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Never eat out on Delhi streets . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 5 Min. Lesezeit

Depesche 02 - Delhi - 2018


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Begleitet von den wüsten Klängen der Hupen kehre ich zurück in die Wirklichkeit .... vor dem Hotel tobt bereits der Kampf um Lücken und Fortkommen. Die Briten haben den Indern die irrige Vorstellung hinterlassen, dass alle Bleichgesichter ausschließlich Toast und Jam zu sich nehmen. Ein kleiner, des Englischen nicht mächtiger Inder, zaubert in der Küche die tollsten Sachen, aber wir bekommen wortlos Toast hingestellt. Verrückte Welt.

Dann sind wir wieder auf der Bahn. Unser Fahrer gibt alles, ignoriert alles und liefert uns in Rekordzeit an Delhis Hauptbahnhof ab. Kaum sind wir aus dem Vehikel raus, bricht das erbauliche Touristen-Gambit über uns her. Von allen Seiten stürzen dunkelhäutige Männer auf uns zu und gleichzeitig reden alle auf uns ein. Natürlich sind dieses die gepflegtesten Vertreter die Indiens Tourismus-Branche zu bieten hat: Zahnlücken, ungewaschen, alles in Allem schmierig!. Sie wollen uns natürlich die Tickets für die Weiterreise andrehen und uns zur ihren Shops gegenüber des Bahnhofs zerren. Beim ersten, der mich anfasst, werde ich laut. Den Moment verdutzten Schweigens nutzen wir und eilen in den Bahnhof, wo sich in der ersten Etage der offizielle Ticketschalter für Ausländer befindet. Kaum durch die Tür empfängt uns die Eiseskälte der Klimaanlage und britische Effizienz. Wir ziehen eine Nummer und harren der Dinge, die da kommen. Indien funktioniert in vielen Bereichen über Zusatzschilder, viele Zusatzschilder! Neben jeder offiziellen Anweisung hängen, nun sagen wir mal, weitere offizielle, wenn auch handschriftliche Anweisungen. Meist


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sehr, sehr klein und ziemlich unoffiziell aussehend, aber ungemein wichtig. Während also mein Tshirt sich langsam vom Rücken löst, entdecken wir zusätzliche Arbeitsanweisungen des indischen Eisenbahnpersonals. Bevor die gezogene Nummer zu tragen kommt, ist geflissentlich ein Zusatzformular auszufüllen, welches für Ausländer obligatorisch ist und anschließend wird der Besuch eines weiteren Bahnbeamten fällig. Passnummer, persönliche Daten, Hoteladresse, Zielort, usw. Dann werden wir freundlich an einen Counter gerufen, der mit unserer ursprünglichen Nummer nichts zu tun hat. Dort residiert der Superior Railway Ticket Manager, der natürlich Rajeed heißt und dafür zuständig ist, dass eine geeignete Route zusammengestellt wird. Mit unendlicher Geduld spielt er mit uns am Computer mögliche Verbindungen und Strecken durch und prüft die Verfügbarkeiten - und das alles mit einer Benutzeroberfläche, die bei uns schon 20 Jahre obsolet ist und vermutlich nur noch vom Landesamt für Besoldung NRW benutzt wird (weniger erfolgreich, wie ich finde). Daten werden gespeichert, ausgedruckt und er begleitet uns höflich weiter zum eigentlichen Fahrkartenkauf. In wenigen Minuten halten wir unsere Tickets in der Hand - gute 500km für 782 Rupien (knapp 10 Euro).


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   Auf der Straße werden wir wütend gemustert, aber in Ruhe gelassen. Nächster Stop ist Jama Majid, die große Moschee von Delhi. Wir entscheiden uns für ein Tuktuk, denn es beginnt zu regnen. Die Luftfeuchtigkeit ist so drückend, dass man kaum gegen das Schwitzen antrinken kann. Kaum aufgesessen sind wir schon wieder Teil des großen Wagenrennens um den großen Preis von Old Delhi. Boxenstops werden nicht gemacht, Regeln keine....als wir uns wieder festfahren, nimmt der Fahrer die alternative Strecke - über den Basar. Was soll man sagen, ich hab schon viel gesehen, aber das war..... Pure Sprachlosigkeit meinerseits. Wie Ben Hur treibt er sein Tuktuk zwischen den engen Marktständen hindurch, natürlich unter Dauerbenutzung der Hupe. Wer nicht schnell genug aus dem Weg ist, hat einfach Pech. Die Basargänge sind keine zwei Meter breit - diese Enge ist gefüllt mit Farben, Formen, Gerüchen und Geräuschen, ein auditiver Visukill für die Sinne, vom Geruch will ich gar nicht reden. Diese Idee hatte nicht nur unser Streitwagenpilot, nein, diese Idee haben viele. Es gilt Zeit wett zu machen, haben wir doch einen Festpreis vereinbart. Natürlich gibt es im Basar noch mehr Fahrzeuge, wie Mopeds, Royal Enfields, Elektro- rikschas, Fahrradrickschas und Lastenfahrräder....


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   Die Nebenstrecke scheint bekannt zu sein. Interressant wird die Verkehrssituation, wenn ein Lastenfahrrad auftaucht, das ca 3m lange Stahlstangen geladen hat. Aber wir überleben, sah längere Zeit nicht so aus, doch es klappt. Mit einem Ruck kommt das Tuktuk vor der beeindruckenden Silhouette von Jama Majid zu stehen, wir werden hinauskomplimentiert und schon ist der Fahrer im Fluss des Wahnsinns untergetaucht.

   Wir entledigen uns unseres Schuhwerks, zahlen die 2$ Eintritt und stehen auf dem Vorplatz vor drei großen Kuppeln, die seitlich von zwei Minaretts gesäumt werden. Für Nordindien typisch wurde hier alles aus rotem Sandstein gebaut und unter unseren Füßen fühlt sich der Boden seltsam weich und irden an. Nicht zu erwähnen, dass alles voller Menschen ist. In Indien ist übrigens immer alles voller Menschen. Man ist nie allein, irgendjemand schaut einen immer an, nie unbeobachtet und beim kleinsten Vorfall hat man hunderte interessierte Inder um sich. Wenn man nach dem Weg fragt zum Beispiel - von dieser irrige Annahme, dass man Antworten bekommen könnte, muss man sich unbedingt lösen. Alles was passiert, ist nur ein Auflauf von - sehr hilfsbereiten - Indern, die einem aber nie irgendwie weiterhelfen können.


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   So besteigen wir das linke Minarett, von dem aus man einen herrlichen Blick über Old Delhi hat, zumindest, wenn man sich in die vordere Reihe gequetscht hat. Die Menge an Menschen auf dem Minarett verhindern auch, dass der beträchtliche Wind (35 Meter hoch) durch die Öffnungen schlägt. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass Sightseeing eine Freude sein soll, auch nicht beim Propheten. Ein wichtiger Bestandteil des Marketingkonzepts von Jama Majid ist, dass man seine Latschen mit reinnehmen kann. Für gewöhnlich klicken wir die Dinger immer an unseren Taschen fest, da fast alle Tempel oder Moscheen mehr als einen Ausgang haben. Kurz vor der Minarettbesteigung wird das westliche Bleichgesicht aufgehalten, und zwar nur das westliche Bleichgesicht, und muss aus „Sicherheitsgründen“ für 10 Rupien die Pantoletten im Basiscamp zur „Sicherheitsverwahrung“ abgeben. Gut, wir sind neu in dem Land und vielleicht ist die Besteigung ja so gefährlich, dass das Sinn macht. Bewundernswerter Weise erklimmen die Inder, ja schier todesmutig Jama Majid mit ihren Latschen. Unsere Bewunderung war ihnen sicher.


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Trotz der zunehmenden offenen Demonstration ihres Glaubens (vor 10 Jahren waren kaum verschleierte Frauen auf den Straßen Old Delhi), sind auf dem Moscheegelände alle recht entspannt. Wir werden zu 100ten von Selfies genötigt, eben wie eine Statue oder was anderes Exotisches. Um diese Zeit des Jahres sind nicht viele Touristen in Delhi und deshalb produzieren Annis blonde Haare gerne den ein oder anderen Selfie- Auflauf.

   Mitten in der Nacht stellen wir fest, dass wir das Essen im Restaurant nicht vertragen haben. Und nach ei- ner unfassbaren Nacht ist klar, dass wir uns wohl eine klassische Lebensmittelvergiftung zugezogen haben. In meinen heißkalten Fieberträmumen werde ich immer wieder von schwarzen Drachen heimgesucht. Obwohl ich schon als Kind glaubte, dass am Ende Drachen sein würden, erwiesen sich deren schlagende Flügel dann doch harmloserweise als die Rotorblätter des Deckenventialtors.

   Vier Tage verbringe ich zitternd und schwitzend im abgedunkelten Hotelzimmer und starre auf ebenjenen Drachen-Ventilator, dessen mantrische Rotationen zu einem schwarzen Loch werden, in dem die Zeit verschwindet.

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