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Mehr Götter, Gräber und Gelehrte geht nicht . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 3. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Depesche 09 - Bagan - Tag 4 - 2016



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Bei Sonnenaufgang gleiten wir, getrieben vom Wind des frühen Morgens durch kleine menschenleere Ruinenansammlungen, die sich eher so am Rand des Tempelbezirks befinden. Hier gibt es in unmittelbarer Nähe zur spirituellen Zone Bagans kleine Höfe mit Nutzvieh, und die dazu gehörigen landwirtschaftlichen Ackerflächen liegen eng verteilt zwischen großen und kleinen Tempel- anlagen. Beide Pole der burmesischen Gesellschaftsstruktur stoßen hier nicht nur aneinander, sondern hier findet sprichwörtlich eine Durchdringung von Sakralem und Profanem statt. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass ein Bauer seine Zugochsen an einem kleinen Tempel anbindet. Warum auch nicht, denn hier in Bagan stehen mehr Tempel rum, als es bewohnbare Häuser gibt, sodass eine prakmatische Zweckentfremdung nur natürlich erscheint. Der bäuerliche Lebenskontext ist hier immer noch überaus stark geprägt durch das Zusammenleben von Mensch und Tier und natürlich abhängig vom jahrhundertealten Zyklus des Monsoons. Eigentlich ist gerade Regenzeit, aber die Hochebene von Bagan zählt zu


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den trockeneren Gebieten Myanmars und die geringere Luftfeuchtigkeit erlaubt ein entspannteres Reisen, als im subtropischen Pyay oder Rangoon. Nach dem Frühstück in unserer authentischen Nudelbude, ohne einen „Mafiosivorfall“, wird die Wei- terreise geplant. Nr. 5 bringt uns mit fulminanten 12 km/h über die old Bagan Road wieder nach Nyaung U. Am „Busbahnhof“ bekommen wir keine Tickets, dazu muss man in ein ortsansässiges Reisebüro. Wir ergattern zwei komfortable und höchst offizielle Sitzplätze in einem ölsardinendosengroßen Kleinbus, der in den Morgenstunden des Folgetages von Nyaung-U über Mandalay nach Pyin U Lwin fährt. Zumindest so die Theorie ... aber Indiana Jones ist immer auf der Hut, denn das Transportwesen westlich von Wien ist immer vergleichbar mit einer Wundertüte - man weiß nie, was drin ist. Darüber hinaus wird uns versichert, dass die rollende Sardinenbüchse uns gegen 8:30 Uhr entspannt an unserem Hotel abholt, lachhaft - klappt nie! Den restlichen Tag verbringen wir mit den Besuchen der restlichen Außenbezirke Bagans, insbesondere der Uferregion am Irrawaddy.



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   Im Laufe des Vormittags wird es drückend heiß unter einer dicken, grauen Wolkendecke, der blaue Himmel der Morgenstunden ist verschwunden und die Luftfeuchtigkeit erzeugt einen Druck im Schädel, als wären wir abends im Treasure mit mehreren Flaschen Gin versackt. Der schlammige Irrawaddy fließt breit und träge in seinem Bett zwischen den Höhenzügen und hat extremes Hochwasser, so dass man auf der gegenüberliegenden Seite keine klare Uferlinie mehr ausmachen kann. Wir landen an einer Pagode, die aus einem neu vergoldeten bauchigen Zylinder mit einer kleinen Si- ddharta darauf besteht und sich inmitten einer gefliesten Fläche befindet. Nun ja, was soll man dem geneigten Leser berichten, vor allen Dingen demjenigen, der über ein gewisses Maß an ästhetischem Verständnis verfügt. Leider ist die ästhetische Qualität der „Roswita, weiß - 20 cm x 20 cm“ so bedenklich, dass für den Orientreisenden die wunderschöne mystisch-spirituelle Wirkung des strahlend vergoldeten Relikts verpufft und stattdessen der nüchterne Charme eines Duisburger Hallenbades aus den 80ern aufzieht. Aber, das sind nur Erste-Welt-Pro-bleme, für den gläubigen Buddhisten aus Bagan tut der Schwimmbadcharme der heiligen Stätte keinen Abbruch. Vielleicht bin ich ja auch einfach schon so pagoden-technisch kulturell völlig überfüttert, dass ich die einfachsten spirituellen Pragmatismen nicht mehr verstehe. Vielleicht sind die Fliesen nur ein metaphysischer Hinweis auf bu- ddhistische Reinigungsriten und meine ästhetischen Impressionen sind nur missinterpretierter und gar wohlüberlegter architektonischer Spiritualismus. Nun ja, Wunder über Wunder des Orients.


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   Auf dem Weg zum Nat Taung Kyaung Kloster werden wir schlagartig ins Mittelalter versetzt, was mich ziemlich wundert, denn spätestens seit „Back to the Future“ wissen wir doch, dass man für Zeitsprünge hohe Umdrehungszahlen benötigt. Nr. 5 scheint aber stoisch nicht mehr als 12 km/h leisten zu wollen und auch gutes Zureden führt nicht zum Elektrogeschwindigkeitsrausch. Das Kloster ist tief eingebettet in die lokale Dorfstruktur, die die Ufer des Irrtawaddy an dieser weiten Flussbiegung säumt. An einem Dorfbrunnen stehen Frauen mit Wasserkrügen und lautes Gelächter zeugt von humorvollem Miteinander. Kinder wuseln durch die Botanik, hüten Vieh oder üben den allgegenwärtigen Straßenkampf mit den bereits liebevoll gearbeiteten AK47-Repliken. Rappeldürres Vieh lungert überall rum und ist durch nichts aus der Ruhe zu bringen, auch nicht durch das herabtropfende Reinigungswasser der frisch aufgehängten Bettwäsche, die sich, wie von Geisterhand bewegt, auf Lei-nen zwischen den Holzhäusern hin und her wiegen. Die meisten Holzhäuser stehen auf Stelzen, haben normale, ja schon langweilig anmutende Giebeldächer, während die Wände aus dichtem Holzgeflecht einen ungewöhnlich dynamischen Charakter aufweisen. Die mobile Habe ei-ner Familie, wie Mopeds, Einspänner oder Fahrräder, sind direkt unter dem Haus aufgetürmt und so vor den sintflutartigen Regenfällen dieser tropischen Gegenden ge-schützt. Der gelb-beige Sandboden ist von den Überflutungen des großen Flusses, der in unmittelbarer Nähe der Siedlung träge gen Golf von Bengalen fließt, glatt gespült und verdichtet.



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   Das Kloster ist nahezu ganz aus Holz gebaut, steht dem Hochwasser geschuldet auf Stelzen und weist alle architektonischen Exotikdetails auf, die ein mystischer Ort in Asien so braucht. Neben den zwei spitzen Türmen entfalten sich unendliche mantraähnlich wiederholende Holzdekorationen, sodass sich vor meinem geistigen Auge förmlich eine Batterie burmesischer Laubsägenvirtuosen materialisiert, deren höchstes Streben es ist, das zu Holz gewordene Filigrane zu manifestieren. Und wir sind allein! Jawohl lieber Leser, wir sind allein! Ungewöhnlich für Bagan, aber wir sind völlig allein. Ein paar Mönche hängen im Kloster ab, aber da wir ungünstigerweise gegen Mittag hier hereinschneien, wird uns die sonst übliche asiatische Überschwenglichkeit erspart und nur ein rappeldürrer Novize, mit dem unvermeidlich kahl geschorenen Kopf und riesigen braunen Augen, folgt uns auf Schritt und Tritt. Vermutlich ist unser Erscheinen interessanter, als das Hüten der häuslichen buddhistischen Artefakte. Das Innere des Kloseters verströmt den morbiden Charme eines luftdicht verschlossenen Mausoleums auf  Pére Lachaise. Die


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Feuchtigkeit der Regenzeit ist tief in alle Winkel der heiligen Bretterbude gezogen und Staubwischen scheint hier keinen tradierten Stellenwert zu haben, denn alles ist dick mit Spinnweben überzogen, sodass ich mich spontan in den feucht-modrigen Hades eines indischen Antiquitätenhändlers aus Kalkutta versetzt fühle. Mystische Fabelwesen aus dunklem Holz geschnitzt, über und über mit dicken, staubigen Spinnenweben überzogen und von fahlem Sonnenlicht schwach erhellt, erinnern unschwer an eine zu dick aufgetragene Szenerie eines Indiana Jones Setdesigners. Nur das hier ist real und völlig unverfälscht. Hier und da künden laminierte Infoblätter in englischer Sprache von einem nur spärlichen Touristenaufkommen. Als die unerbittlich ansteigende Mittagshitze uns aus dem hölzernen Backofen vertreibt, hat sich ein chinesisches Touristenpaar zu diesem verwunschenen Ort verirrt.

   Der Rest des Tages ist schnell erzählt und ich erspare dem geneigten Leser die minutiöse Chronologie weiterer Tempelanlagen, einfach aus der Tatsache heraus, dass ich schlichtweg nicht mehr weiß, wo überall wir auf welche Steingemäuer geklettert sind. Es waren aber viele - soviel ist sicher!


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