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Pangabars Air Con Lodging House . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 2. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Depesche 04 - Zwischenstopp Pyay - 2016



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Abgekämpft setzt uns ein Taxifahrer mit seinem monumentalen Seitenwagen im Dunkeln vor unserem anvisierten Guesthouse ab. Besser gesagt, wir vermuten, dass es sich um unser Guesthouse handelt. Die gesamte Straße ist in so tiefer Finsternis versunken, dass dagegen sogar ein schwarzes Loch in irgendeiner Galaxy hell wirkt. Er wendet und wenige Sekunden danach hat ihn die tiefe verschlafene burmesische Nacht verschluckt, sein Rücklicht sowieso, da es gar nicht funktionierte oder schlichtweg nicht existent war. Vermutlich schaut Anni genauso ratlos drein wie ich, aber in Anbetracht der uns umgebenden Schwärze bleibt es bei einer Vermutung meinerseits. Also grabe ich in meiner Umhängetasche, die, neben meinen Kameras auch allerlei handliches McGyver-Zeug beinhaltet, nach der überlebenstechnischen Notbeleuchtung, als sich direkt vor uns knarzend eine Tür öffnet und der herausfallende Lichtkegel die schwarzen Umrisse einer seltsamen Gestalt umrandet. Die untersetzte Gestalt hat längere Haare, ein Poloshirt und natürlich den üblichen Longhi an und trägt, nicht zu vergessen die bereits mehrfach erwähnte burmesische Einheitsplastiklatsche. In re- lativ flotten Englisch fragt er, ob wir zu Pangabars wollen. Vermutlich erwecken wir gerade den Eindruck von zwei Mondkälbern, die man beim Grasen auf dem Planeten Sirius gestört hat, so dass die Gestalt breit grinst und uns im Pangabars willkommen heißt. Wir treten in einen geräumigen hölzernen Garagenvorbau ein, der von einer schalen kalten Neonröhre in gleißendes Licht getaucht wird. Der gedrungene Burmese mustert uns abschätzend, was mich nervös macht, da meine weiße Haut im Schein einer Neonlampe immer den romantischen Eindruck einer Wasserleiche annimmt. Mit wenigen Schritten ist er an einer schräbbeligen


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Kommode, öffnet so mühselig und geräuschvoll eine der Schubladen, dass ich unwillkürlich an das Modell “Trulleberg” denken muss. Vor unseren erstaunten Augen wird die flache Aufbewahrungskiste in eine Rezeption umgewandelt und schon hat der Kerl unsere Pässe in der Hand und erledigt mit dem ebenfalls erwähnten burmesischen Einheitskugelschreiber den schriftlichen Teil der Vermietungsformalitäten für ein Doppelzimmer. Natürlich schreibt auch dieser Kulli nicht gleich im ersten Anlauf - Monsoon halt - sodass wir uns leicht schmunzelnd anschauen. Über der Impro-Rezeption hängt ein großes hölzernes Schild, welches stolz von der namhaften Einrichtung kündet, in der wir Aufnahme begehren: Pangabars Air Con Lodging House. Liebevoll gemalt, in blumigen lateinischen Lettern. Air Con hört sich toll an, denn mir rinnt das Wasser schon wieder den Rücken entlang, obwohl ich in der typischen Faultierpose verharre, die ich mir in den letzten Tagen in Rangoon angewöhnt habe. Mit einem breiten Grinsen reicht er uns die amtlichen Dokumente  zurück, wir entrichten den fulminanten Preis von ca. 9 US$ für eine Nacht. Durch ein enges Labyrinth von holzgetäfelten Gängen, entstanden durch unzählige Anbauten, bringt er uns zu unserem Doppelzimmer. Hilfsbereit schließt er die Tür auf, knipst das Licht an und  wir stehen, im wahrsten Sinne des Wortes, in einer Bretterbude.


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    Als wir die hölzerne Tür hinter uns schließen, erzittern allsamt die Wände, die ebenfalls scheinbar aus sperrholzverdächtigem Baumaterial angefertigt sind. Nach burmesischen Verhältnissen ist das Zimmer aufwendigst möbiliert, ein Stuhl, dem ich nicht mehr Gewicht zumuten möchte als meine airlinezertifizierte 9,5kg schwere Reisetasche, ein zierliches Tischchen, welches ebenfalls eher zerbrechlich denn massiv zu sein scheint und ein Doppelbett mit orangefarbenen Plastikmoskitonetz. Die Vorhänge und auch die blumenbedruckte Bettwäsche sind schon ein ziemlicher Angriff auf meine farbharmonieverwöhnten Sinne und darüberhinaus auch leicht klamm. Aber zu meiner großen Freude gibt es eine voluminöse Air Condition, zu deren System auch eine nicht minder große Fernbedienung gehört. Der direkt daneben montierte schnöde chinesische Miefquirl hätte den geneigten Burmareisenden stutzig machen sollen. Leider entlockt die Fernbedienung, deren Dimensionen mich an meinen Texas Instruments Taschenrechner der Untertertia erinnert, der monströsen Aircondition nicht die geringsten Lebenszeichen. Als Mann der Tat prüfe ich zunächst die Batteriefächer, um umgehend festzustellen, dass sich kein stromgebendes Hilfsmittel im Innern befindet. Das manuelle Einschalten scheitert dann letztendlich auch an der Si- tuation, dass das Stromkabel hinter dem Vorhang lang herunter hängt und der eigentliche Stecker wohl dringend woanders gebraucht wurde. Diese bestürzende Tatsache rückt den chinesischen Ventilator wieder ins Zentrum unseres Interesses. Das billige chinesische Plastik rastet mit lautem Klacken, ein unverkennbarer Klang unserer späten 70er Jahre, vorschriftsmäßig in allen drei Geschwindigkeitseinstellungen ein. Stufe drei fahren wir sofort wieder runter, da das Gerät mit einem so zierlichen Nagel im Sperrholz verankert ist, dass sich zum normalen Monsoonschweiß spontan auch fundamentaler Angst- schweiß hinzugesellt, die fernöstliche Elektronik könne sich rotierend selbstständig machen und einer Kreissäge gleich die Wände entzweiteilen. Aber wir sind nicht verwöhnt, alles ist funktional und darüber hinaus haben wir einen Mordshunger, sodass weitere Funktionstests der örtlichen Gegebenheiten verschoben werden. Das Stadtzentrum ist nur zwei Straßen weiter und dort wäre das beste Haus am Platze noch geöffnet. Uns werden unkompliziert zwei Schirme in die Hand gedrückt, da schließlich Regenzeit ist und schon fällt die Tür des Verschlags zu und wir stehen wieder im Dunkeln.


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   Was macht der routinierte Globetrotter in Fällen totaler Finsternis, wenn er das Stadtzentrum sucht? Aber klar doch, dass wussten schon Winnetou und Old Shatterhand, man benutzt sein Gehör und geht natürlich in die Richtung mit der größten Geräuschkulisse. Nachdem wir weit mehr als die angegebenen 2 Straßen in der Dunkelheit umhergeirrt sind, landen wir vor einem spärlich erleuchteten Vorhof, auf dessen brüchiger Betonplatte gut dreißig Plastikstühle stehen, von denen eine fußballbegeisterte Meute Besitz ergriffen hat. Nun ja - offenkundig nicht das beste Haus am Platz. Doch in Asien naht immer irgendwo Hilfe, eine der festen Grundregeln für den geneigten Asien-Reisenden. In der Finsternis gabelt uns ein finsteres Taxi auf, dessen Fahrer von der Natur mit einem finsteren Gesichtsausdruck gesegnet wurde. Der finstere Taximann liefert uns dann vorschriftsmäßig im Stadtzentrum, tatsächlich wenige Straßen von der versammelten Fußballveranstaltung entfernt, vor dem vielgelobten kulinarischen Tempel ab. Das Stadtzentrum von Pyay ist auch dunkel, aber aus der burmesischen Sterne-küche klingt wohlfeile Geselligkeit zu uns herüber. Der Moment unseres Eintritts wird sicherlich in die Analen der Stadtgeschichte von Pyay eingehen, in unsere ganz bestimmt. Wir betreten das, inzwischen mehrfach empfohlende lokale Geschmackskleinod und sofort herrscht Totenstille. In einem gut 10 x 20 Meter großen Raum sind unzählige verschiedenfarbige burmesische Einheitsplastiktische mit passendem Gestühl verteilt. Überall hängen Andamanbier- und schnöde Coca Cola-Werbeplakate. Die Küche ist offen und eine Batterie an Frauen ist in selbiger mit dem Kochvorgang beschäftigt. Alle verharren wie schockgefrorene Heringe der Eismeerflotte und wir werden von allen, aber auch restlos allen, angestarrt. Nur das unverständliche Gejaller des burmesischen Sportmoderators, das lauthals aus dem überdimensionierten Flatscreen, welcher immer noch in die Plastikfolie des Herstellers eingeschlagen ist, schallt durch die Räumlichkeiten. Wir schmettern ein fröhliches Mingalarba in die Runde und die Stimmung ist gelöst. Neben der Verzückung des Besitzers nun doch endlich in den Kreis der internationalen Küche


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aufgenommen zu sein, glotzen uns besonders die älteren Herren in ihren Longhis wie Mondkälber an. Doch nach schier endlosen Minuten, die mir schon ein bisschen wie Stunden vorkamen, werden die Gespräche wieder aufgenommen und die sportbegeisterte Fraktion der Besucher wendet sich wieder den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu und beschäftigt sich wieder mit der Pöhlerei auf dem Spielfeld. Der Hausherr reagiert mit Professionalität auf die internationalen Besucher und sucht verbissen Personal, das in der Lage ist, mit uns zu kommunizieren. Die Wahl fällt nach hitzigen Diskussionen auf einen jungen Kerl, einen ganz jungen Kerl, bei dem der Kneipier rudimentäre schulische Englisch- kompetenzen vermutet. Der Junge grinst uns verlegen an und geleitet uns an einen freien Tisch, der wenige Minuten vorher noch voll besetzt war. Vermutlich die üblichen Verdächtigen, die es weltweit in jeder guten Bar gibt, einfach in ihrem angetrunkenen Zustand vom Stuhl geschubst und unauffällig zur Hintertür geleitet. Natürlich gibt es keine englische Karte, sondern nur eine burmesische Speisekarte, eingeschweißt in eine nahezu erblindete und leicht fettige Folie, die in lustiger Blümchenschrift eine Aufzählung enthält, was der Laden so zu bieten hat. Ernsthaft spricht der junge Mann auf uns ein, wir vermuten einen harten New Yorker Akzent, denn wir verstehen kein Wort. Um den armen Kerl die Peinlichkeit zu ersparen, dass wir offenkundig nichts verstehen, nicken wir zu seinen Vorschlägen und harren der Dinge, die da kommen. Die Tochter des Hauses strahlt uns durch den Gastraum, der zur einen Hälfte Fußboden und zur anderen planiertes Erdreich aufweist, hindurch an und hält eine Coke und ein Andamanbier in die Höhe. Mit strahlendem Lächeln und verschiedenen Armhebe- und Senkbewegungen, die auch Lord Nelsons Flaggensignale bei Trafalgar zur Ehre gereicht hätten, wird die Getränkefrage für das internationale Klientel der Lokalität geregelt. Dann kommt ein suppenähnliches Gericht mit irgendwas drin und einem asiatischen Blechlöffel, der die wunderliche Mischform eines Kuchenhebers und einer Suppenkelle hat. Leider ist das Blech so dünn und darüber hinaus schon so massiv durch kräftige Kau- und Mahlbewegungen diverser kräftiger Unterkiefer deformiert, dass ich mich nicht traue, das Werkzeug zu benutzen. Da stelle der geneigte Leser sich doch mal die unfassbare Peinlichkeit vor, dass das weitgereiste Bleichgesicht im besten Haus am Platz den Löffel abbeißt. Schließlich kann man in Asien überall mit Stäbchen essen, pah - kein Ding - wir sind vorbereitet und zaubern unsere zerlegbaren Essstäbchen aus dem abgegriffenen Reisegepäck, schrauben die chinesischen Zivilisationswegweiser zusammen und alle Unterhaltungen werden, ob dieses benimmtechnischen Sakrilegs, wieder eingestellt und wir werden bestaunt, als wäre die Queen in Unterwäsche eingetreten. Flugs wird der junge Mann gescholten, dass er nicht sofort an die Stäbchen gedacht hat. Nachdem er sich in einer Hundertstelsekunde neben unserem Tisch materialisiert hat, die Stäbchen abwirft, um sich umgehend wieder aufzulösen, greifen wird das kneipeneigene Esswerkzeug, halten es dankend hoch, lächeln in die Runde und ich hoffe, dass die Flut von Peinlichkeitsschweißperlen unter meinem Shirt nicht auffallen. Aber das Lächeln bringts! Ist international für - alles ist gut! Inzwischen lachen auch die alten Männer und das Fußballspiel scheint sich zur Sideshow zu entwickeln. Vermutlich denken alle, „was für Deppen, bringen ihre eigenen Stäbchen


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mit....“ Trotz der Undefinierbarkeit ist das Essen extrem lecker und schon bald sind wir fester Bestandteil des lokalen Abendprogramms. Trotz der späten Stunde füllt sich der Laden zunehmend und uns dämmert langsam, dass die Meute nur reinschaut, um die zwei Bleichgesichter zu sehen, die da inmitten des wogenden Gästemeeres hocken und ihre eigenen Essstäbchen dabei hatten. Interessanterweise quarzen alle Männer wie die Weltmeister in der Fressbude und da nicht alle Geld für ein Feuerzeug haben, hängen überall Feuerzeuge an Gummibändern von der Decke, die vermutlich aus alten Fahrradschläuchen hergestellt werden. Zigaretten verkauft der Wirt zudem einzeln, sodass häufig gar kein Getränk konsumiert wird, sondern “Mann” nur zum Rauchen vorbeikommt.

   Anscheinend sind wir die beiden einzigen Bleichgesichter in Pyay, denn während sich schon fast alle Einwohner von Pyay in Morpheus Arme gegeben haben, geht der fröhliche Abend im, nun mehr internationalen, “Burmesischen Hof” weiter. Wie der Laden hieß, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, denn auch die Beschilderung war nur in Blümchenschrift. Aber was solls, wir sind super freundlich aufgenommen worden, hatten leckeres, wenn auch undefinierbares Essen, waren Stadtgespräch und haben für sehr viel Lächeln beigetragen. Man kann nicht sagen, dass wir nicht die kulinarische Szene von Pyay entscheidend in ihrer Internationalität geprägt hätten.






































































































































































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