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Noch mehr Götter, Gräber und Gelehrte . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 3. Juni
  • 13 Min. Lesezeit

Depesche 08 - Bagan - Tag 3 - 2016




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Der Mafioso starrt uns unumwunden an und dabei produziert er genüsslich große Ringe Zigarettenrauch mit seinem Mund. Wir sind verunsichert, klarer Fall von kri- mineller Beobachtung durch das burmesische Syndikat .... äh Glücksspiel? äh, Drogen?, äh Prostitution?, keine Ahnung - welches weiß ich nicht, aber der Kerl gehört klar dazu. Keine Frage! Er ist über und über tätoviert, trägt ein Muscle Shirt, um das ich ihn natürlich beneide bei dieser Affenhitze und starrt uns die ganze Zeit mit stahlhartem Blick an. Sagt nichts, macht nichts, sitzt da nur vor den Resten seines Frühstücks, raucht und starrt uns an. Starre zurück, bin schließlich doppelt so groß und breit, Angst riechen diese Typen. Also visueller Gegenangriff! Kein Muskel zuckt, klar, er ist ein ziemlich cooler Hund und versucht mich mit dem Blick-Spielchen aus der Fassung zu bringen. Pah - Kleinigkeit, 20 Jahre Unterricht bei Malern und Lackierern - das Blick-Spielchen habe ich schier erfunden! Er starrt gierig auf die Kamera, die ich auf dem Tisch liegen habe. Wenn du sie willst, komm und hol sie dir!, denke ich. Meist reicht es, wenn ich von meinem kleinen Plastikmonoblock aufstehe und der durchschnittliche Burmese zu mir hochschauen muss, viele Fragen erübrigen sich dadurch. Dann kapiere ich, worauf er aus ist, ich Idiot, habe mich wieder mal total verkommuniziert! Schnappe mir die Kamera, klappe den Seitenmonitor auf und während mit einem lauten Ping das audio-visuelle japanische Wunderwerk hochbootet, grinse ich ihn fragend an. Erleichtert nickt er zurück, lächelt breit und nickt mehrmals auffordernd. Er will zum Film, egal wie und wenn es nur meine Amateurkamera ist, Hauptsache posen! Schon wirft er sich in Positur und ist so cool, dass es förmlich schneit ...


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    Für gewöhnlich bekommt man in den großen Hotels das internationale britische Labberfrühstück mit welkem Toast, den unvermeindlichen backed Beans mit Eiern „sunny side up“ und - nicht zu vergessen, die Jahrhunderte alte Stütze des Empires - roten Jam. In Asien ist je-ner sogenannte Jam meist ein australisches Fertigprodukt, dessen Geschmack und Konsistenz an eine, aus polykondensierten Granulaten hergestellte Kunststoffmasse erinnert. Aber da große und exklusive Hotels ohnehin nicht so meins sind, haben wir uns im Tempelbezirk auf die Suche nach einem guten burmesischen Frühstück gemacht und sind in einer lokalen Nudelschmiede gelandet, die das reisende Bleichgesicht ziemlich glücklich macht. Auch einfach zu finden, man folge der Landstraße von Nyaung-U in Richtung Old Bagan und biege vor der Zufahrt zum Ananda einfach links ab und stoppe auf dem großen sandigen Platz, dessen zerfurchte Fahrrinnen den Weg der Massen künden. Gegenüber liegen, kaserniert hinter exorbitanten Tropenpflanzen, hohen Mauern und Zäunen - deren Erscheinungsbild an die Palisaden der Setdesigner von Treasure Island erinnern - große und namhafte Hotels. Aber um diese Zeit - es ist kurz vor 8 Uhr - hat vermutlich noch kein Tourist Freigang aus dem schwerst gesicherten touristischen Hochsicherheits- trakt. Die sandige Fläche, die sich im weiteren Verlauf in einzelne Pisten verzweigt, wird von etlichen Barracken gesäumt. Unser Frühstücksrestaurant besteht aus einer einfachen hölzerne Balkenkonstruktion, um deren Querlager sich ein schier undurchdringliches


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Kabelgewimmel schlingt, damit über jedem Plastiktisch ein funzeliges Licht hängt, dessen fahler Lichtkegel jeden Gast wie eine Tatortwasserleiche erscheinen lässt. Das abgeranzte Kunststoffmobiliar steht auf dem rohen Sandboden, der von unendlichen vielen kleinen asiatischen Einheitslatschen zementartig zu einer festen Oberfläche verdichtet ist. Die Küche ist offen und nimmt, gesäumt von den üblichen gläsernen Getränkekühlungen von Andaman Beer oder Coca Cola, den gesamten hinteren Bereich der Lokalität ein.  Für alle Gäste gut sichtbar hängt mittig zwischen Küche und Gastraum ein riesiger Flatscreen, natürlich noch in japanischem Cellophan verpackt und dudelt irgendeine angesagte burmesische Spielshow. Der quabbelige  Besitzer hängt auf einem grell-bunt gestreiftem Liegestuhl mit dem Rücken zum Gastraum, vor der fernöstlichen Glotze, umgeben von der versammelten Meute männlichen Nachkommen seiner Sippe. Irgendwie macht er nicht nur einen saturierten Eindruck, nein, seine Aura strahlt total gelangweilte satte Arroganz aus. Die Damenwelt ist hektisch mit Kochen, Servieren im Tiefflug und der emsigen Entgegennahme von Bestellungen beschäftigt. Tja, was soll ich sagen ... 50 Jahre Militärdiktatur in einer patriarchalischen Gesesellschaftsstruktur ... doch sehr männerdominiert das Ganze hier ... zumindest vordergründig. Natürlich gibt es Nudeln zum Frühstück und grünen Tee - was auch sonst. Üblicherweise bekommt das reisende Bleichgesicht, nach ein paar Wochen auf den staubigen Straßen Südostasiens einen Nudelkoller, genauer gesagt den Frühstücksnudelkoller. Dann muss schnell irgendeine, wenn auch nur im entferntesten an daheim erinnernde Frühstücksspeise her. Dann gehen heiße dampfende Nudelsuppen gar nicht - und schon gar nicht mit bitterem grünen Tee. Wenn es dann nicht mindestens ein labbriges Stück Baguette mit der bereits erwähnten australischen Plastikmarmelade gibt, stellen sich halluzinöse Katastrophenszenarien ein, in Folge derer man wunderliche Dinge zu tun beginnt. Als ich mal auf Sansibar war, habe ich, unter dem Einfluss eines waschechten afrikanischen Frühstückskollers ein, bereits Jahre, abgelaufenes Snickers für einen Mo- natslohn käuflich erworben und mich anschließend, ungeachtet des Verfallsdatums, an einem kulinarischen Glücksmoment berauscht, der jeden kokainabhängigen Hollywoodbeau neidisch machen würde. Aber soweit ist es nicht und im Angesicht des kulturellen Tempelleckerbissens, der uns erwartet, braucht mein Organismus Kraft! Nudeln!


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   Begleitet von knatterndem AK47 Maschinengewehrfeuer betreten wir den Tempelbezirk des Ananda. Nun ja, die lieben Kleinen, spirituell noch nicht so gefestigt, üben wieder den lokalen Orts- und Häuserkampf, wie mein alter Taktiklehrer es immer formulierte. In dunkler Erinnerung meiner frühen Jahre nannte man es überschlagendes Vorgehen und ganz in dieser militärischen Taktik verhaftet, toben unzählige Jungs mit ihren Plastikwaffen durch und um den Tempeleingang. Bereits der Eingang ist gesäumt mit den üblichen spirituellen Devotionalien- händlern, nur das alle Bilder, die Rangoon noch den Shwedagon zierten, durch ein Anandabild ersetzt wurden. Objektbezogenes Marketing funktioniert hier scheinbar bestens. Direkt gegenüber der heiligen Buddhaabbildungen ist die ortsansässige Pastikwaffenvertriebszentrale des Ananda. Während die Jugend in Rangoon eher deutsche Modelle zu bevorzugen scheinen legt man hier Wert auf russisches Werkzeug. Liebevoll nachgebildete AK47 - im Original auch gern Awtomat Kalaschnikowa, obrasza 47 genannt, mit nahezu authentischer Tonwiedergabe, machen den Tempelbesuch für die männliche Jugend bestimmt zum Highlight der Woche. Wir lassen den krisengebeutelten Vorhof hinter uns und betreten den Tempel, von dem gesagt wird, dass er in ganz Burma der Schönste sei. „Wer den Ananda nicht gesehen habe, der sei nicht in Burma gewesen!“, so eine gängige burmesische Aussage. Aha, man darf also gespannt sein. Im Gegensatz zu den roten Backsteinziegeln der anderen Tempeln ist der Ananda weiß getüncht und seine Shikhara ist tiefrot bemalt, während ihre reliefartigen Erhebungen leuchtend vergoldet sind. Schon in der Vorhalle kann man durch einen Torbogen die Füße sehr einer hohen Buddhafigur sehen, deren Vergoldung im


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schummerigen Licht des Tempelinneren mystisch leuchtet. Die gesamte Baukonstruktion lastet auf einem gigantischen Zentralpfeiler, an dessen vier Seiten je eine gut 12m hohe Buddhafigur thront und in eine der Himmelsrichtungen ausgerichtet ist: Kakusanda nach Norden, Konagama nach Osten, Kashyapa nach Süden und Gautama nach Westen. Wir betreten Tempel von Norden her und die ungemein friedliche Stimmung im Innern lässt einen schnell die kindertechnische Straßenschlacht im Vorhof vergessen. Im Dämmerlicht des Tempelinnern funkelt es überall goldig, der Rauch von abbrennenden Räucherstäbchen hängt in der Luft und die leise gemurmelten Mantras der Gläubigen tragen zu der Faszination dieses Ortes mit. Die Wandelgänge im Innern sind nur spärlich beleuchtet und die damit verbundene diffuse Dunkelheit führt dazu, dass man die Dimensionen des Tempels nicht so richtig erfassen kann. Hier und da entdeckt man auch Menschen, die im Dunkeln einfach ihre Reismatte ausgerollt und sich schlafen gelegt haben. Verständlich, nein wirklich - kurzfristig bin ich versucht, es ihnen gleich zu tun. Draußen herrscht inzwischen die brütende Mittagshitze und ein tempeltechnisches Powernapping ist nicht zu verach- ten. In Vientiane besuchte ich mal einen Tempel und das Zusammenspiel von affenartiger Hitze, extrem hoher Luftfeuchtigkeit und endlosen buddhistischen Mantras erzeugten eine todesähnliche Müdigkeit. So hockte ich mich in der reichverzierten Vorhalle des Mönchsklosters auf den angenehm kalten Steinboden und nahm mir vor, wenige Minuten die Augen zu schließen, um die nötige Energie für weitere touristische Kraftakte zu schöpfen. Tja, was soll ich sagen - eine gute Stunde später erwachte ich erholt, langausgestreckt, den Kopf bequem auf meiner Fototasche inmitten einer chinesischen Reisegruppe, die wild schnatternd eifrig die Deckenmalereien und meine schlafende Wenigkeit ablichteten. Also, wenn der geneigte Asienreisende Müdigkeit verspürrt, der Boden von buddhistischen Klöstern und Tempeln ist der ideale Erholungsort. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser spirituelle Run auf alles Buddhistische in unserer Gesellschaft nicht  mit dem erholsamen Schlaf auf klösterlichen Steinböden zusammenhängt. Fragen über Fragen des Orients.


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   Dem geneigten Leser erspare ich jetzt alle sakralen Details dieses faszinierenden Bauwerks und empfehle, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen, denn schließlich bin ich ja als Gestalter und nicht als Priester unterwegs. Der Gestalter hat bekanntlich immer gleich so einen, für den Laien schwer zu ertragenen Ästhetikfimmel, so dass er hernach immer gleich nach Farbharmonien, Kontrastie- rendem oder auch Symmetrien giert. Da ist der Asiat ganz anders - nein, ehrlich, ganz anders. Hm, wie soll ich es ausdrücken? Am besten eigentlich mit der  asienweit in Gebrauchg befindlichen Discolichtorgel. Lichtkonzepte in Asien folgen immer völlig anderen Gesetzmäßigkeit als es in der guten alten Welt der Fall ist. Während man in unseren Gefilden ja irgendwie versucht, mit Hilfe von Licht in Räumen Wohlbefinden zu erzeugen, sieht der Einsatz von Licht in diesem Teil der Erde ganz anders aus. Hier hat Licht verschiedene Dimensionen, wobei das Wohlbefinden meist eigentlich eine untergeordnete Rolle spielt. Da ist zunächst einmal die handelsübliche Neonleuchtstoffröhre, die sich hier Land auf und Land ab größter Beliebtheit erfreut. Sie hängt vornehmlich an Orten, wo es wirklich finster ist, wie dunkle Klösterhallen, Bahnhofsrestaurants oder gar in fensterlosen Wohnzimmern. Die dazugehörende Verkabelung ist in etwa so unentwirrbar wie ein, mit zu wenig Wasser gekochtes 500gr. Paket Barillaspagetti. Häufig haben diese Neonröhren eben jenen umwerfenden Charme, der normalerweise jeden Zahnarztbesuch zu einem Horrorerlebnis mutieren lässt. In fernöstlichen Klöstern funzeln diese Neonröhren, einem alten Flakscheinwerfer gleich, das kälteste Licht in die finsteren Ecken und Nischen der verwitterten alten Gemäuer. Vor einer halben Ewigkeit war ich mal im Kloster Choeling, welches nur wenige Kilometer von Darjeeling entfernt an den Berghängen des südöstlichen Himalayas liegt. Der Regenzeit geschuldet lag es tief im Hochnebel der Berge verborgen, und diese Tatsache erlaubte es mir, der einzige Besucher zu sein. Der Gebetsraum wurde ausschließlich nur von flackernden Öllampen erhellt, deren unruhiges Licht und russiger Rauch eine ganz bezaubernde Stimmung erzeugte. Die im Dämmerlicht liegenden Wandmalereien waren in ihrer Gesamtheit nur zu erahnen, und auch die verwitterte Gold- und Farbschicht der sichtlich gealterten Buddhafigur hinterließen beim Betrachter ein seltsam wohliges Gefühl von Behaglichkeit und Ruhe. Mit dem integrierten Blitz meiner Kamera ließen sich so tolle, sehr kon- trastreiche Bilder schießen, bis plötzlich der Gebetsraum in flutlichtartiges gleißendes Licht getaucht war, vergleichbar mit dem Aufblendlicht eines A380 im Landeanflug auf den Frankfurter Flughafen. Was war passiert? Ein Mönch, angetan mit tiefroter Robe und einer gleichfarbigen Daunenjacke, wollte mein Fotografieren unterstützen und schaltete einfach die Neonbeleuchtung an ... Nun ja, Neon bleibt Neon! Wie aber überall auf der Welt werden alt bewährte Systeme unerbittlich durch Neue ersetzt. Wo Mönche früher noch hemmungslos mit Neonröhren für Erleuchtung sorgten, setzen heute die spirituellen Zentren überall in Südostasien auf chipgesteuerte LED-Technik. Dazu werden kreisförmige Kunststoffscheiben mit strahlenförmig angeordneten LED-Reihen zentral hinter den Köpfen diverser Buddhafiguren angebracht, und ein Heer junger rotberobter Frickelmönche programmieren allenorts die tollsten Strahlen- und Farbchoreografien, die koreanische Digitaltechnik herzugeben vermag. So werden die Köpfe Jahrhunderte alter religiöser Figuren von schrill-flimmernder Discolichtfolgen umrahmt, was so kitischig ist, dass man es eher in Roppongi, Tokyos Vergnügungsviertel, vermuten möchte. Der geneigte Leser verstehe mich jetzt nicht falsch, ich rümpfe keineswegs die Nase über diese grell-bunten LED-Heiligenscheine, schließlich haben ja nicht zuletzt byzantinische Wandmaler so ziemlich die auffälligsten Goldheiligenscheine unter der Sonne erfunden. Krasse Heiligenscheine sind also kein rein asiatisches Phänomen.


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   Im Ananda ist die Lichtgestaltung hingegen noch ganz traditionell und so ist zu Füßen der nördlichen Buddhafigur eine analoge, mehrfarbige Lichterkette der Marke „Paulanerbräu Biergarten“ angebracht, die mittels Geldeinwurfs hektisch zu blinken beginnt. Dennoch ent-  lockt dieser ästhetische Anachronismus aber jedem ein warmes Lächeln, ist er doch auch irgendwie gemütlich und nimmt der Atmosphäre die spirituelle Schwere und Strenge, die zuweilen bspw. in hochgotischen Kathedralen herrscht. Im Ananda ist man ganz laid back, beten, quatschen, fotografieren, Selfiemarathon mit und ohne Bleichgesicht, hier geht alles. Jeder ist willkommen, hier gibt es ein paar Japaner, dort schlendern Inder, westliche Europäer und Amerikaner und nicht zu vergessen die Flip Flop-Aussies, für es nur ein Katzensprung hierher ist. Alle bestaunen die goldenen Flächen, filigranen Malereien, die riesigen Buddhas und die ganz kleinen Figuren, die sich zu Hunderten in Wandnischen in den Wandelgängen befinden. Ob es der schönste Tempel ist, den ich je gesehen habe, weiß ich nicht, aber es ist ein toller Ort, dessen Unbekümmertheit so ansteckend ist, dass man mit einem Lächeln diesen Ort verlässt. Wir verweilen noch geraume Zeit unter den schattenspendenden Bäumen in den vielen Innenhöfen und Säulengängen und lassen die Dimensionen dieses Bauwerks auf uns wirken. Immer wieder laufen uns - fast sprichwörtlich - die „burmesischen Kaninchen“ über die Füße. Das ist eine kleine flinke Echsenart, die aussieht, als wäre sie in türkisblauen Metalliclack getaucht. Von der ersten Echse habe ich mindestens 50 Fotos geschossen, einfach nur für den Fall, dass ich keine mehr zu sehen bekomme. Aber mit diesen Echsen ist es wie mit den Kaninchen im tiefsten Westfalen, permanent hoppelt eins vorbei.


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   Die heißen Nachmittagsstunden verbringen wir dösend in 20 Meter Höhe im Schatten direkt unter der Shikhara irgend eines Tempels, 365 Grad Rundumblick inklusive. Die späte blaue Stunde nutzen wir für planloses Erschließen der gesamten Tempelanlage. Nr. 5 bringt uns durch unwegsame kleine Trampelpfade zu den entlegensten Tempeln oder auch entlang der großen „Boulevardtempel“. Der geneigte Leser wird uns jetzt hinter vorgehaltener Hand Kulturbanausen nennen, da wir einfach keinen Überblick über all die Bauwerke bekommen, als hätten wir den DuMont Kunst- und Kultur Reiseführer Myanmar nicht aufmerksam genug gelesen. Der Wind hat sich gelegt, die Wolkendecke aufgerissen und eine ultimative Ruhe legt sich über die Palmenhaine, Pisten und Äcker, zwischen denen immer wieder Stupas herausragen. Die tiefstehende Sonne über dem Irrawaddy taucht das Land in goldenes Licht, wodurch die roten Ziegelsteine zusätzlich eine unglaubliche Wärme ausstrahlen. Die meisten Touristen sind bereits in ihre Behausungen zurückgekehrt oder versammeln sich alle am Ananda für den ultimativen Sonnenuntergang. Doch über dem Irrawaddy kündigen sich die Regenfronten für die Nacht an, sodass wir lieber die Abendsonne genießen, als auf einen Sonnenuntergang zu warten, der nicht stattfindet.

Bei Einbruch der Dämmerung geben wir Nr. 5 pünktlich zum Krafttanken wieder ab und verabreden uns mit den Betreibern für 5:30Uh am folgenden Morgen. An der Straße nach Alt Bagan, gegenüber von Nr. 5´s Basislagers liegt ein Restaurant, das traditionelles burmesisches Essen mit Puppenspiel verspricht.


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   Das Treasure verspricht natürlich alles, die gesamte Palette kulinarischer und kultureller Highlights - also die ganz authentische Küche Burmas und natürlich Puppenspiel mit Live-Musik. Wir können beides nicht beurteilen, aber meiner Erfahrung nach, sind touristische Folklore-Abende, wenn auch sehr schön grell und bunt, doch nur ein raffgieriger Griff von Veranstaltungssyndikaten in die Outdoorhosentasche des Bleichgesichts. Es gibt einige Ausnahmen, wie bspw. das Hanoier Wasserpuppentheater, aber oft ist man am Ende ärmer und reicher zugleich - ärmer an einer Stange Dollars und selbstredend  reicher an Erfahrungen, was man tunlichst nie wieder buchen sollte. Das Treasure liegt direkt an der Straße nach Alt Bagan, hübsch von einem Jägerzaun umgeben, den mancher auch gerne in Gelsenkirchen-Ückendorf hätte. Der aus dunklen Tropenhölzern konstruierte offene Gastraum hat ziemlich viel asiatischen Charme, zumindestens bis die flakscheinwerferähnlichen Neonröhren in Betrieb genommen werden. Wie üblich gibt es ein Heer an Servicemitarbeitern, die permanent um den Tisch wuseln und Wünsche aufnehmen, Gewünschtes bringen und unmögliche Wünsche ablehnen. Also gibt es typisch burmesische Shan-Küche, was der Koch mit allerlei indischen oder thailändischen „Zuschlägen“ versetzt, ähnlich einem westfälischen Betonbauer, der verschiedenste undefinierbare Kiesgrößen und -sorten seiner Mischung beifügt. Der  mediengeprägte Instagrampanscher würde es natürlich hochtrabend Fusionfood nennen und dementsprechend war viel Chi-Chi drumherum, aber eben nur überteuer- ter touristentechnischer Nepp mit der durchschnittlichen Qualität, dass sich kein einziger „Local“ im Restaurant befindet. War zu erwarten, aber wir sind zu müde vom kulturellen Marathonprogramm, dass wir das erste Restaurant stürmen, dessen wir habhaft werden können. Allerdings ist das musikalische Rahmenprogramm ein paar Zeilen wert.

   Da ich selbst nicht so der versierte Musiker bin, bringe ich den meisten musikalischen Spielarten unserer Zeit geduldige Toleranz entgegen. Die meisten asiatischen Musikinstrumente erzeugen Töne, die in unseren Breiten nur dann entstehen, wenn zwei große Limosinen frontal zusammenstoßen. Das druckbedingte Aneinanderreiben von Metallflächhen erzeugt quälend-jaulende Knirsch- und heulende Quietschgeräusche, deren Klang eine unbedingte Nähe zu asiatischen Klangerlebnissen aufweist. Da es sich bei dem dargebotenen Klangerlebnis ja um die akustische Begleitung eines Puppenspiels handelt, muss man, im Hinblick auf die wild produzierten tontechnischen Disharmonien, Milde walten lassen. Also, eigentlich ist es ja nur ein Soundtrack, also Begleitmusik für etwas, was visuell dem Betrachter dargeboten wird. Kurzfristig überlege ich, ob ich nicht eine tontechnische Aufzeichnung machen soll, denn, als Weckton eingesetzt, würden diese asiatisch-mystischen Klangfolgen jeden schlagartig aus Morpheus Umarmungen in die graue Realität des Daseins katapultieren.


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   Das Puppenspiel ist natürlich grell bunt und inhaltlich irgendwie naiv-süß, also wie Puppentheater überall auf der Welt halt so ist. Neben dem Essen und der romantischen Abendstimmung ist es natürlich eine schöne Untermalung der Atmosphäre, auch wenn die Musik eher üble Kopfschmerzen verursacht. Der Plot ist einfach zu verstehen, auch wenn man das sprachliche Gejaule nicht versteht, was aber bei Pucini nicht anders ist. Die keusche Jungfrau hat irgendein unlösbares Problem, wodurch sie mit dem langweilig hübschen Prinzen nicht zusammenkommen kann. Beide Figuren sind natürlich aufs Opulenteste in Gold und burmesische Rüschen gewandet, dass man förmlich den Glanz in den Augen der Puppendesigner leuchten sehen kann. Natürlich gibt es einen finsteren Bösewicht, der auch äußerlich durch dunkle Farben und sehr dämonischen Gesichtszüge dargestellt wird. Natürlich ist der Bösewicht immer ein verzauber- ter ehemaliger Edelmann, der, im Laufe der Story immer entzaubert, zu einer soften Milchschnitte mutiert, die alles Böse bereut. Drumherum läuft heftigstes Singen und Klatschen ab und auch die Figur des schwuppigen Hofnarrs darf nicht fehlen, dessen helle-piepsige Stimme mehr eine Karikatur denn ein Puppencharakterzug ist. Trotz der nur geringen burmesischen Authentizität hatten wir einen recht vergnüglichen Abend und ich überlege, ob nicht ein Franchisestandort der Augsburger Puppenkiste in Bagan eine berufliche Alternative wäre.

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Die anderen Abende haben wir an anderen Pagoden verbracht. Vorgestern begann es zu regnen und wir sind in die City gefahren und haben die Markthalle unsicher gemacht. Wir waren die einzigen Touristen und haben schon ziemlich viel Erstaunen und kichern hervorgerufen, nicht zuletzt wegen des großen weißen, der permanent gegen die Plastikplanen (gegen regen) gelaufen ist. Die Nudeln auf dem Markt haben meinem Hals das Fürchten gelehrt, da hier Chili das deutsche Salz ist.... ;-)))). Mittags machen wir immer Siesta, das es dann meist heiß ist. Grundsätzlich ist das Klima hier sehr angenehm, das die drückende schwüle das Südens hier fehlt. Es ist in den frühen Morgenstunden (wir stehen um 5:30 meist auf irgendeiner pagode) und in den Nachmittagsstunden (so ab 15:30) sehr schöne trockene Wärme. Wir haben versucht die Pagoden strategisch, nach dem Reiseführer anzugehen - unmöglich. Da es so unendlich viele ähnliche Bauten sind (6000!!!! Von ehem. 13000!!!!), die irgendwo verstreut in der Gegend liegen, haben wir das nur noch nach sichtkontakt gemacht. Da die Region vor 200 Jahren nahezu abgeholzt wurde, ist das Land hier völlig versteppt und nur von Akazienhainen durchbrochen. Keiner der Tempel lässt auf irgendeiner Karte (weder deutsche noch burmesische) sicher und genau lokalisieren - außer die großen natürlich. Die Unesco verweigert übrigens Bagan die Weltkulturerbe Urkunde, da diese Tempel und Pagoden immer wieder verändert und einfach neu aufgebaut werden. Man versucht sich schon an die alten Vorbilder zu halten,


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nimmt es aber nicht immer so genau. Man kann alt und „falsch restauriert“ sowie „neu richtig restauriert“ gut unterscheiden. Dazu kommt, dass die Tempel alle in aktive religiöse Prozesse eingebunden sind und es deshalb lustig asiatischen Beleuchtungen, blinkende Lichterketten o. Ä. Gibt, was der UNESCO sicherlich auch ein Dorn im Auge sein dürfte.... Aber es ist faszinierend hier. Es sind kaum Touristen hier und da alle e-mobil sind, verlaufen sich die touris. Man fährt also geräuschlos durch die tempelanlagen, begleitete von Wind, Vogelgezwitscher, Chamäleongeschnatter, über sandpisten und lässt die mystische Atmosphäre auf sich wirken. Gestern morgen hat uns zum Sonnenaufgang ein Burmese netterweise auf einen riesengroßen Tempel gelassen, der normalerweise morgens verschlossen ist. So saßen wir zum Tagesanbruch auf dem Dach des Hauses und haben uns das erwachen des Tages angeschaut. Heute haben wir unsere Besichtigung der Tempel abgeschlossen und sind zum Sonnenaufgang nur duch die Anlage gefahren, die richtig leer war. Morgen früh um 7 geht unser Bus nach pyin u lwin (sprich pjinulee). Wir umgehen Mandalay, da uns alle, inkl. der Burmesen , gesagt haben, dass Mandalay nur noch ein moloch ist und keinen touristischen Wert hat. Eigentlich ist es das wirtschaftliche Zentrum mit 6 mio Einwohnern..... Also fahren wir in die alte koloniale gouverneursstadt der Briten, an der Grenze zum shanstaat. Wir sind jetzt so richtig in Burma angekommen, das Land ist wunderschön, die Menschen unendlich offen (touristen sind selten, deshalb wollen alle ein Foto mit uns - oft haben die Menschen in den Dörfern noch keinen fremden gesehen ) nur das Essen kann sich nicht entscheiden, ob es indisch (total fettig) oder chinesisch ist.... Frühstück ist britisch für die Fremden, deshalb gehen wir lieber in die schräbbelige Nudelbude auf dem Markt...

 
 
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