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Die Weihnachtskugeln des Maharadschas . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 17. Juni
  • 15 Min. Lesezeit

Depesche 17 - Jodhpur - Tag 2 - 2018



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Warum wir eigentlich noch den Wecker stellen verstehe ich nicht. Unnötig, total unnötig. Nachts begleitet gelegentliches Hupen das normale Herumwälzen auf der indischen Matratze, deren Sprungfedern im Idealfall so regelmäßig angeordnet sind, wie das Nagelbrett eines Fakirs. Sind wir überhaupt im richtigen kulturellen Kontext für Fakire? Bestimmt! Die meisten Hotelausstatter haben sich beim Bettenkauf in der Abteilung geirrt und sind unter der Rubrik „Lucky Fakir´s Nail Beds“ shoppen gegangen. Insgesamt keine schlechte Zukunftsinvestition, Nagelbetten nutzen sich nicht so leicht ab. Dennoch schlafe ich tief und fest, bis die Sonate vom freundlichen Huper ihr Crescendo erreicht und ich vom fliegenden Teppich gerissen werde.

    Trotz der 500 Jahre funktioniert im Yogi ´s alles tadellos. Bin natürlich etwas enttäuscht, fing doch alles so gut an. In der Lobby - großes Wort - ich weiß, rantert den ganzen lieben langen Tag lang eine alte Schild-kröte rum, sodass man schon aufpassen muss, nicht versehentlich auf das Viech - sie heißt übrigens Rocket (!) - zu treten. Neben diesem Reptil ist die Lobby voll- gestopft mit allerlei Devotionalien, die an die goldenen Zeiten der Seidenstraße erinnern: Kamelsättel, Zaumzeug, Krummsäbel, echte griechische Amphoren, Kissen, gemütliche - über und über dekorierte Sofas, Ottomanen und niedrige Sessel. Ein Kamel gibts nicht, obwohl es streckenweise so riecht, aber wirklich gewundert hätts mich nicht. Mitten drin wuselt dierRocket-Kassiopeia rum, natürlich ihrem Alter angemessenen Schrittes. Aktionsradius ist eher so 30cm, dann setzt man den Panzer auf den Boden und verschnauft von der Anstrengung. Bin mir nicht sicher ob die Panzerechse aus dem Gründungsjahr des Hauses stammt, ihrem rentnerhaften Aktionismus nach auf jeden Fall.


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    Überhaupt - in Yogi ´s Guesthouse ist man eher laid back - wie in ganz Jodhpur. Trotz des Charmes der vergangenen Blütezeiten der Stadt ist das Yogí´s wirklich super gepflegt. Gut - Wasserdruck ist so ein Thema, aber da das Waschbecken sich füllt und aus der Du-sche ein stetiger - wenn auch fieseliger - Wasserstrahl kommt, kann man nicht meckern. Fühle mich ziemlich wohl hier. Beim Buchen stolpere ich über die Bewertung eines Amis, der sich über alles aufregt.  Zimmergröße, Ausstattung, Bad, Lage, nächtliche Ruhestörungen etc. Muss mich sehr über ihn wundern, denn das letzte hochpreisige Hotel in New York am Central Park, in dem ich residieren durfte, liegt weit unter dem Standard des Yogi ´s. Aber der geneigte Indienreisende ist wohl nicht leicht zufrieden zustellen. Besonders interessant fand ich, dass er sich des Nachts von dem Straßenlärm gestört, ja nahezu terrorisiert fühlt. Bin etwas erstaunt, denn wenn man des Nachts eher ein zartes Pflänzchen ist, was den Lärmpegel der Straße betrifft, ist ein Indienaufenthalt genau das Richtige, so zur lärmtechnischen Desensibilisierung. Außerdem verblüfft es mich, dass jemand ein Zimmer im ältesten Teil einer sehr alten Stadt bucht. Im Gegensatz zu den langweiligen schachbrettartigen Hausanordnungen so nahezu jeder amerikanischen Großstadt, präsentiert sich Jodhpurs Altstadt herrlich erfrischend unkonventionell. Platz zwischen den Häusern wird anscheinend überbewertet und eine geometrische Anordnung von Straßenzügen scheint ausschließlich was für westliche Symmetrieneurotiker zu sein. Da kann das schonmal passieren, wenn man unverhofft die Balkontür seines Zimmers öffnet, dass einen der Nachbar, in seiner Zahnhygiene befindlich, colgatemäßig angrinst und nett herübernickt, so 1,5 Meter entfernt.


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    Altjodhpur besteht aus einem Gewirr von Gassen, kreuz und quer angeordneten Häusern - von uralt bis hin zu topmodern - in denen das Leben tobt. Der geneigte Leser erinnere sich an meine Beschreibung der Rushhour in Delhi und fülle in seiner Phantasie nun kleine und enge und dunkle Gassen mit diesem Ben Hur-ähnlichen Verkehrsverhalten, ergänze hier und da in den Lücken ein paar Pferdekutschen, Kamele und Kühe, stelle sich die Außsentemperatur so zwischen 30 und 40 Grad Celsius vor, füge gut 50% Luftfeuchtigkeit ein und schließlich untermale man das ganze in sei-ner Phantasie mit 5 verschiedenen Radiosendern - eingestellt auf Lautstärke 10. Dann hat man ein mo-dernes indisches Gemälde, das Seurat neidisch machen würde. Wie man da glauben kann, nachts ruhig zu schlafen, ist mir schleierhaft, es sei denn, man kommt aus Kansas City.

    Durch ein tiefblau getünchtes Treppenhaus, vorbei an mehr Kamelsätteln und echten griechischen Amphoren, erklimmen wir die Dachterrasse, wo das Frühstück serviert wird.  Nun ja - das können die Inder - Dachterrassen. Überall stehen einladende, hübsch dekorierte Diwane, mit großen bunten Kissen, leichter warmer Wind streicht unter den Sonnensegeln hindurch und der Blick auf den riesigen Bergfried des Merangarhforts ist umwerfend. Im Süden reicht der Blick über den Markt mit seinem markanten Glockenturm bis zum neuen Maharadschapalast. Nein wirklich - Dachgärten können sie!


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   Wir beziehen Stellung unter einem, flatternden Sonnensegel und harren der Dinge, die kommen. Die Dinge kommen - in Form eines jungen dynamischen Servicemitarbeiters des hauseigenen Restaurants. Mit einem breiten Lächeln legt er uns die Frühstückskarte vor und verschwindet sofort wieder im küchentechnischen Nirvana. Aha! Erstaunlich, dieses seltsame „Gesichtsverlustverhalten“ habe ich so eigentlich bisher nur in China erlebt. Der Inder als solcher nimmt eigentlich sofort Kontakt auf - auf der Skala von Verbal bis Paraverbal gibt es dabei alles. Hm, ... Seltsam, aber nun gut. Die Karte ist auf Hindi. Nach geraumer Zeit kehrt er zurück, bewaffnet mit Block und Stift, den international anerkannten Devotionalien seines Gewerbes. Er macht ein Gesicht, weil wir uns offenkundig nicht für ein Gericht auf der Karte entschieden haben, nicht mal irgendeins. Im klassischen Diskurs versuchen wir zu eruieren, was denn die Küche des Hauses in Sachen Frühstück zu bieten hat. Er spricht so rudimentäres Englisch, dass wir ihm kaum verständlich machen können, dass wir die englische Karte bevorzugen würden. Nach einigen fragend anmutenden Phrasen auf Hindi - dabei sollte sich der geneigte Leser zusätzlich eine schwunghafte Drehung der geöffneten Hand durchs Handgelenk vorstellen - zieht er von dannen um das „English Menu“ zu holen. Er wackelt mit dem Kopf, als er Richtung Küche loszieht, dieses Wackeln kann ich nicht übersetzen - war zu undeutlich gewackelt, könnte alles sein - von Unmut bis zur „Ja gerne“? Tja vielleicht wackeln die Jodhpurer einfach anders als die Jaipurer oder Udaipurer. Fragen über Fragen.


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    Für heute steht das Merangarhfort auf dem Programm, doch bevor wir uns dem ungehemmten Kulturkonsum hingeben können, müssen wir noch zwei Pflichteinlagen überstehen, erstens zur Post und zweitens Ticketkauf am Hauptbahnhof.

    Entzückend, also die indische Post ist ein MUSS für jeden Indienpilger! Zuerst hängen alle Kunden vor den verglasten Schaltern herum - Mittagspause - dann wird mit beamtentechnischer Akkuratesse auf dem Amtssessel Platz genommen, die Auslage zurechtgerückt und der Postdienst kann fortfahren. Nach 54 Sekunden stehen wir wieder neben unserem Taxi, alles erledigt! Ein bisschen enttäuscht bin ich schon - hatte mich auf einen interessanten Kulturaustausch eingestellt und was ist? Nix, Briefmarke ausgesucht, bezahlt, aufgeklebt und in den Kasten Foreign Countries geworfen, fertig. Hm, eigentlich sind wir zu billig aus dieser Nummer herausgekommen, aber was solls - der Fortschritt macht vor nix halt.

   Gut - am Bahnhof werden wir nicht enttäuscht! Jawohl, eine richtig zünftige Anekdote, die dem daheimgebliebenen Bleichgesicht Freude am eigenen Sofa macht: Es gibt 4 Schalter im Hauptbahnhof von Jodhpur und der wärmetechnisch-abgekämpfte weiße Pilger wird gezwungen sich am Schalter Foreigners and Senior Citizens anzustellen. Da wird doch nur mit der guten Erziehung des Reisenden gespielt - pah, die glauben wohl, das schwer schwitzende Bleichgesicht als solches hätte größere moralische Hemmungen sich gegen vordrängelnde Rentner zu wehren. Nun ja, diese Hemmung verliert man recht schnell! Zunächst waren drei, in Zahlen - 3 - italienische Travellerpärchen vor uns. Schätze mal so gut 3-4 Wochen Anwesenheit in Indien, verbleibende Zeit noch etwa 6 Tage. Geschätzt waren alle in Goa gestartet, erkennbar an 6 verschieden farbigen und gemusterten Ellibuchsen gleichen Stils, weite indische Souvenirkittelchen und Kopftüchern gleicher Farbe und Ornamentierung. Vermutlich rotieren die Kleidungsstücke täglich, sodass eine so farbenfrohe Mischung zustande kommt, die sogar in Jodhpurs Einkaufsviertel für Aufmerksamkeit sorgt.

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   Uhrenvergleich - 11 Uhr morgens - alles lässig, das Fort hat bis 17 Uhr geöffnet und wir brauchen nur ein paar Tickets nach Jaisalmer.  Vor mir eine hitzige Diskussion der 6 Ellibuchsen, wo die nächste Etappe hingehen soll. Hm - irgendwie unterlag ich der irrigen Annahme, dass man eigentlich vor dem Gang zu Bahnhof das „Wohin“ eruiert hat, um dann ggf das „Wie“ und vielleicht noch „Womit“ zu klären. Halte mich eigentlich für einen ziemlich spontanen Menschen, nein wirklich, bin sehr entspannt auf Reisen auch wenn ich morgens noch nicht weiß „Wo“ und „Worin“ ich abends schlafe. Im Vergleich zu der Spontanität dieser 6 Batikpilger bin ich ziemlich verkrampft. Gut - stehe ja auch in der Rentnerschlange. Der eigentlich Clou war, dass sich im Verlaufe der anschließenden anderthalb Stunden herauskristallisierte, dass alle Pärchen woanders hinwollten. Die Dame hinter der 10 Quadratzentimeter großen Ticketdurchreiche hatte meine größte Hochachtung, sie bewahrte Ruhe, schien aber mehrfach kurz vor dem Axtmord zu sein. Dann verloren die ersten Inder ihre Geduld und eine junge Dame - ich hatte sie wirklich nicht kommen sehen - stand plötzlich in der Schlange vor mir. Hochgeschreckt von der Situation versuchte ich mir ihre Anwesenheit in der Rentnerschlange zu erklären. Ich habe wenigstens einen graumelierten Bart und jede Menge grauer Inder standen ebenfalls hinter mir, aber die indische Maid vor mir hatte noch nicht mal die 20er Marke durchschlagen. Mist - hatte mich natürlich kurzfristig ablenken lassen und nicht gemerkt, dass die Ellibuchsen 5 cm vorgerückt waren, und diese Lücke hatte sie schamlos ausgenutzt. Und das in der Rentnerschlange, Frechheit. Wäre die italienische Batikkolonne fertig gewesen, hätte ich mit Altersmilde auf die jugendliche Respektlosigkeitsoffensive reagiert. Aber irgendetwas stimmte immer noch nicht mit den Tickets und als eine der römischen Musterplinten in das Fensterchen „Sorry“ hauchte, war meine Lässigkeit erschöpft. Zumal sich eine zweite indische Maid vordrängeln wollte, mit der fadenscheinigen Begründung, sie müsse für ihren Vater die Tickets abholen - lächerlich! Nun entwickelt sich ein Kulturkampf - die Rentner tragen den Sieg davon und die junge Dame rutscht an das Ende der Schlange. Das Bleichgesicht bekommt tatsächlich Rückhalt von all den Indern im hinteren Teil der Warteschlange.


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   Inzwischen ist es 13 Uhr und ich bange um die Kulturhighlights von Jodhpur, sodass wir einfach dem Bahnhof unverrichteter Dinge den Rücken kehren.

In einem Reisebüro haben wir in 15 Minuten Bahntickets - obige PVC-soft sleeper - und ein Privattaxi von Jaisalmer zurück nach Jodhpur, damit wir rechtzeitig den Flieger nach Delhi bekommen.

    Also nun nichts wie hoch zum Fort - rein in unser Tages-Tuktuk und in brütender Mittagshitze gibt der indische Nikki Lauder Gas. Jophpurs Straßen sind eher - nun wie soll man vorsichtig sagen - pistenverdächtig. Gut - nicht direkt so wie das Wellblech auf der Gräberpiste nach Tamanrasset, aber gefühlt nah dran. Die Asterix-Leser meiner Generation erinnern sich bestimmt an die liebevollen Streitwagenzeichnungen in “Tour de France”, auf denen der Streitwagen immer mehr über die Straße zu hopsen schien, denn zu rollen. Eine ausgewogene indische Straßenmassage sozusagen, kombiniert mit hoher Geschwindigkeit, ein tolles Erlebnis. Wer braucht schon ein Yoga-Retreat in Indien, ordent- lich durchlockern kann man auch im Tuktuk - gratis!


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  Kurz bevor wir den Berfried erreichen, kreuzen wir einen Trupp Sadhus mit ihrem Elefanten, der stoisch durch den Verkehr pflügt. Der pure Exotismus - ein Pachyderme trottet, wirklich gegen jede Verkehrsregel durch die indische Zweiradphalanx - ohne Nummernschild wohlbemerkt. Ungeachtet von Fahrtrichtung und -spur ist er König der Straße, was alle ausnahmslos anerkennen. Der respektvollen Abstand, den auch der letzte Tuktukfahrer geflissentlich einhält, macht mich schon neidisch, denn wenn ich mal eben mit meinem Pferd eine westfälische Landstraße queren will, beträgt der Sicherheitsabstand des bundesdeutschen Autofahrers meist nur knapp 10 cm. Niemand würde hier dem armen auch noch bunt bemalten Rüsselträger ein wahrlich tierseelenfeindliches “verwurste den verdammten Zossen” hinterherbrüllen. Oh nein - wahrscheinlich ist der argumentative Fusstritt des Eli´s einfach durchschlagender - selbst für den noch so unverwüstlichen indischen Mahindra. Natürlich musste ich - im Angesicht von so viel tierischer Skurilität eine fototechnischer Erinnerung aufnehmen, was wiederum den - allem weltlichen Tand entsagenden - Sadhus gar nicht gefiel. Umgehend waren die orangen Tandentsa- ger sehr auf weltlichen Tand aus, in Form von meinen Rupien und auschließlich meinen Rupien. “100 Rupies for the elephant´s soul,” werde ich von den orangen Betbrüdern angefahren und ziemlich bedrängt. Interessanterweise wurde der indische Student, der ebenfalls von seinem Zweirad aus ein Foto schoss nicht im ge- ringsten behelligt. Also kann nur das Bleichgesicht die Seele eines Elefanten retten, wer hätte das gedacht. Mir ist natürlich sofort mulmig zumute, dass ich scheinbar der Auserwählte bin, der die Seele des farbigen Rüsseltieres verantwortungsvoll in den Händen hält. Wunder über Wunder des Orients. Andererseits ist es gar nicht so verwunderlich, Indien ist schließlich gerammelt voll mit den unterschiedlichsten Erleuchtungen. Während ich also gedankenverloren meiner Erleuchtungspflicht nachkomme und die armen Eliseele monetär vor dem Zustand der Umnachtung rette, fällt mir wieder eine Diskussion ein, die ich mal im Zug von Deshnoke nach Jodhpur führte.


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   Am Nordrand der Wüste  liegt der winzige Ort Deshnoke, dessen geografische Bedeutung nicht wirklich ins Gewicht fällt. Wie sagt man doch so schön lapidar daher, “diesen Ort hat der Herrgott in einer Sekunde der Vergesslichkeit hier entstehen lassen.” - das Zentrum der Bedeutungslosigkeit sozusagen. Aber Deshnoke hat den Karni-Mata-Tempel! Für den geneigten Leser - hat nix mit Chili con Carne zu tun - der Karni-Mata-Tempel ist auch besser bekannt als der Rattentempel von Deshnoke. Drei Tage lange hatte ich in der Thar Wüste meinen Hintern blutig geritten - auf einem Kamel. Gut, jeder macht mal Fehler, aber ich erinnere mich daran, dass mein Vater in jungen Jahren, vermutlich in einer schwachen Stunde, zu mir sagte, dass ein Gentleman jegliches Fortbewegungsmittel beherrschen müsse. Er konnte kein Kamel gemeint haben - nicht, wenn ich an meinen Hintern denke. So liefert mich mein Führer Makhmut, der übrigens drei Tage kein einziges Wort gesprochen hatte, an den Bahngleisen bei Deshnoke ab. Wenn der geneigte Leser nun glaubt, ich hätte Lawrence von Arabien verdächtig, geradewegs aufgereckt an den Bahngleisen in der Wüste gestanden - womöglich noch mit einem wehenden weißen Schnapp - den muss ich enttäuschen. Eigentlich wollte ich mich nur in den heißen Sand fallen lassen, um mein krummes Rückgrad wieder grade zu ziehen und die Blutungen am Hintern zu stoppen. Als ich aufschaute, fand ich mich genau dem Karni-Mata-Tempel gegenüber wieder, dessen Fassade über und über mit Rattenreliefen verziert ist. Die spirituellen Dimensioen des Rattentempels ist schnell erzählt. Jeder der ihn besucht, bekommt einen glasigen Blick - egal ob Inder oder Bleichgesicht. Ich finds toll, endlich sind sich die Kulturen mal einig und es gibt keinen violenten Stress aus irgendwelchen albernen tiefenreligiösen Gründen heraus. Der Inder bekommt einen glasigen Blick vor spiritueller Verzückung und das Bleichgesicht vor Ekel. Der ganze Tempel ist voll von Ratten, nicht nur als Plage, sondern die leben da! Am Eingang werden einem natürlich unfassbare Statistiken hinsichtlich der zahlenmäßigen Belegschaft entgegengeschmettert - 20000 possierlichen Nager sollen hier Asyl in der gut 500 Jahre alten Steinbude gefunden haben. Neben mir steht eine fassungslose Amerikanerin, deren glasiger Blick mehr an eine sehschwache Cobra erinnert, die sich unschlüssig ist, wen sie zu erst anfallen und beißen soll. Zugegeben, die dicken Brillengläser tragen ein bisschen zu diesem Effekt bei. Statt der Horden von Ratten, kriechen einige, doch recht in die Jahre gekommene Fusselviecher an den Ecken entlang und ignorieren die dargebrachten Speisen der glasigen Inder. Manche sehen derart erbarmungswürdig aus, dass man sie aus lauter Demut füttern will. Aber jedem Tierchen sein Plaisierchen - Wenn die Inder Ratten anbeten wollen, sollen sie das tun. Gut eine Stunde später sitze ich endlich im Zug nach Jodhpur, wie immer auf dem Trittbrett und lasse die Landschaft an mir vorbeirauschen. Da hockt sich ein junger gepflegter Inder zu mir auf das Trittbrett und beginnt unversehens mir von seinen spirituellen Erlebnissen aus dem Rattentempel von Deshnoke zu berichten. Es ist so ein Gott-und-die-Welt-Gespräch - seine Euphorie ist unglaublich. Sein Glaube an die glückbringenden weißen Ratten - leider habe er sie noch nie gesehen - ist so tief und fundamental, dass mich seine spontane Frage, wie wir denn daheim die Ratten ehren, völlig überrascht. Meine - zugegebenerweise vielleicht etwas unempathische Antwort, “wir töten Ratten in der Regel sobald wir eine sehen”, bringt meinen, eben noch sehr offenen Kommunikationspartner in die totale Schweigsamkeit, vor der sogar ein Asket an den Ghats von Varanasi seine Hochachtung gehabt hätte. Was soll man da noch sagen - Erleuchtung hin oder her - also spirituell sind die Inder einfach unfassbar tolerant, vom Eli bis zur Ratte....


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   Während ich noch so mit meiner Erleuchtungsverantwortung dem bemalten Pachydermen gegenüber hadere, hält unser Tuktuk mit quietschenden Bremsen vor dem Merangarh Fort, zwischen einem Meer von grün-gelben Dreirädern. Vor uns ragt das Fort in den blauen Himmel, der Wind ist angenehm kühl und die Besucherschlange ist beruhigend kurz. Das fürstliche Eigenheim ist auf einem Felsplateau errichtet, an dessen Fuß sich die alte und neue Stadt Jodhpur lokalisiert. Nördlich des Bergfrieds gibt es noch einen Altstadt- bereich, der als „die Blaue Stadt“ bekannt ist. Der üblichen Rajastani-Architektur folgend gibt es eine ansteigende Zugangsrampe, die durch mehrere Tore verläuft. Selbstredend sind alle Tore hoch und breit genug, dass die Elefanten des Hausherren hindurchschlüpfen können. An einem der Tore sind die Handabdrücke verschiedenster Gattinnen von verschiedenster Herren zu sehen. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass die Damen im Falle des Ablebens seiner fürstlichen Majestät, bei der maharadschatechnischen Feuerbestattung gleich mit verbrannt werden. Die Handabdrücke künden somit von ihrem Schicksal. Der indische Scheidsungsanwalt als solches hatte in Rajasthan wohl eher wenig zu tun. Die inneren Gebäude sind unglaubliche Prachtbauten aus rotem Sandstein, mit tief herunter gezogenen Erkerdächern, aufwendsigst gestalteten Fenstern und verwinkelten Palastgängen. So kleine Maharadschas - zwischen 5 und 10 Jahren - werden sicher die herrlichsten Versteckspiele abgehalten haben, vermutlich ging dabei der ein oder andere Thronerbe verschütt und verhungerte in seinem Versteck. Da aber Bruder-, Vater- oder Onkelmord ein probates Mittel war, an die sauer zusammengerafften Edelsteinberge zu kommen, wen juckt da schon ein, beim Spielen verloren gegangener Spross. Traditionell baute man seine Schlösser eh´ nicht vom eigenen Geld, sondern ließ das Volk dafür bezahlen - so ein indischer Fremdenführer, bei dem ich


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gelauscht habe. Einige neuralgischen Stellen des Museums hat das indischer Fremdenverkehrsministerium mit hübsch herausgeputzten Mitarbeitern besetzt, sodass an allen Orten unfassbare Bartformationen auftauchen, die meinen Friseur in höchste Verzückungen versetzen würden. Im Stillen nehme ich mir vor, abends nochmal auf dem Basar inder Abteilung Herren-Beauty eine Bartwachsprobe einzukaufen - brauch´ scheinbar dringend Schwung in meiner Barttracht. Die gleichen Typen lungerten hier auch schon bei meinem letzten Besuch hier rum. Die gesamte Palastanlage ist unendlich weitläufig und in den privaten Gemächern des Hausherren stoßen wir auf eine  - wie sagt man - ästhetische Skurrilität: Die holzvertäfelte Decke seines Schlafzimmer ließ der Maharadscha - welcher auch immer - mit Weihnachts- kugeln verschiedener Größe und Farbe dekorieren! - abendländische Discokugeln saisonbedingter spiritueller Festivitäten sozusagen. Jetzt möchte man ja meinen, dass die Weihnachtskugel für die totale Überfrachtung mit Dekoelementen sorgen, nun ja - weit gefehlt! Das fürstliche Schlafkämmerlein ist leicht überdekoriert - mit Blattgold, Marmorintarsien, Holzinkrustrationen, weiß-blauer Wandkeramik, Spiegeln und jeder Menge gemalter Alltagsszenen. Die Weihnachtskugeln fallen da wirklich nicht mehr ins Gewicht, sie runden den dekorativen Farb- und Formhorror nur noch ab. Irgendwie mochte da wohl jemand keine weißen Flächen in seinem Schlafzimmer.... Natürlich sind die handwerklichen Fähigkeiten der Inder enorm und wer wird das schon belächeln, schließlich haben barocke Baumeister in unserem Land auch feuchte Träume in goldenen Rocaillen verwirklicht, zumindest als ich das letzte Mal in Vierzehn Heiligen war.


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   Der Strom der kulturhungrigen Pilger aller Nationen schlängelst so durch fürstliche und unfürstliche Räumlichkeiten, deutlich erkennbar am Grad der Dekoration, bis wir in schwindelnder Höhe eine Galerie erreiche, die einen atemberaubenden Blick über Jodhpur und das Umland zulässt. Viele Häuser in Jodhpur sind blau bemalt, weshalb Jodhpur auch die blaue Stadt genannt wird. Eigentlich ist Blau traditionell die Farbe der Kaste der Brahmanen, in Anbetracht der Anzahl an blauen Häusern in Jodhpur vermute ich, dass das heute kaum einen Nichtbrahmanen abhält, seine Hütte blau zu bepinseln. Egal welcher kulturelle Hintergrund für die blauen Fassaden verantwortlich ist, hübsch anzusehen ist es allemal und Flair hat die Stadt dadurch noch um so mehr. Gegen Abend entspannt sich die gesamte Si- tuation in der Festung, es leert sich, die Hitze lässt nach und das Licht bekommt eine weiche Note. Alle Besucher verfallen in eine entspannte Gelassenheit, man lässt sich überall nieder, genießt die Situation vor der großartigen Kulisse. Die weiträumige Anlage ist beeindruckend, die Fassaden in ihrem dunkelroten Sandstein verzaubern den Betrachter in die Tiefen der Mythen und Legenden von 1001 Nacht, was für ein großartiges Land.


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    Mit den letzten Besuchern verlassen wir im goldenen Licht der untergehen Sonne die Festung, um unseren Tuktukfahrer zu finden. Plötzlich bleibt Anni stehen und scheinbar kommt ihr diese Perspektive bekannt vor. Aber klar, einer der Batmanfilme ist vor dieser Kulisse gedreht worden. Na bitte, als würde Indien nur die Liebhber alter Gemäuer und verstaubter Turbane bedienen, hier gibt es für jederman was.

   Vor Einbruch der Dunkelheit sind wir wieder am Markttor und besuchen einen Shop, den unsere Yogi- Hoteliersfrau empfohlen hat. Der Besitzer arbeitete früher für einen Shop, der die französische Haute´Coture wie Hermes, Chanel oder Dior belieferte. Dort wurden Seidentücher produziert, die dann in Paris an der Rue de St. Honore in den Fenstern zu bestaunen waren. Preis für das Bleichgesicht vor Ort: 120 Euro für zwei Quadratmeter Seide ohne Hermes Label. Dann kam der Labelbeauftragte aus Paris, kaufte 100 Tücher, Hermes-Label eingenäht, Preis in Paris: 3200 Euro (kein Witz! Hab den Ausschnitt in der Vogue gesehen!) pro Tuch. Seit einigen Jahren arbeitet der Mann mit sozialen Werkstattprojekten und produziert seine eigenen Kollektionen, die er in einem Laden im Pal Haveli vertreibt. Sein Geschäft ist leer und so nutzt er die intime Atmosphäre um seine Kollektionen zu präsentieren und von den sozialen Projektwerkstätten zu erzählen. Vor uns entfaltet er wahre Farbfeuerwerke aus Seide mit klassischen indischen Mustern, verschiedenst durchwebt und in unglaublicher Qualität. Wir beschließen die daheimgebliebene Damenverwandschaft mit dem Ankauf  mehrerer Seidenquadratmeter zu beglücken. Anders als der durchschnittliche Basarhändler hat er ein Auge für seine Kunden, gibt Raum für Entscheidungen und Waren, die er Anni vorlegt sind perfekt auf sie abgestimmt. Da ich nicht so der Seidentyp bin, bleibe ich bei seiner Hinstellscheiß-Abteilung hängen, die vom Räucherstäbchen bis zur Shivafigur alles bietet. Erstaunlicherweise rangieren seine Räucherstäbchen alle zwischen angenehm, frisch und exotisch.  Das Thema Tempelmuff ist ein schwieriges und ernst zu nehmendes Thema in diesem Land. Für gewöhnlich liebt der religiös veranlagte Inder als


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solches schwere Düfte - der geneigte Leser erinnert sich an mein geruchstechnisches Beinaheableben bei der Parfumeurgilde in Jaipur - möglichst zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wenn man einen so mittelgroßen aktiven Hindutempel betritt gibt es einen geruchstechnischen Frontalangriff auf die Riechorgane des kulturbegeisterten Bleichgesichts. Zwischen vermodertem Bioabfall und der patschuligeschwängerten Aura eines siamesischen Frontbordells ist das alles drin. Früh morgens kann ein leichtsinnig angesetzter Tempelbesuch schon für mal für einen flauen Magen sorgen, wenn man nicht rechtzeitig ein paar geruchsneutrale Chapatis zur Hand hat. Nichts haut einen so sehr aus den Schlappen, wie wie eine ordentliche Portion Patschuli, die meist spontane Kreislaufschwankungen zwischen dem Verlust aller Sinnensfunktionen - das Gehirn fährt vorsichtshalber alle Sinne runter, um irreparable Schäden aller Sinnesorgane zu verhindern - und dem Gesamtversagen des menschlichen Organismusses heraufbeschwört. Andererseits hat dieser schwere Tempelmuff den Vorteil, dass jegliche Mücke im Umkreis von 400 Metern schockerstarrt verendet und von der Wand fällt. So weit so gut - je länger wir uns in Indien rumtreiben, umso sensibler wird man in der olfaktorischen Wahrnehmung verschiedener Patschulihärtegrade. Für gewöhnlich streift allerlei Getier um und in Tempeln, das Fehlen von Ratten ist da ein sicherer Indikator, dass hier Patschuli härterer Gangart abgebrannt wird. Die überraschende Absenz von Kühen in Tempelbezirken hingegen erzeugt in der Regel leichtes Prickeln in meinem Nacken ... Kurzfristig scheint mir das allabendliche Abbrennen dutzender Patschulistäbchen in unserem Hotelzimmer der bessere Mückenschutz, als unser schnödes europäisches Anti-Brumm, aber wozu ein Risiko eingehen. Anti-Brumm ist wenigstens ordentlich zertifiziertes Nervengift, den Reinheitsgrade des indischen Patschuli kann das Bleichgesicht eh nicht beurteilen, trotz aller aufgeklärtester Osphresiologie.


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