geister mögen keine perfektion . . .
- Ingo
- 23. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Juli
Depesche 06 - 23.07.2025 - Nikko Tempelbezirk

Heute ist geballte Kultur angesagt. Aber so richtig. Wir sind immer noch geflasht. Mehr Deko geht nicht, wirklich nicht! Da würden sogar Neumann und Nißler neidisch. Wenn der geneigte Leser jetzt gerade die Namen Neumann und Nißler nicht parat hat, ich kann da beruhigen. Das gehört jetzt nicht unbedingt zum Allgemeinwissen, obwohl . . . Na ja, die beiden Typen haben letztendlich die exorbitant überdekorierte Barockkirche Vierzehnheiligen in Oberfranken gebaut. Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass Vierzehnheiligen schon in der Dekooberliga spielt, doch auch unserem heutigen Besuch des Tosho-Gu von Nikko muss ich da noch mal in mich gehen.

Nun, beginnen möchte ich mit der Dynastie der Tokugawas. Vielleicht doch nicht, denn wer hätte jetzt Zeit eine Querlesung des 600 Seiten starken Standardwerks über Japans Feudalzeitalter zu lesen. Also versuche ich die Sache westfälisch kurz und knapp zu halten, damit der geneigte Leser auch noch zum wohlverdienten Feierabendbier kommt. Der Tosho-Gu in Nikko ist ein Shinto-Schrein, ungefähr um1617 erbaut und dem Shogun Togukawa Ieyasu gewidmet. Aha, so so. Das wars im Grunde auch schon mit den Backgroundinformationen. Der Rest ist jetzt nur noch die übliche machthungrige Makulatur, wie das Abschlachten von politischen Gegnern und Rivalen, das monetäre über-den-Tisch-ziehen des kleinen Mannes - dabei den ausgepressten Schluckern die entstandene Reibungshitze als wohlwollende obrigkeitsgewollte Nestwärme verkaufen und vielleicht noch ein paar unauffällige Morde innerhalb des eigenen Clans, damit einem keiner aus der buckligen Verwandtschaft die absolute Macht zunichte macht. Was soll ich sagen. Die Herrschaft von Tokugawa Ieyasu hat gut 30 Jahre gedauert und er hat innerhalb dieses Zeitraumes, als absoluter Herrscher über Japan, die Kontrolle gehalten. Nicht schlecht und das ging bestimmt auf die nette Art. Aber es gibt die nette Art und es gibt die nette Art. Natürlich hat der Kerl sich ja um Japan verdient gemacht, sonst hätten sie ihm ja nicht so einen Backs dahin geflanscht. Der liebe Kollege Tokugawa Ieyasu spielte die Schlüsselrolle bei der Vereinigung Japans zu einer Nation. Die dadurch in seinen Händen gebündelte Macht, hat seine feudalen Buddies, die auch mit Schwertern rumstocherten, sicherlich überhaupt nicht gestört. Vermutlich fiel der ein oder andere aus dem Fenster eines höheren Burgstockwerks oder aber, man wachte als Daymio - Landesfürst - morgens unversehens neben einer kuschligen Giftviper auf, wer weiß das schon. Vielleicht wurde einem so ganz aus Versehen der Kopf abgehackt, weil man in der nervigen Verwandtschaft ohnehin gerade etwas aufgeräumt hat. Wirklich, das passierte hier öfter in der guten alten Zeit, als noch alle Poser mit zwei Langdolchen aufschneiden mussten und dabei nutzlos in der Gegend herumstanden. Zack, das zischte schon die Klinge vorbei und man blieb sozusagen auf dem Kopf seines, sagen wir mal Cousins sitzen. Doch, trotz dieses eher unschönen historischen Beigeschmacks, ist der liebe Tokugawa Ieyasu eine der wichtigsten Kerle in der Geschichte Nippons. Hier noch so ein Fakt, den ich auch nur mal irgendwo zufällig gelesen habe. Als der Kaiser ihn zum Shogun ernennt, beginnt eine Periode in Japans Geschichte, die man das Edo-Zeitalter (1603-1868) nennt. Der Shogun ist übrigens die Position im alten Japan, die alles darf und nur dem Tenno - also den Himmelssohn - Rechenschaft schuldig ist! Da der Tenno aber natürlich viel zu göttlich ist, durfte er mit so schnöden Belangen, wie Bürgerkriege, Hungersnöte und reine staatliche Willkür nicht belästigt werden. Womit wieder der Shogun alles klarmacht und regelt. Cooles System, ist bestimmt Gewaltenteilung in Reinkultur. Doch ich war bei der Edo-Zeit stehengeblieben. Die japanischen Geschichtsbücher nennen diese Zeitspanne, die friedlichste und wohlhabendste Zeit in der langen Geschichte des alten Japan. Aha, so so. Tokugawas Hauptsitz war die Handelsstadt Edo. Das das Örtchen natürlich ziemlich proper wurde ist ja klar, wo der Sohn der Stadt über ganz Japan herrschte. Aus dem alten Edo geht die heutige Metropole Tokyo hervor. Wie gesagt, wurde bestimmt alles geschmeidig auf die nette Tour geregelt!

So, nu´ zurück zum Schrein, sonst verliert der geneigte Leser Übersicht und Geduld! Der ganze Backs ist also dem ersten Toki gewidmet - jaha, da gab mehrere von - und seine Asche hat man ein Jahr nach seinem Tod auch dorthin überführt, wodurch der Toki einen Gottstatus erlangt hat. So hab ich das mal gelesen. Warum man dadurch gleich in die Götterriege aufgenommen wurde, sagen wir mal, ohne je ein Tor gegen den 1. FC Osaka eingelocht zu haben, ist mir nicht klar. Aber manch mal muss man die Sachen eben so nehmen, wie sie auf den Teller kommen. Die letzte Ruhestätte von Toki haben wir uns natürlich auch angeschaut, also dat Gefäß, nicht die Asche! Aber die Architekten wollten was ziemlich Besonderes an den Hang dengeln, so was total Göttliches. Daher sind im Tempelbezirk nun acht maßgebliche Gebäude, die einen schon ziemlich beeindrucken können.
Zu den krassesten Gebäuden in Nikkos Tempelbezirk gehört die fünfstöckige Pagode, über die der kulturbegeisterte Reisende gleich in der Nähe des Haupteingangs stolpert. Die fünf Stockwerke stehen für die Elemente der Existenz, ach so die! In aufsteigender Reihenfolge der Stockwerke sind da Erde, Wasser, Feuer, Wind und Leere. Also, das mit der Leere und der menschlichen Existenz hab ich da noch nicht so richtig durchdrungen. Wir sind aber auch gerade erst eingereist, wird wohl noch as mit der Erleuchtung . . . Was soll ich sagen?

Vorbei anne 5-Etagen-Pagode, liegt linksseitig erstmal ein Pferdestall. Neben der Tatsache, dass es ein ganz süßes japanisches Holzhaus ist, in dem Bani sich wohl gefühlt hätte, findet man aussen an der Fassade, die mit Abstand berühmteste Schnitzerei Japans. Das Relief der drei weisen Affen. Der erste „sieht nichts Böses“, der zweite „spricht nichts Böses“ und der dritte „hört nichts Böses“. Mizaru, Kikazaru und Ivazaru. Aha, so so. Dieses geschnitzte Relief gehört zu einer Serie von acht am Stall des heiligen Pferdes, in denen Affen verwendet werden, um die Phasen des menschlichen Seins darzustellen, mit einer Weisheit für jede Stufe. Gott, alles hier ist so irre bedeutungsschwanger. Die „drei Affen lehren heute noch Kindern“, wie sie schlechten Dingen im Leben aus dem Weg


gehen können, indem sie nichts Böses sehen, sprechen und hören. Bei uns wurde das im teutonischen Abkürzwahn zu „nichts sehen, nichts hören und nichts sagen“ umgemünzt. Halt alles eine Übersetzungsfrage, die in diesem Fall dabei jedoch bei uns den allgemeinen Grundgedanken verliert, wie ich finde! Die Schnitzereien sind sehr schön und auch handwerklich sehr kunstvoll, so dass ich das ein oder andere Foto von den drei pelzigen Philosophen schieße. Gegenüber liegt ebenfalls eine ziemlich bizarre und doch denkwürdige Schnitzerei - der Sozo-no-zo oder auch der imaginäre Elefant genannt. Er wurde von einem Kerl geschnitzt, der niemals einen realen Elefanten gesehen hat. Krass oder? Man sieht gar, dass es ein Elefant sein soll, so Rüssel und so, aber, wenn man die lange Pachydermennase weglassen würde, ginge der Körper des Tieres vielleicht auch als Wasserbüffel durch. Fragen über Fragen des Orients.


Wenn man nun weiter schlendert, was mit zunehmender Tageszeit schwierig wird, denn aus Tokyo sind haufenweise Schulbusse angereist, gelangt man über symmetrisch angeordnete Pagoden und Treppen zu Japans verziertestem Tor - dem Yomeimon-Tor. Das Ding ist echt der Kracher. Wirklich! Wir haben schon viel gesehen, doch dieses Tor, so klein es auch ist, ist eines der schönsten Bauten, die ich je gesehen habe, so viel ist mal sicher! Es weist 508 detaillierte Schnitzereien von Kindern und älteren Menschen sowie Fabelwesen auf. Das Bauwerk gilt als beispielloses Meisterwerk japanischer Handwerkskunst aus der Edo-Zeit, was ich sofort unterschreiben würde. Wir verbringen etliche Stunden rund um das Tor und doch gelingt es uns nicht, die gestalterische Gesamtheit des Tores zu erfassen. Inzwischen ist es ziemlich voll. Schulklassen, Chinesen, ein paar versprengte Westtouristen und hauptsächlich Japaner besuchen die Schreine. Wie viele Geister auch gekommen sind, wissen wir nicht. Darüber schweigt sich der japanische Tourismusverband einfach aus. Frechheit. Denn nun kommen wir zum feinen Detail.



Das Yomeimon-Tor gilt baulich als stein- und holzgewordene Perfektion. Das scheint die Geister massiv gestört zu haben. Ich finde auch, es gibt Perfektion und uns gibt Perfektion. Ist vermutlich wieder mal so gelaufen, dass die Geister keiner gefragt hat. Also sahen sich die Baumeister gezwungen, eine der zwölf Grundsäulen kopfüber zu verbauen, sodass der Hang der Geister nach dem Unperfektem im Bauwerk genüge getan war. Aha, so so. Hätte man gleich nachgefragt, hätte es keinen Stress gegeben. Allerdings weiß man natürlich nicht, wie die Geister sich so eingebracht haben, in die konzeptionelle Seite des Bauvorhabens. Fragen über Fragen des Orients! Wie gesagt, wie viele Geister heut zu Besuch waren kann ich nicht sagen, obwohl wir uns sicher sind, etliche gesehen zu haben. Vom











Yomeimon-Tor gelangt man zum inneren Schrein des Tosho-Gu, also sein bedeutendster Teil. Natürlich müssen wir die Galoschen ausziehen und auf Socken in das Heiligtum, in dem jährlich etliche Feste zelebriert werden. Wir sind vorbereitet und haben uns extra weiße Söckchen mitgebracht, damit wir da vornehm-spirituell auffahren können. So wandeln Annika-sama und Ingo-sama langsam durch die hölzernen Laubengänge, deren Blattgold so fein aufgetragen ist, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen habe. Stelle mir vor, wie ich hier jeden Morgen, angetan mit Hakama - dem traditionellem japanischem Hosenrock - und weißen Söckchen mit einer Tasse Milchkaffee durch die Laubengänge defiliere. Könnte mir gefallen, so viel ist mal sicher! Leider ist hier das Fotografieren verboten und die Einhaltung wird auch ziemlich genau - nämlich digital - überwacht. Wie gesagt, der Backs ist echt










beeindruckend. Dann müssen wir die Pantinen wieder anziehen und es gilt Treppenstufen durch den Zedernwald empor zu klimmen, um dem Bronzegefäß in dem Tokis Asche rumliegt, seine Aufwartung zu machen. Doch vorher passieren wir noch die schlafende Katze. Der geneigte Leser hat richtig gehört - die schlafende Katze. In Japan haben sie es eh mehr so mit Katzen, als mit Hunden. Von Hachiko mal abgesehen. Nemuri-neko oder die schlafende Katze ist ein super kleines Holzrelief einer schlafenden Katze, das am inneren Torsturz zum Zedernwald angeflanscht ist. Auf der Rückseite des Tores weist ein Relief zwei fliegende Spatzen auf. Diese Koexistenz der Tiere soll eine friedliche Zukunft für das neu vereinte Japan symbolisieren. Aha so so. Für uns eher unscheinbar, doch all die Japaner bekommen einen glasigen Blick beim Anblick der Katze, deren Augen geschlossen sind und uns so keines Blickes würdigt. Am Ende werfen wir noch einen kurzen Blick auf die letzte Ruhestätte des Tokugawa Ieyasu, dessen sehr dunkel gehaltenen Schreine den etwas morbiden Eindruck des übergroßen Bronzegefäßes noch unterstreichen.




Alles in allem sind wir ziemlich überwältigt und wir können nur jedem Japanreisenden wärmstens empfehlen, den Trip nach Nikko auf sich zu nehmen. Denn der Einfallsreichtum und die Liebe zum Detail, die sich im Toshogu-Schrein von Nikko widerspiegeln, sind überaus außergewöhnlich. Die leuchtenden Farben und extravaganten Schnitzereien stehen im krassen Gegensatz zu den sonst doch eher schlichten Bauten aus der japanischen Geschichte. Außerdem kann man hier in Ruhe auch mal Geister an sich vorbei defilieren lassen, eine seltene Gelegenheit, die sich sonst so im Alltag ja nicht bietet. Konbanwa folks!
