Royal Burmese Railway nach medizinischer Art . . .
- Ingo
- 2. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Depesche 03 - On The Road - 2016

An diese Fahrt werde ich mich noch lange erinnern, denn einer Zeitreise gleich, könnte der Kontrast zwischen Rangoon, den einsamen Landstrichen und dem beschaulich-wuseligen Pyay nicht größer sein.
Die eigentlich modern erscheinenden blau grünen Waggons werden von einer rostbedeckten geschwärzte Diesellok angezogen und bald kriecht der Zug wie ein langsamer krabbelnder Tausendfüßsler schnaufend durch die mittleren und äußeren Stadtzentren von Rangoon. Wir passieren alte Kolonialbauten, deren Fassaden derart nach konservativen viktorianischen Architekten aus London riechen, dass man fast vergessen könnte, im hinteren Orient zu sein. Typische asiatische Betonhässlichkeiten wechseln sich mit grünen Stadtvierteln ab und natürlich tauchen überall kleine, mit Blumenketten behängte und von dicken schmierigen Wachsschichten überzogene Schreine und die stets präsenten goldenen Pagoden auf. Allen Ortes hängen dicke, gordisch-verknotete Stromkabel und verbinden sich neigende, verblichene Holzmasten mit fahlgelb gestrichenen Häuserzeilen, deren Beton stellenweise den Widerstand gegen den unaufhörlichen Monsoon schon eingestellt hat. Sehe vor meinem geistigen Auge den netten, etwas korpulenten Elektriker der Stadtwerke vor mir, wie er in seiner adretten technisch-urbanen Dienstbekleidung kopfschüttelnd und mit prüfendem Blick die ausgefallene Laterne vor meinem Haus wartet. Dann sehe ich ihn förmlich ebenso kopfschüttelnd vor dem undurchdringlichen Knoten der offiziellen Kabelstränge sinnieren, mit ihren guerilliamäßig montierten und verkabelten individuellen Satellitenschüsseln aller im Haus wohnender 328 Fernsehgerätbesitzer, der unisoliert angekoppelten Stromversorgung für die Garküche am Fuße der Häuserecke, tote Leitungsenden, zerbrochene Porzellanisolatoren, die, ähnlich einem Gerippe, traurig an der Wand vor sich hinkorrodieren. Die Seitengassen sind bevölkert von spielenden Kindern, dahin eilenden Frauen mit Marktkörben und Tragetaschen und den obligatorischen alten, ausgemergelten Männern, die, auf der Flucht ihres eintönigen Lebensabends, im Schatten wild wuchernder Grünpflanzen über wunderlichen Brettspielen hocken.

Hier und da überqueren wir eine Hauptstraße, auf der sich zaghaft ein geordneter Stau gebildet hat, wenn auch weit davon entfernt ein zünftiges asiatisches Verkehrschaos zu sein. Der Übergang von dicht bevölkertem Stadtgebiet zu ländlicher Idylle kommt plötzlich. Als der Zug Fahrt aufnimmt, liegen die Randbezirke der Metropole hinter uns, und wir tauchen ein in eine fas- zinierende Menschenleere, deren Reiz in der unendlichen Weite von tiefgrünen Reisfeldparzellen und palmenumwaldeten vergoldeten Pagoden besteht. Das Reisen mit der Eisenbahn in Asien hat einen ganz speziellen Rhythmus. Wie überall in Indochina oder Indien sitzen wir auch hier auf dem Trittbrett der geöffneten Türen, was in der Monsoonzeit unverzichtbares Mittel ist, um den chronischen Lüftungsnotstand in den Zügen zu bekämpfen. In der Deutsche Bahn schier unvorstellbar, doch hier Alltagsnormalität, die uns Gelegenheit gibt, unmittelbar den Elementen ausgesetzt zu sein. Die angenehme Geschwindigkeit, mit der der Zug die Ebenen Burmas durchfährt, ist so weit von unserem Höher-Schneller-Weiter-Drang entfernt, dass die geruhsame Monotonie der Zugbewegungen sich zum medidativen Mantra ent- wickelt, dessen Losgelöstheit die Veränderungen von Land, Vegetation und Menschen erst erfahrbar machen. Mein Gehirn kann all diese spannenden Veränderungen wahrnehmen, das Dahingleiten des Zuges hilft mir auf einer wahrnehmbaren Welle der kulturellen Veränderung zu surfen. Wo gerade noch Weite meine Augen im Bann hält, ist plötzlich tiefster Urwald und die Zweige der Mangobäume, das lose Buschwerk und die Palmenblätter schlagen förmlich an die Waggons und die Undurchdringlichkeit der Natur lässt mich wörtlich zurücktreten. Dann gibt es

wieder weite Reisfelder und Dörfer, deren Menschen so arm sind, dass sie in hölzernen Bruchhütten leben. Windschief die Löcher im Dach mit der weltweit verwendeten blauen Bauplane notdürftig geflickt, mit Fundamenten aus groben Holzpfählen, die man am Rande der Reisfelder in den graubraunen Schlick ge- trieben hat. Von uns würde niemand in diesen Hütten überleben, den Schmutz und die Einfachheit ertragen, geschweige denn die Verwahrlosung, die sogar Gekkos meiden. Dann schließt sich nahtlos ein kleiner Pagodenbezirk an, von tiefem Grün umgeben, die Stupa von glänzendem Gold und rundet den Lebenskontrast ab, der, für uns schier unverständlich, in diesem Teil der Erde aber typisch ist. Für uns steht das glänzende Gold der Stupa int einem kaum ausdrückbaren Kontrast zu der ärmlichen Erscheinung mancher Dörfer, dass unser Verstand scheinbar keine erklärende Vereinbarung zwischen diesen Extremen generieren kann. Verständlich im Angesicht eines tiefen Glaubens der Bindung an das ewige Rad des Lebens, auf dem die unendliche Folge des Gehens und Wiederkehrens weit wichtiger ist, als die kurze Existenz des Seins im Hier und Jetzt.

Der Zug schiebt sich schwankend, ächzend und zitternd über die krummen Schienen gen Nordosten, deren Verlauf sich Burmas Lebensader dem Irrawaddy orientiert. Hier und da überqueren wir seine Seitenarme, die schlammigbraune Wassermassen führen und deren mäandrie- rende Flussbetten tief im Schutze üppig verwachsener Vegetation verborgen sind. Überhaupt regnet es mehr, als ich es aus Indien oder Indochina gewohnt bin. Die Reisfelder sind randvoll, die rote Erde der Wege fernab von Asphaltstraßen haben sich in zerfurchte rote Schlammpisten verwandelt und bald, wenn die Trockenzeit anbricht, werden diese tiefen Erdfurchen den Bus- und Mopedfahrern ihr ganzes Können abverlangen.


Burmas Züge bewegen sich auf einem Schienennetz, das vermutlich älter als 100 Jahre ist, und wir befahren gerade den ältesten Teil, denn bereits 1877 wurde die Strecke Rangoon-Pyay in Betrieb genommen. Für meinen Rücken fühlt es sich auch an wie 1877. Das einschläfernde Rütteln, Ächzen und Wimmern von Stahlgerippe, Bremsen und Holzverschalungen diverser Bahnlinien in verschiedenen Teilen der Erde kenne ich recht gut, jawohl, aber dem burmesischen Zug als solchem wohnt eine kleine aber feine Eigenheit inne. Die meisten Züge mit der britisch-kolonialen Spurweite von 1m oder kleiner schwanken beim Beschleunigen bedrohlich, wie ein schlingern- der Seelenverkäufer vor Kap Hoorn. Wer beispielsweise berichtet, dass er in der Ugandabahn zwischen GilGil und Nakuro seekrank wurde, dem glaube ich sofort, natürlich voller Mitgefühl aber auch mit der leichter Schadenfreude des gleichen Schicksals. Ja wirklich, einfach aus der Tatsache heraus, dass mich auf gleichem Streckenabschnitt ähnliche Magenverstimmungen befielen, und das, obwohl ich gar nicht zur Seekrankheit neige. Doch zurück zur burmesischen Eisenbahn... Die nun mehr als 100 Jahre im Bahndamm befindlichen Schwellen sind zumeist immer noch aus Holz, dessen Eigenschaft von Schwinden und Quellen, je nach Hitze und Feuchtigkeit, zum Verziehen der Stahlschienen geführt hat. Zu den schwankenden Fischkutterneigungen kommt jetzt noch ein temporär auftretendes Hüpfen der Waggons beim zügigen Überfahren der verzogenen Schienenbereiche, sodass für den geneigten Reisenden wunderbare Scherbewegungen entstehen, die je nach Scherbewegungsstärke zum Entstehen oder Lösen von Blockaden in der Wirbelsäule führen. Außerdem steht in der Regel vorn auf der Lokomotive ein zweiter Mann und signalisiert dem Lokführer das Tempo zu drosseln, wenn die Verbiegungen des kolonialen Schienenstrangs gar zu heftig sind. Man kann nicht sagen, dass für die Gesundheit und die Sicherheit des Fahrgastes nicht gesorgt würde.
