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Durch die Berge . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 25. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Juli

Depesche 07 - 24.07.2025 - Von Nikko nach Shiojiro



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Das geruhsame Reisetempo hat so seine Vorteile, ohne Frage. Man gleitet so mit 50 Sachen über das Land dahin und ist ganz mit sich uns seiner Gedankenwelt im Reinen. Besonders entschleunigend ist es, wenn alle anderen auch so kriechend unterwegs sind. Eins ist mal sicher, jeder zweite bundesdeutsche Streitwagenpilot würde hier keine 2 Stunden Verkehr durchhalten -zumindest nicht ohne Therapiestunden. Viele Therapiestunden! Denn, unter uns gesagt, Tempo 50 auf der Landstraße ist schon, wie nenne ich es nur vorsichtig, schon zermürbend. Und ankommen tut auch keiner. Daher haben wir heute auch gut 10 Stunden für 170 Kilometer gebraucht. Na ja, wir haben schon mal hier und da Pause gemacht. Doch ungehemmt Pause machen, kann einen ganz schön in die Bredouille bringen. So habe ich im Boat House leichtsinnigerweise einen Eis-Kaffee getrunken - also einen, der es in sich hatte. Jeder, der meine Kaffevorlieben kennt, weiß, dass ich ein Rösterei-Weichei bin und am liebsten nur gefärbte Milch trinke, damit mir das Koffein nicht zu Kopf steigt. Doch nach diesem - zugegeben - sehr leckerem Kaltgetränk, habe ich mich völlig gehen lassen und bin streckenweise so 61/62 km /h gefahren. Irre. Einfach irre!


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Wir verlassen Nikko gegen 9 Uhr morgens und machen uns auf Richtung Westen. Durch die Berge. Natürlich ist es drückend heiß, doch die Sonne wird nur von ein paar weißen Wolken verdeckt. Das scheint hier der wettertechnische Rhythmus zu sein. Hatten wir gestern an den Schreinen von Nikko auch. Morgens früh Sonne, dann leichte Quellbewölkung und gegen Mittag sintflutartige Regenfälle und am frühen Nachmittag Sonne, die zum Abend hin das Land und die Reisfelder golden einfärbt. ‚Da wir wieder in Richtung der Schreine müssen, fällt uns auf, dass wir wohl in Südnikko gewohnt haben - natürlich war da nix los. Aber das eigentliche Nikko ist ziemlich aufgehübscht. Schöne Restaurants, Cafés, Drachenlaternen, also so einfach das Lokalkolorit, was sich die in die Jahre gekommene Komfortzone des reisenden Bleichgesichts so wünscht. Anhalten geht nicht. Die Läden haben alle keinen Parkplatz vorm Haus und die Straßen sind ja recht eng. Also nehmen wir uns vor, beim nächsten Nikkobesuch, den Konsum des Rahmenprogramms von Nikko nachzuholen.


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Wir wollen nach Shiojiri, was ein Reisegeheimtipp meines professoralen Großonkels ist, der nebenbei auch „Erfahrender Asienkenner“ auf seiner Visitenkarte stehen hat. Am Abzweig zum Chuzenji See werfen wir unsere Pläne über den Haufen und fahren kurz entschlossen Hunderte von Serpentinen hoch ins tiefe Hochland von Zentraljapan. Die Berge hier gehören ebenfalls zum Nikko National Parkt, was uns eine wirklich malerische und sehr zu empfehlende Fahrt durch Schluchten, sumpfige Hochplateaus und pittoreske Seen beschert. Der Chuzenji See liegt auf knapp 1300 Meter über n.n. und scheint ein ausgewiesenes Freizeitziel der Japaner zu sein. Da die japanischen Straßenbauingenieure ziemlich pfiffige Typen sind, führen zwei Fahrspuren an einer Seite des Berges herauf und zwei weitere Spuren führen auf der anderen Seite wieder herunter. So kann sich die Blechlawine mit fulminanten 40


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km/h von 6oo Höhenmeter auf 1300 Höhenmeter hinaufschrauben. Die ganz Wagemutigen brausen mit 50 Sachen die Piste hoch, unter anderem auch eine top restaurierte Harley aus den 30er Jahren. Der See ist uralt, 20.000 Jahre hab ich gelesen, als irgendein Vulkan ausbrach und irgendeinen Fluss blockierte. Ich glaube ja eher, dass man bei Tempo 50 so lange braucht, um den Berg rauf zu kommen, dass in der Zeit schon mal so ein schöner, glasklarer und leicht grünlich schimmernder See entstehen kann. So, vielleicht ist das die eigentliche Wahrheit über die Entstehung des Chuzenji Sees. Eben halt nicht romantisiert. Der See selbst hat einen hohen Freizeitwert, denn überall gibt es Angebote für den wassersportiven Urlauber. Doch die meisten japanischen Sportler die wir sehen, sind Froschmänner der Feuerwache von Nikko, die in Vollausrüstung durch das tiefgrüne Wasser, vermutlich ziemlich kalte Wasser des Sees tauchen. Hier und da “suppen“ (SUP=stand up paddling) einige Wagemutige. Die Krönung ist ein Typ, dessen Jack-Russel-Terrier, angetan mit blutorangefarbener Hundschwimmweste das Sup


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samt Besitzer Richtung Ufer ziehen. Wer würde da noch sagen, dass der Kerl die Sache nicht im Griff hat. Im Boat House, was in unmittelbarer Nähe zur alten italienischen und britischen Sommerresidenz der jeweiligen Botschafter steht, nehmen wir bereits erwähnten Eiscafé. Außerdem erstehen wir zwei Bärenglöckchen, die hier seltsamerweise überall angeboten werden. Nun gut, bevor wir wegen schlechter oder mangelnder Ausrüstung Opfer einer Bärenfamilie werden, kaufen wir zwei eben jener Bärenglöckchen. Neben wandern, rudern und schwimmen, ist Angeln ein riesiges Freizeitsegment hier in den Bergen. Angelshops finden sich an allen Ecken und so fröhnen hier ziemlich viele Urlauber diesem Sport. Na ja Sport ist vielleicht zu viel gesagt, denn Sport impliziert ja häufig irgendwie Fairness, was die Forellen hier wohl aufs Schärfste dementieren würden.


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Die Straße führt uns hoch und runter durch das wunderschöne und netterweise auch sehr angenehm temperiere Hochland. Von See zu See, durch Zedernhaine, Bambuswäldchen oder auch durch Ahornalleen. Was für ein feuriges Bild müssen diese Täler und Berghänge abgeben, wenn der Herbst naht. Die schwarz-roten 2m Pflöcke künden außerdem von ziemlich viel Schnee. Nicht zu vergessen, dass einst die olympischen Winterspiele in Nagano ausgetragen wurden, was buchstäblich um die Ecke liegt. Romantische Wasserfälle, noch mehr türkise Seen und noch mehr Angelgründe bieten sich dem dahingleitenden Bleichgesicht. Es ist wirklich eine zauberhafte Fahrt durch die einsame Bergwelt Japans. Vor allen Dingen wenn ich immer wieder daran denke, das 37 Millionen Einwohner den Großraum Tokyo bevölkern . . . Gott, wie verlassen sind diese Bergregionen. Ziemlich mächtige Greifvögel, gleiten über die Baumwipfel der Plateaus, Schwärme von roten und grünen Libellen umschwirren uns, wenn wir halten und uns an dieser verschwenderischen Natur satt zu sehen.


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An einem Berggasthof halten wir. Dort sind lediglich japanische Touristen, sodass auch wirklich niemand, der schon betagteren Belegschaft des Englischen mächtig ist. Konichiwa, arigato go sai mas, matta ne . . . so langsam gehen uns die mühsam angeeigneten Kommunikationsphrasen lockerer über die Lippen, wie natürlich auch die verschiedenen Verbeugungswinkel in unseren Nackenwirbeln. In dem alten, traditionellem Rasthaus, wird über Holzkohle Fisch gegart, Nudelsuppen jedweder Art kredenzt oder auch nur gegrillte Reisfladen mit Terriayki-Marinade verkauft. Die Wände aus dünnem Holz, symmetrischer Wandaufbau, leicht wehende dunkelblaue Noren-Vorhänge trennen die Küche vom Speiseraum, untermalt von gedämpften Stimmen, dem Knacken des glimmenden Holzes und dem Klappern von Töpfen. Mit einmal haben wir das Gefühl, in Japan angekommen zu sein. Konbanwa, folks!


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