eine riesige Latschengarderobe, denn das spirituelle Zentrum Myanmars darf man nur in angemessener Kleidung und demütig barfuß betreten. Ja, ja so ist das hier, um den Tempelbezirk zu betreten, muss man ordentlich gekleidet sein. Häufig erstaunt mich, dass gerade die achso toleranten Bagpacker immer in den abgerissensten Outfits versuchen, die sakralen Landmarks verschiedenster Kulturen zu erstürmen. Hier wird man freundlich, aber bestimmt, aus der Schlange herausgewunken und zum Anmieten feierlicher Longhis genötigt. Wir passieren den uniformierte Kleiderapell ohne kleidertechnischen Zwischenfall und eilen ins Innere des Bezirks.

Der Marmorboden ist so poliert, dass man sich nahezu perfekt spiegelt, was mich nicht gerade froh macht, denn nach 17 Std. Flug und einer kurzen Nacht, fühle ich mich geringfügig durch den Wolf gedreht. Vielleicht liegt es nicht nur am Schlafmangel, sondern auch an den 42 Grad im Schatten und den 85% (!) Luftfeuchtigkeit, die mich geringfügig schlapp machen, wer weiß das schon. Wir folgen andächtig einer langen Säulenreihen, die die großen Kolonnaden des Tempels von Luxor wie das Legoland aussehen lassen und streben auf den Fuß der sich anschließenden Rolltreppenbatterie zu, die das KaDeWe neidisch machen würde. Die letzten 50 Meter der Säulenhalle entpuppen sich beidseitig als ein durchgehender Basar für spirituelle Devotionalien. Das weitgereiste Bleichgesicht lässt hochnäsig seinen Blick über den religiösen Krimskrams wandern. Über ein ähnlich riesiges Warenaufgebot im Namen irgendeines Gottes bin ich mal in Mexico City nahe der Basílica de Nuestra Señora de Guadalupe gestolpert, deren kirchliches Andenkenhighlight ein Hologramm in DIN A3 war, welches, je nach Kippwinkel, ein kitschiges Jesusantliz zeigte oder Juan Pablo Secundo - Papst Johannes Paul II. Wenn ich ehrlich bin, ärgere ich mich übrigens bis heute darüber, dass ich nicht, im Angesicht von soviel sakral-fragwürdiger Ästhetik,


zugeschlagen haben. Nicht auszudenken, welche monetäre Wertsteigerung dieses, dieses.... wie man es auch immer nennen möchte, heute bei Ebayauktionen in Studentenkreisen erzielen würde. Also nichts, was ich nicht schon mal gesehen habe. Nun ja, bis zu dem Moment, wo ich die HK MP5-Kunststoffimitate an einer Säule lehnen sehe. Für den geneigten Leser hier die Übersetzung: Heckler & Koch Maschinenpistole 5. Aha, im spirituellen Zentrum des burmesischen Buddhismus, hm .... so, so. Wir schauen uns an, vermutlich mit dem trotteligsten Gesichtsausdruck der gesamten Menschheitsgeschichte. Die Händlerin deutet in unserer Fassungslosigkeit eher als kauftechnische Unentschlossenheit, ob wir eine oder zwei MPs wollen und beginnt mit dem ersten Verhandlungsangebot. Immer noch sprachlos versuche ich, mehr recht als schlecht, die aufdringliche Einzelhändlerin von der irrigen Idee eines Waffenkaufes abzubringen und dass wir kein, wenn auch detailgenau und liebevoll in Kunststoff produziertes Waffenimitat, für die Reise benötigen. Schließlich gibt sie auf, lächelt, aber im Grunde scheint sie nicht überzeugt zu sein, dass wir ohne dieses Produkt weit kommen werden. Das sie regen Absatz des H&K MP5 Imitats in ihrem Businessplan verzeichnen kann, beweisen die vielen kleinen Steppkes, die laut johlend und MP-knatternd zwischen den Säulen für eine imaginäre Straßenschlacht trainieren. 50 Jahre Militärdiktatur hinterlassen doch die ein oder andere soziologische Konditionierung.

Von einer ewig langen Rolltreppe werden wir den Tempelberg empor gehievt und am oberen Ende sang und klanglos im Angesicht der Shwedagon Pagode „ausgespuckt“. Mir verschlägt es wirklich selten die Sprache, lieber Leser, aber die hochglänzend vergoldete Pagode macht uns beide sprachlos. Wir ziehen uns zunächst in den Schatten eines kleinen Seitentempels, der allein für sich schon grandios ist und versuchen, visuell erst mal zu erfassen, was wir da bestaunen dürfen. Angeblich ist der Shwedagon, hier sagt keiner mehr die -Shwedagon Pagode, sondern nur noch „der Shwedagon“ ca. 2500 Jahre alt und hat schon vor Siddarta Gautamas Tod bestanden - wenn ich mich so recht an meine schmale Burmarecherche erinnere. Also scheinbar wirklich richtig alt. Irgendwo habe ich gelesen, dass auf der Pagode mehr Gold geschichtet wurde, als in Fort Knox lagert. Ob das stimmt, vermag ich nicht zu sagen. Fakt ist, dass der Betrachter unweigerlich vom Glanz des Bauwerks im Sonnenlicht geblendet ist. Die Pagode ist fast 100 Meter hoch und an der Spitze verkünden zahllose grell klingende Glöckchen ihr helles Lied zu Ehren Buddhas. Umgeben von Schreinen in verschiedenen Größen und Formen thront die Pagode inmitten der 60000m2 großen Anlage. Seit Jahrhunderten geschehen alle wichtigen Dinge Burmas hier in dieser Anlage. Der Shwedagon war bspw. Mittelpunkt der, gegen die britische Kolonialmacht revoltierenden Studenten oder die heutige

Staatschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi sprach erstmalig öffentlich an diesem Ort. Das Wimmelbild der burmesischen Gesellschaft findet hier ihre konzentrierteste Ausbildung. Dort schlendern einige Geschäftsleute im Longhi mit Aktenkoffer, hier eine Gruppe junger Frauen, herausgeputzt im Sonntagsstaat, große Ansammlungen andächtiger Mönche, die unzählige Selfies mit ihren Handys aufnehmen, alte Damen, die unter ihren Regenschirmen Schutz vor der gleißenden Sonne suchen, Großeltern mit ihren Kindern und Kindeskindern, alle mit so unterschiedlichen Gesichtszügen, das man eine grobe Vorstellung bekommt, warum Burma ein Minoritätestaat genannt wird. Hier starren mich Gesichtszüge an, die mir aus Kalkutta vertraut sind, dort sind Menschen, denen das Lächeln tiefe Fältchen um ihre mandelförmigen Augen zaubert und so von der Nachfahrenschaft der Chin-Kaiser künden, zierliche junge Mädchen, die versonnen vor einem Schrein ein bescheidenes Wa mit den Händen formen, ganz so wie ihre Vorfahren es einst in Siam taten sowie die tiefdunklen ernsten Gesichter von Menschen, die Angkor



Wat zur Blüte verhalfen. Die Menschen begegnen uns dort mit würdevoller Ernsthaftigkeit und dem Ausdruck eines tief verwurzelten individuellen Glaubens, der die friedvolle Stimmung am Shwedagon ausmacht. Einige der kleinen Schreine, die die Pagode umgeben, weisen mit hölzernen Schildern bestimmte Wochentage aus, damit die Gläubigen, je nach dem individuelle Tag seiner Geburt, dem jeweiligen Schrein ihre Aufwartung machen können. Schlendernd versuchen wir die unzähligen Details zu erfassen, was schier unmöglich erscheint, im Angesicht von Stupas, Schreinen, Unterschreinen, Buddhafiguren jedweder Größe, Glöckchen - ebenfalls jedweder Größe, der unglaublichen Materialschlacht von Gold, Marmor und aufwendigst texturierten Fliesen. Irgendwo im Schatten verbringen wir beobachtend die Mittagspause. Gegen Mittag brennt die Sonne so heiß, dass der weiße Marmor faktisch barfuß nicht mehr zu betreten ist. Da aber gerade mittags der Andrang der Gläubigen besonders starkt zu sein scheint, hat sich die Tempelverwaltung etwas Praktisches ausgedacht. Eine unendlich lange grasgrüne Badematte, die auch im Stile der 70er im Stadtbad Mitte hätte liegen können, zieht sich dem Wendekreis des Leguans gleich, um die Pagode und läd die Pilger, Gläubigen und Touristen ein, andächtig ihre Runden zu drehen. Leider heizt sich auch dieses grellgrüne Plastikmonster derart auf, dass selbst ein altgedienter und erfahrener Fakir aus Benares mit fußtechnischen Verbrennungen zu kämpfen hätte. Eingelullt von der stetigen, wenn auch ehrführchtig gedämpften Geräuschkulisse, schickt sich mein Geist an, zu transzendieren, was ich aber nicht einer lokal induzierten spirituellen Erleuchtung verdanke, sondern den 17 Stunden Flugzeit von Düsseldorf, via Bangkok nach Rangoon.


Noch bei frühmorgendlicher Dunkelheit starten wir in Düsseldorf gen Osten und die aufgehende Sonne begleitet uns einem unendlichen Morgengrauen gleich nach Asien. Alle Farben, die kurze und lange Lichtwellen in unserem Hirn darzustellen vermögen, tauchen den Horizont in ein Farbaquarell, welches ich selten gesehen habe. Am späten Nachmittag, als wir den 72. Längengrad überquert haben und Mumbai hinter uns liegt, verdichten sich die Wolken unter uns. Der Monsoon liegt in seiner Gänze über Westindien, Bangla Desh, dem Golf von Bengalen, Myanmar und Nordthailand. Über Bangkok ist die Wolkendecke recht licht, sodass wir im sanften Spätlicht des Tages Thailand erreichen. Etwas über eine Stunde Aufenthalt und nach einem schnellen Kaffee sitzen wir in einer Minimaschine nach Rangoon. Die penetrant billigen Fusel ausgasenden Amis habe ich genauso verschlafen, wie das taifunartige Unwetter, welches dieses niedliche Maschinchen hin und her geschleudert hat, als würden sich Zeus und Neptun zwischen Himmel und Ozean balgen. Das ist mein Fluch, sobald ich in irgend einem Transportvehikel Platz

genommen habe, die rhythmischen Vibrationen Eingang in mein Nervensystem und meine Synapsen gefunden habe, sinke ich in Morpheus Arme und schlafe auf einem imaginären fliegenden Teppich. Fast immer gleitet er über grüne Wiesen und Täler, von denen ich immer annehme, sie seinen das Elysium. Aber das es erwiesenermaßen keine wirklichen Zeugen für die grünen Wiesen und Täler des Elysiums gibt, bleibt meine Annahme in diesem Fall eher theoretischer Natur. Bei der ruppigen Landung erwache ich dann zu Annis völligem Unverständnis, schließlich habe ich ja das ganze Abenteuer verschlafen, von dem ihre etwas blassen Gesichtszüge künden, da könne ich ja nun auch noch schlummern bis der Kapitän in zweifelhaften Pigeon English „Parking Position“ in das Bordmikro schnorchelt. Vielleicht ist das dem geneigten Leser auch schon mal aufgefallen, dass die meisten Flugkapitäne bei ihren Ansagen tontechnische Neologismen produzieren, als hätten sie vor ihrer Karriere als Ritter der Lüfte „anne Losbude aufe Cranger Kirmes gejobbt“, deren Ansagen lauttechnisch wie eine Mischung von Froschquaken, Erdferkelgrunzen und dem Blöken einer Gnuherde anmuten. Als wir den, zugegebenermaßen niedlich-kleinen Flughafen Yangoon International verlassen, ist da der Geruch von Asien. Ich halte einen Moment inne, hole tief Luft und fühle mich sofort zu Hause. Im Kopf geht eine Achterbahnfahrt der Erinnerungen durch meine Hirnwindungen und auf der Taxifahrt durch das tiefdunkle Rangoon sehe ich immer wieder die Dai Hoc Bah Khoa in Hanoi vor mir, an der mein kleines Apartment lag. Es erstaunt mich immer wieder der, zu welchen intensiven Erinnerungen gerade auch der Geruchssinn fähig ist. In einer kleinen dunklen und engen Gasse hält unser Taxi und wir stehen vor unserem Guest House. Natürlich ist unser Zimmer nicht frei, denn die darin nächtigen Traveler aus China mochten es so sehr, dass sie nicht ausziehen wollten und da wir nun ja eh mitten in der Nacht ankommen, sei ein halbe Nacht in einem anderen Zimmer wohl nicht so schlimm. Natürlich waren sie informiert, dass wir erst gegen 11 Uhr nachts einreisen würden, aber den Chinesen gefiel halt unser Zimmer so gut. Aha, offenkundig sind wir im Orient angekommen.

Der Morgen beginnt mit Schokocroissants in der Bäckerei am Ende der Gasse. Anders als bei uns, ist hier die Füllung schön zart, wärmebedingt natürlich fast flüssig und das Croissant um die Schokolade herum schmeckt auch nach einem französischen Buttercroissant, nicht wie unsere labbrigen Augenwischer, die mit 5% Butter schon Buttercroissants heißen dürfen. Tja, lieber Leser, das seltsamste ist der Verkehr in Rangoon. Im Vorfeld habe ich Anni in den schillerndsten Farben die seltsamen Auswüchse asiatischen Verkehrsgebahrens gezeichnet, derer ich jahrelang von Hong Kong bis Delhi und von Vientiane bis Saigon ausgesetzt war. Nun ja, wie soll ich es sagen? Der gemeine Burmese hält bei Rot an der Ampel an, ja wirklich. Ist es zu fassen, da fährt das abenteuerverwöhnte Bleichgesicht ins ungewisse Abenteuer und die Autos halten bei Rot, es gibt Straßenmarkierungen, die peinlichst beachtet werden und Fußgängerampeln. Bin ziemlich konsterniert, denn es gibt kein einziges Moped. Normalerweise, also in jedem guten orientalischen Verkehrschaos, spielt die 25er Honda Spirit jeden Alters und Aussehens, eine fundamentale Rolle im Hinblick auf die Nahtoterfahrung des westlichen Abenteurers. Da ist ja der

Verkehr in Gelsenkirchen-Ückendorf nervenaufreibender als in Rangoon. Verwirrt checke ich meinen Kalender, ob es einen zweiradfreien Feiertag in Rangoon gibt, die Ampeln von buddhistischen Mönchen eingesegnet werden oder aber die 25er Honda wirtschaftlich sanktioniert ist. Aber nichts dergleichen, der Verkehr fließt ruhig und geordnet dahin und versprüht dabei den Charme einer langsam kriechenden Raupe. Verrückte Welt. Verstehe ich nicht. Anni schaut mich auch ein bisschen schräg an, als ob ich den Klassiker von 1000 und 1 Nacht völlig übertrieben erzählt hätte. Aber nein, später finden wir heraus, dass irgendein König wohl keine Zweiräder mochte und sie deshalb von je her in Rangoon verboten sind. Tatsächlich sehen wir nur alle anderen üblichen Verdächtigen des asiatischen Verkehrskosmos, die Mopeds bleibt uns der Rangooner Tourismusverband schuldig.

Ich muss in der Hitze eingenickt sein, denn irgendjemand hat sanft meine Schulter berührt und mich angestubst, sodass ich plötzlich hochschrecke und in das grinsende Gesicht eines buddhistischen Mönchs blinzel. Offenkundig soll sein rotgewandeter, kahlgeschorener Kumpel ein Foto von uns beiden machen. Zack, schon sitzt der Kerl in seinem tiefroten Schnapp neben mir, legt seinen Arm um mich und wir beide grinsen in die Megapixelkamera seines neuen Samsung Galaxy. Natürlich muss der Kumpel auch ran, sie wechseln sich mehrfach ab, bis eine größere


Mönchsgruppe über den grünen Schwimmbadteppich gelatscht kommt und das Angebot zum Bleichgesicht-Selfiemarathon dankbar annimmt. Unweit unseres Guesthouses gibt es ein Digitalstudio und im Angesicht dieser unverhofften Popularität überlege ich, ob der Druck mehrerer 100 Autogrammkarten nicht für ein ruhigeren Reiseablauf sorgen würde. Doch genauso schnell, wie die Selfiorgie seinen Anfang nahm, ist der Pfad der digitalen Berühmtheit wieder versiegt, und wir sind nun mehr nichts weiter als namenlose Pilger an dieser heiligen Stätte.
Wie viele Stunden wir um den Shwedagon gepilgert sind, weiß ich nicht mehr, denn es gibt soviel zu sehen und für unseren ersten Tag in Burma war das ein ganz schönes Marathonprogramm in Sachen Spiritualität. Auf dem Rückweg passieren wir wieder die beiden großen „Drachenlöwen“ - die sogenannten „Chinthe“ - Wächter“. Beim Betreten des Tempels war uns nicht aufgefallen, dass, nun ja, die Kehrseite der beiden „Wächterlöwendrachen“ ebenfalls verziert ist. Wie soll ich es formulieren, - hm - lieber Leser, also Anni und ich sind uns einig, dass das die schönsten Arschlöcher von Rangoon sind.
