Der Höllenritt nach Amritsar . . .
- Ingo
- 10. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Juni
Depesche 05 - Nach Amritsar - 2018

Nach einer feuchten Nacht im Dreamland, packen wir unsere 7 Sachen, benutzen zwangsweise mehrfach das stille Örtchen und sind stolz auf uns, dass wir lediglich den Griff der Toilettenspülung abgedreht haben. Kein Witz! Bergab benutzen wir einen Sherpa für unser Gepäck. Ein bisschen snobby, aber der Sherpa als solcher ist ein Traditionsberuf hier. Warum die Jungs immer nur 1,60m groß sind, vermag ich nicht zu sagen, aber während wir uns noch von unserem Hotelier verabschieden, ist er schon auf dem Weg zum Bahnhof. Mit beiden Rucksäcken.....
Also nichts wie hinterher. Es geht im Eiltempo den Berg runter, besonders mein linker Unterschenkel hat einen Muskelkater, der sich gewaschen hat. Es regnet und die Wolken liegen über dem „Ridge“, dass wir Mühe haben, mit der kleinen Sherpagranate Schritt zu halten. In Rekordzeit erreichen wir den Bahnhof, gleichzeitig mit einer Affensippe, die noch keinen Streit suchte, sondern es sich erst mal im Stahlgebälk des Bahnhofsdaches gemütlich machte. Um das Terrain zu sondieren sozusagen. 150 Rupien für den Sherpa, knapp 1,90 Euro, ich gebe ihm 200 Rupien und er kann sein Glück kaum fassen. Wir sind etwas peinlich berührt, aber Arbeits- kraft kostet hier nichts und Jobs sind rar gesäht....

Während Anni mit bösem Blick über die Affenhorde wacht, bevorzugte Beute der Meute sind Handtaschen, fülle ich Wasser nach und genehmige mir todesmutig einen Veggieburger vom Bahnhofskiosk. Irgendwie habe ich Hunger und der Snack wird ordnungsgemäß erhitzt - einfach lecker - leider entwickelt er hintenraus, im Abgang sozusagen, eine feurige Schärfe. Aber egal, da mein Pöter eh Ähnlichkeiten mit der japanischen Flagge aufweist, bringt mich das nun wirklich nicht mehr aus der Ruhe.
Der Reiseführer verspricht dem geneigten Reisen- den, die Zugfahrt mit dem Toy Train sei ein unvergess- liches Erlebnis. Wie wahr! Irgendwie hatten die Jungs im Hotel geglaubt, wir würden eher im Budgetbereich anzusiedeln sein. Zugegeben, ich bin ziemlich dünn geworden - so, als könnte ich nur alle drei Tage eine Mahlzeit bezahlen. Vielleicht haben sie auch die Verpackung der Tütensuppe gefunden und Mitleid mit uns gehabt.... Auf jeden Fall landen wir in der Holzklasse des Toy Trains. Man muss sich die Sitzgelegenheiten folgendermaßen vorstellen: Man nehme ein Blech und flansche im 90 Grad Winkel ein zweites Blech darauf. Dann bezieht man alle Flächen mit unverwüstlichen PVC und fertig ist die Ergonomie der niederen Kasten. Gott, was sind schon 6 Stunden, denke ich. Zum Unvergesslichkeitsfaktor kommt noch hinzu, dass die hinteren 3 Waggons bergab sich perfekt im richtigen Winkel zur ungehinderten Aufnahme des ausgestoßenen Dieselmuffs der Lok befinden. Ehrlich gesagt, hab ich total viel vergessen von dieser unvergesslichen Fahrt, denn 2 Bahnhöfe weiter, waren meine Augen so blut- unterlaufen, als hätte ich ein halbes Jahr in Moskauer U-Bahnschächten überwintert. Vermutlich kamen da noch ein paar lustige Farbspiele hinzu. So vergingen die 6 Stunden wie im Flug und in Kolka angekommen, spuckte uns die Spielzeugbahn schwankender Weise aus. Reiseplanmäßig sollte es jetzt mit einem Bus oder Taxi nach Chandighar gehen und weiter mit dem AC-Bus nach Amritsar.



Uhrenvergleich: 10 Uhr Abfahrt Shimla, planmäßige Ankunft Kolka 15:30 Uhr, Taxi nach Chandighar 30 Minuten, dann „plenty busses to Amritsar, the whole night“ (klang übrigens wieder wie „Wollnń Rose kaufen“).
Diese versprochene Reibungslosigkeit des indischen Transportgewerbes hätte stutzig machen sollen, nein müssen! So torkeln wir beschwingt aus dem Bahnhof, selbst die laut schreiend angebotenen Transportmöglichkeiten nehmen wir mit königlicher Gelassenheit. Das minimale Eindringen lediglich geteerten Sauerstoffs bringt mein Gehirn schlagartig ans Arbeiten. Unsere Wahl fällt auf einen jungen schneidigen Chauffeur, der an einem relativ neuen Tuktuk lehnt. Wir verhandeln den Preis, er füllt sogar einen Beleg aus - es gibt doch noch echt Ordnung in diesem Land - und reicht ihn an ein beturbantes Männchen weiter, dessen Bart so lang ist, dass ich befürchte, er könne jederzeit darüber ins Trudeln geraten. Mit einer etwas schusselig wirkenden Geste bedeutet er uns, an Ort und Stelle zu verharren. Gemütlich schlendert er los, leicht wankend (versuche mir krampfhaft zu überlegen, ob er oder ich schwanke - Annis Blick sagt eindeutig: er!), um sein Vehikel in Gang zu setzen.
Um die staubige Ecke öttelt ein kleiner, arg verbeulter Subarubus, dessen Motor wie ein Sack Muscheln klingt und auf dem Weg zu uns 2 Mal verreckt.... Vorsichtiger Blick auf die Uhr, Toy Train erreicht Kolka 16:15 Uhr.... Ich bin auf die 30 Minuten nach Chandighar gespannt.

Doch zunächst der Beladevorgang: Zielsicher greift er zum einem Rucksack und will ihn lässig hochheben, dann kippt er beinahe hinten über, als der den Totpunkt seiner Hebekraft erreicht hat. Fange beide auf und bedeute ihm, dass ich da etwas eigen bin und mein Gepäck selbst verlade ... Annis Rucksack probiert er gar nicht erst.
Werfe beides auf die Rückbank, schon macht er ein Gesicht, als Anni sich auf den Beifahrersitz zwängt. „Ob er ihr nach hinten helfen solle“, „Nein!“ „Nein?“ „Nein!“ Er macht ein Gesicht! Es ist ihm nicht recht, das ist deutlich! Frauen auf dem Beifahrersitz, geht gar nicht. Er startet den Motor und gegen alle Erwartungen läuft er, unruhig und er steht permanent auf dem Gas, aber er läuft.

Gemütlich, so lässt sich sein Fahrstil am besten beschreiben, gaaanz gemütlich. Überwiegend im ersten, vielleicht auch mal im zweiten Gang, lässt er sein Gefährt durch den losen Verkehr gleiten. Vor uns ein Hinweis auf die Autobahn nach Chandighar, auf Hindi und Englisch. Für einen kurzen, irrigen Moment will mein Gehirn sich entspannen, da biegt unser Fahrer auf eine Seitenstraße ab, die uns weitläufig durch Kolkas Suburbs führt. Er ist sehr höflich - wartet geduldig, bis alle entgegenkommenden Fahrzeuge vorbeigezogen sind, dabei überholen uns etliche Verkehrsteilnehmer aus dem Stau hinter uns. Zwischendurch vermute ich, dass er eingenickt ist, denn auch das wütende Gehupe hinter uns bringt ihn nicht aus der Ruhe. Der dritte Gang kommt bis zur Autobahn gar nicht zum Einsatz. 16:55 Uhr wir erreichen den Autobahnzubringer und der Fahrer rückt seinen fusseligen Turban gerade, packt in demonstrativem Aktionismus das Lenkrad und schaltet in den dritten Gang - beginne mich zu entspannen. Der vierte Gang existiert nicht, ist kaputt oder sein Herz würde die buchstäbliche Hektik nicht durchhalten, die ein Tempo jenseits der 50 km/h mit sich brächte. Zwischendurch werden wir sogar von einem Lastenfahrrad überholt, wenn gleich eine Kuh vorbeitrabt, beiße ich in den Sitz. Zwischendurch fällt mir auf, dass das Lenkrad völlig schräg auf der Säule sitzt, verleihe ihm in meinem Gehirn 5 schwarze Tourismustotenköpfe und harre der Dinge, die da kommen. Dann wird auf einmal klar, wie der Gemütszustand unseres Kutschers zu Stande kommt. Er ist high, total high, denn - irgendwo zwischen Motor und Tank gibt es ein Leck in der Benzinleitung und ab dem 3. Gang beginnt sich der hintere Fahrgastraum mit lustigen Benzindämpfen zu füllen, welch willkommene Abwechslung zum Dieselmuff aus dem Toy Train. Man kann nicht sagen, das einem nichts geboten würde, nein wirklich, dass kann man nicht sagen! 17:20 Uhr reisen wir mit fulminanter Geschwindigkeit in den großen Kreisverkehr von Chandighar ein. Gott sei Dank waren keine Kühe im Verkehr gewesen, das wäre wirklich peinlich geworden. Er überfährt zwei Abzweige, die zum Busbahnhof führen und ich beruhige mich damit, dass er einen Schleichweg kennt, den ich nicht kenne. 17:35 Uhr hat er die Orientierung verloren und ich beginne im Reiseführer nach Alternativunterkünften in Chandighar zu suchen. Die Aussicht, den Busbahnhof überhaupt zu finden, scheint in weite Ferne gerückt. Zwischendurch fragt er orts- kundige Tuktukfahrer, die zwar aus Chandighar sind, aber den Busbahnhof auch nicht kennen. Er beginnt ein Sikh-Mantra, find ich toll, ja ehrlich, Beschwörungen find ich super! Vielleicht ist das ja wie mit Bielefeld - Der Busbahnhof von Chandighr - ein Mythos. Hat Bielefeld eigentlich einen Busbahnhof? 17:50Uhr Chandighar Busbahnhof. Nichts wie raus - nach Diesel und Benzin, wer weiß, was da kommt? „No Bus to Amritsar today, last at 6pm (18 Uhr)“ Also rennen wir, aber - was soll ich sagen - in Deutschland wäre der Bus eiskalt ohne uns abgefahren. Hier in Chandighar - der Ort hat übrigens erwiesenermaßen einen Busbahnhof - springen zwei Mann raus, reißen die Luke auf, Gepäck rein, Ticket bekommen und nichts wie rein in den Bus. Übrigens steht kein AC am Bus, hat aber AC! Wunder über Wunder des Orients.
