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Die 34. der 69 Stationen . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 25. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Depesche 08 - 25.07.2025 - Von Shiojiri nach Narai-juku



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So, nun haben wir auch diese Erfahrung gemacht - wir haben in einem Michi no eki geschlafen. Also, in kann man hier nicht wirklich sagen, denn bei einem Michi no eki handelt es sich um eine Road-Station, die man kostenfrei als Stellplatz benutzen kann. Jawohl, dass kann man sich hier leisten. Japan ist ein Camperland - wer hätte das gedacht. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass die Japaner so Campingverrückt sind. So ein Stellplatz hat immer WCs - die in ziemlich großartigem Zustand sind - und häufig auch Duschen. Über unser Roadbook von Japan Campers finden wir die Stellplätze auch ziemlich leicht. Also Roadbook hört sich jetzt ziemlich hochtrabend an - ist halt so ein altes iPad mini zu dem wir auch einen Internet-Rooter bekommen haben. Aber damit funktioniert die Google Navigation ziemlich gut. Wir haben natürlich auch ein, im Fahrzeug fest verbautes Navi, doch dass kann nur Japanisch und sabbelt ständig dazwischen. Wenn wir mit den fulminanten 30 oder 40 km/h an eine STOP-Straße heranpreschen, beginnt die Sabbelstimme sofort eindringlich zu sabbeln. Aber es ist nett, wenn halt jemand mit einem spricht, wie ich finde. Vielleicht liest die Stimme ja auch nur die Tor-Ergebnisse vom 1. FC. Osaka gegen die harten Jungs von 1860 Edo vor, wer weiß das schon?


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Eigentlich wollte ich immer ein bisschen was über das japanische Alltagsleben schreiben, doch wo ich gerade bei Edo war, fange ich erst einmal mit unserem Tagesprogramm an. Nachdem wir vergangenen Abend beim Campingplatz in Matsumoto niemanden finden kommen, sind wir im Finsteren kleinste und enge Straßen bis nach Shiojiri gefahren, wo wir auf dem Michi no eki gelandet sind. Neben den super gepflegten Toiletten gibts hier Duschen, einen lokalen Markt und auch eine Lawsons Station. Das ist ungefähr so etwas wie ein 7/11. Früher war beides fest in amerikanischer Hand, heute sind beide Firmen durch und durch japanisch. Hier gibt es alles - vom Kaugummi über Haushaltsmittel bis hin zu frischen Bento-Boxen. Der Lawsons hat 24/7 geöffnet, sodass man immer Zugriff auf frisches Wasser und auch Kaffee hat, denn die haben hier gute WMF-Maschinen.


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Heute morgen scheint die Sonne, der Himmel lacht unendlich blau, doch wir haben ja gelernt, das der hiesige Kachelmann es immer gegen 14-15 Uhr donnern und blitzen lässt. Flux geduscht, Reis und gebratenes Huhn gefrühstückt, Ziel eingegeben und mit 40 Sachen ab durch die südlichen Wohngebiete von Shiojiri. Ziel: Ein kleines, ziemlich schmales Seitental mit etlichen sehr lang gezogenen Dörfern. Die Berge hier sind übrigens ziemlich hoch, weshalb es nicht verwundert, dass wir die Hinweisschilder zu etlichen Skigebieten kreuzen. Gestern passierten wir sogar einen knapp 2.500 Meter hohen Berg, in dessen mittleren Lagen eine Kunstrasenskipiste geöffnet hatte, die sich zum Wochenende auch wohl großer Beliebtheit erfreute. Morgen werden wir auf unserem Weg nach Takayama sogar einen etwa 3500 Meter Berg bei Nagano passieren. Der geneigte Leser erinnert sich, Nagano - olympische Winterspiele 1998, usw. . . .


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Aber, wir wollen nach Narai-juku, japanisch so geschrieben - 奈良井宿 - für die geneigten Leser, die unsere Reise in japanischer Sprache begleiten möchten! Dieser Geheimtipp ist zwar gar nicht so geheim, doch heute scheint er ultrageheim zu sein. Doch dazu später mehr. Narai-juku war nämlich die vierunddreißigste der neunundsechzig Stationen des Nakasendō, sowie die zweite von elf Stationen entlang des Kisoji. Aha, so so. Ja, genau das haben wir uns auch gedacht, als wir das, das erste Mal hörten. Also, wo beginne ich, damit der geneigte Leser sich nicht gelangweilt dem Handy zuwendet, weil ich zu viele historische Details raushaue. In der sogenannten „Edo-Zeit“, die Fachleute werden sich jetzt wieder mal streiten oder sich gar gar nicht festlegen wollen, ich sach ma´ so - zwischen 1603 und 1868 - gab es eine Verbindungsstraße zwischen der Hauptstadt Kyoto und der Handelsstadt Edo. Das war son Ding mit den Tokugawas - der geneigte Leser erinnert sich. Diese „Straße“ wurde Nakasendō-Route genannt. An dieser „Route“ lagen sogenannte Poststädte. Kann ich bestätigen, denn wir haben in Narai-juku heute Postkarten und Briefmarken gekauft! Vermutlich war das aber nicht mit dem Begriff Poststadt gemeint, denn sonst hieße es ja Briefmarkenstadt! Durch das enge Tal fließt der Kisoji, ein ziemlich unberechenbarer Fluss, der sich heute zwar ganz kuschelig gezeigt hat, aber nach der Schneeschmelze vermutlich ziemlich viel Wasser reißend in die Täler befördert. Da Narai-juku, obwohl es in der Talsohle liegt, auf höherem Sediment gebaut wurde, war es weniger den Hochwassern des Kisoji ausgesetzt. Das führte dazu, dass diese Poststadt stärker florierte, als das restliche Tal. Wer also von Kyoto nach Edo latschte, kam irgendwann zwischen Yabuhara (ach da!) und Narai-juku über den 1200 m hohen Torii Pass. Danach brauchte man wohl einen steifen Grog und ein Bettchen, wer weiß das schon. Aufgrund der vielen Reisenden, Pilgern und Kaufleuten, die den Pass passierten, florierte Narai-juku als Poststadt wohl ganz


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ordentlich. So, nu´ muss ich ich nochmal etwas weiter ausholen, tut mir leid - aber keine Angst, ist gleich vorbei. Wem das ganze historische Faktengequassel zu langweilig ist, dem empfehle ich meine eigene Infobezugsquelle - die gesammelte Kurosawa-Samurai-Filmbox - da findet man all diese spannenden Details, schön analog und männergerecht - zwischen Intrigen, Schwertstechereien und farbenprächtigen Kimonos. Also, im Japan des 16. und 17. Jahrhunderts durchzogen fünf große Straßen die Insel Honshu, die man Go-kaido nannte. Poststädte hingegen - japanisch Shukuba-machi - waren die Orte an den Go-kaidos, wo der Reisende seinen Schlafsack gefahrlos ausrollen konnte, Verpflegung und Versorgung für seine Pferde fand oder einfach nur ein schnödes Blasenpflaster kaufen konnte, nachdem die Birkenstock durchgelatscht waren. Sie boten auch eine Möglichkeit, Handys zu laden oder sonst wie Nachrichten und Informationen zu bekommen oder zu verbreiten. Also eine frühe Form der Insta-Posts, wenn ich das mal so für eine jüngere Zielgruppe formulieren sollte. Irgendwie waren diese Raststationen wichtige Knotenpunkte für Handel, Kommunikation - also, neben den neuesten Schwertschmiedenews, auch Gerüchte und alternative Fakten sowie den Transport von Sake, Reis und Omma Akahira, die wieder mal die Enkel in Edo besuchen wollte. Natürlich wollen wir hier nicht vergessen, dass die Edozeit auch Samuraizeit war, womit diesen Poststationen natürlich auch strategische Bedeutung zukam. So Kontrolle der Hauptverkehrswege und darüber hinaus spielten sie natürlich auch eine wichtige Rolle für die militärische Infrastruktur und damit hatten sie gleichermaßen Kontrollfunktion durch die Tokugawa. Aha, so so - ein bisschen Machtpoker also!Natürlich ist so auch kultureller Austausch möglich gewesen, doch die Herren Samurai standen ja allem ziemlich kritisch gegenüber, was nicht mit dem Schwert entschieden werden konnte. So weit so gut.


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Zurück zu Narai-juku. Da waren wir heute nämlich. Und es war grandios, denn, neben der Tatsache, dass das Kaff echt weit von den ewig ausgelatschten Touristenpfaden Japans liegt, sind die Gebäude des Dörfchens weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand aus der Edo-Zeit erhalten geblieben. Also, es war war richtig leer. Wir hatten mehr so erwartet, dass sich hier die Massen Tottreten und sich sich das ganze als grellbuntes Farbspiel Aal Disneyland entpuppt. Doch nix da - super leer. Vielleicht ist es doch einfach zu weit von der nächsten Shinkansen-Sation entfernt, als das sich die digital Nomade und nervigen“ Instablogga! - jau Alta`“ - hier breit machen. Nun, man höre und staune, entlang der Dorfstraße reihen sich alte japanische Holzhäuser aneinander. Wie wir festellen, hat sich Narai-juku viel von seiner ursprünglichen Architektur und Atmosphäre der Edo-Zeit erhalten, sodass wir staunend durch die alte Dorfstraße schlendern und unser Glück gar nicht fassen können. Die Sonne steht strahlend am blauen Himmel, die tief bewaldeten Berghänge sind dunkelgrün eingefärbt und außer uns, ist nur eine Handvoll Touristen unterwegs. Während wir das Städtchen mit seiner sehr zurückhaltenden Architektur erkunden, wird klar, das Narai-juku vermutlich die wohlhabendste der 69 Poststädte am Nakasendo war. Aha, so so. Interessanterweise liegt das Dorf „genau“ - wir wollen mal geografisch-mathematisch nicht so genau hinschauen - in der Mitte zwischen Kyoto und Edo und wurde, aufgrund ihres Wohlstands und der zahlreichen Gasthäuser und Geschäfte, manchmal auch „Narai der tausend Häuser“ genannt. Was soll ich sagen. In der Touristen-Information besorgen wir uns einen Stadtplan, der schön auf sepiafarbenem Papier gedruckt ist. Wir haben einen so schönen Tag hier zwischen diesen alten Häusern, lokalem Handwerk und kulinarischen Spezialitäten, dass sich für uns ein lebendiges Bild von Japans kulturellem und auch politischem Mittelalter zeichnet.


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Der Spaziergang durch Narai-jukus Straßen fühlt sich eher wie eine Zeitreise in die Edo-Zeit an, ohne dabei in disneymäßigen musealen Kitsch zu verfallen. Hier reiht sich nicht Restaurant an Restaurant, nicht Gedönsshop an Gedönsshop, nein - vielmehr leben hier noch ganz „normale“ Menschen, die einem „normalen“ Beruf nachgehen. Das nimmt dem Ort die Steifheit eines Museums und balanciert wunderbar zwischen traditionellen Werten und moderner Realität.Wir sind ganz beseelt und wandern mehrfach die, über einen Kilometer lange Dorfstraße rauf und runter, gesäumt von gedrungenen dunklen Holzhäusern, die einst als Gasthäuser, Restaurants, Geschäfte und Wohnhäuser dienten. In den Seitenstraßen und Gassen entdecken wir versteckte Tempel, Schreine und Gärten, die den Charme und die Authentizität von Narai-juku noch verstärken. Wie gesagt, wir sind ziemlich überwältigt. Konbanwa folks!

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