Fehlschläfer im Nachtzug nach Udaipur . . .
- Ingo
- 16. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Depesche 13 - Nach Udaipur - 2018

Mitten in der Nacht werde ich unsanft geweckt und eine uniformierte Gestalt verlangt lauthals mein Ticket zu sehen, da wir anscheinend Fehlschläfer sind. Leider verweilte ich in den unendlichen Untiefen von 1001 Nacht und brauche richtig lange, um von meinem fliegenden Teppich wieder auf die verpvcte amtliche Liegefläche der Indian Railway zu kommen, zumindest mental. Unsensibel schaltet der Kleiderständer in Kakhiuniform das Licht an und unser Schlafwagenabteil wird in kalt-geschmeidiges Neonlicht getaucht und verbrei- tet den Charme der Pathologie in Jaipurs Universitäts- klinik. Neben ihm steht ein indischer Reisegast, bewaffnet mit Köfferchen und einer Lunchbox, in der Dal und vermutlich irgendetwas Unaussprechliches hin und her schwappt. Er will ein Bett. Seins, also das gebuchte Selbige. Darin liegt Annika. Nun gut, jeder Kulturkreis hat seinen ganz eigenen Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Da wo ich herkomme, würde man sich charmant der im Bett liegenden Dame vorstellen und aus der Situation das Beste machen, da lässt das Schicksal so verschiedene zwischenmenschliche Auswege offen. Aber wir werden eindeutig als Fehlschläfer identifiziert und er macht ein Gesicht und will sein Bett, seins wohl bemerkt. Andere Lösungen sind nicht tragbar. Wir haben eine Situation und natürlich müssen die meisten Mitreisenden involviert werden, was leider nur mit lautstarkem Hindi geht. Er will ein Bett!

Wir nehmen den Nachtzug von Agra nach Udaipur. Bereits im Toy Train haben wir mit der Buchung der 1. Klasse bewiesen, dass wir eher die Snobs sind. Also haben wir sleeping compartments gebucht. Mit AC, natürlich. 800 Km über Nacht im Zug, da finde ich, dass ein Bett eine vernünftige Investition in unser Wohlbefinden ist, von meiner Thrombose mal ganz zu schweigen. Eigentlich behindert mich das Ganze gar nicht, solange ich die Stelzen lang machen kann. So buchen wir zwei obere Betten, ganz wichtig für zukünftige Indienreisende, denn unten wollen die Inder immer Party machen, Chapatis (Indisches Plattbrot) und Dal rumreichen, essen und reden simultan sozusagen. In den oberen Schlafgelegenheiten, Bett ist ja doch eine recht exklusive Bezeichnung für diese Schlafstadt, hat man eher seine Ruhe und kann darüber hinaus auch den manchmal ziemlich aufdringlichen Essenseinladungen der Inder entkommen. Der Verweis auf eine kürzlich verwundene Lebensmittelvergiftung ist auch hier ein probates Mittel zur Verhinderung einer wei-teren.... Leider waren unsere Betten nicht gegenüber in einem Abteil, sondern eines war auf dem Flur sozusagen. Natürlich hatten wir zwei gegenüberliegende bestellt, wurde gebucht und bestätigt und sie lagen nicht nebeneinander. In Agra tauschten wir das Flurbett gegen das untere, da dieses Compartment nur aus 2 Betten besteht. Leider hat der nette römische Student mit der total alternativen Zottelfrisur, der Ellibuxe und der

echt alles gaaanz easy Mentalität, heimlich sich in Jaipur vom Acker gemacht. Nun fuhr sein verwaistes Bett, was eigentlich Annis Bett ist, bis irgendwo, wo nun ein rosa Poloshirt, behängt mit Köfferchen und einem Henkelmann, sein Bett einfordert. Ca. 10 Minuten lang erklären, verweisen und gestikulieren wir auf das Flurbett, während der Kahkikleiderständer mit seinem gezwirbelten Mantaschnäuzer unser Ticket dreht und wendet. Rosa Poloshirt liegt längst in Annis Flurbett und schnarcht, währen Kakhi immer noch versucht, die Situation zu verstehen und zu lösen. Die Art, wie er das Ticket dreht und wendet, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass er eigentlich gar nicht lesen kann. Kein Witz, denn, beim indischen Ticketkauf gehört es zum Service, dass der Verkäufer dem Kunden (hier ist man noch Kunde und kein Transportübel, „thank you for träwlling wis Deutsche Bahn“...) die Reisedaten, Sitzplatznummer und Abfahrtszeit auf dem Ticket zeigt und unterstreicht.... Kakhi macht ein Gesicht, Poloshirt schläft, die Situation ist schier unlösbar und auch die Menge der indischen Schaulustigen ist wieder schlafen gegangen. Achselzuckend löscht er das Licht, verschließt den Vorhang und zieht von dannen. Ich freue mich immer, wenn alles seinen geordneten Gang geht und ein Ordnungshüter kommunikative Missverständnisse entschärft und zur Lösung unlösbarer kultureller Differenzen beiträgt. Aber immerhin hatte er eine tadellose Bügelfalte und geputzte cognacfarbene Lederschuhe. Ich liebe Männer in Uniformen... Das sanfte Wiegen der Bahn bringt mich unverzüglich wieder auf meinen fliegenden Teppich...

Um 07:30 Uhr fährt der Zug in den Bahnhof von Udaipur ein. Die Wolken hängen tief und das Morgenlicht will nicht so richtig mitspielen. Aber in Udaipur gehen die Uhren eh anders. Zwei Dinge führen zu Sanftmut bei der Taxigilde, erstens liegt der Bahnhof hinter den Bergen (keiner wird laufen wollen!!!) und zweitens gibt es ei- nige Dinge in Udaipur, die es eben nur in Udaipur gibt, Drehort eines fulminanten James-Bond-Spektakels aus den 70ern. Aber dazu später mehr. So stehen wir verschlafen vor der Taxifahrerschar und in Erwartung orientalischer Betriebsamkeit zur kaufmännischen Erstürmung unseres Geldbeutels. Aber der bleibt aus, tja man glotzt uns nur an, zuckt mit den Achseln (Wenigstens diese Geste ist international!) und widmet sich wieder dem Gespräch mit dem nächsten Tuktukbesitzer. Was für eine Frechheit! Eine bodenlose Frechheit, schließlich haben wir Abenteuer gebucht und was ist! Wollt ihr uns wohl endlich umringen und auf Hindi in hemmungslose Gebührendiskussionen verstricken! Na los, ich kann ja im Orient mit allem leben, aber mit der Ignoranz am Touristen nicht! Das grenzt ja schon fast an frömmelnde Deutschtümelei, der Serviceanspruch ist ja hier wie am Taxistand hinterm Bahnhof in Münster! So nicht, sage ich mir, schließlich haben wir Abenteuer gebucht! Der erste Taxifahrer nennt mir seinen Preis - 50 Rupien! Ich bin entsetzt, das hat es ja schon vor 10 Jahren hier gekostet. War auf 300 Rupien eingestellt...50 Rupien?!? Das wird hier nix, während die übrige Welt unter Inflation und kalter Progression stöhnt und ächzt, kostet hier das innerstädtische Taxi weiterhin 50 Rupien? Also los Jungs, etwas Geschäftssinn entwickeln! Kurzfristig überlege ich, ob ich der Taxigilde eine Exkursion nach Delhi sponsern soll, so zwecks ökonomischen Strategieaustausches. Aber man ist hier ganz hakuna matata, wie meine Freundin Purity aus Nairobi sagen würde. Leicht missmutig lassen wir uns zum Hotel fahren. Ich fühle mich betrogen um den Reiz des indischen Tuktukpokerns.
