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Der Goldene Tempel von Amritsar . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 11. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Depesche 07 - Amritsar - 2018


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Um 6:45 Uhr geht die Sonne auf. Langsam kriechen die morgendlichen Sonnenstrahlen über die Seitengebäude, die den Tempelbezirk einrahmen. Das erste Sonnenlicht des Tages fällt auf die Vergoldung und wird in einer unglaublichen Farbwärme reflektiert. Das Morgengebet der Sikhs beginnt. Alle Menschen bleiben stehen, wenden sich dem Tempel in der Mitte der Wasserfläche zu. Aus den Lautsprechern tönen monotone Mantren, die Zeit scheint still zu stehen. Keine Bewegung, ein kollektives Verharren mit voller spiritueller Konzentration. Als ich mich zu Sonne drehe, „befindet“ sie sich bereits hinter einem der minarettartigen Türme des östlichen Bereiches und zwar genau hin- ter Fenstern der Turmspitze. Das Herz des Fotografen lacht, welch Licht in dieser atemberaubenden Kulisse. Das Sonnenlicht erfasst jetzt die gesamte Kulisse und taucht alles in goldenes Licht. Eigentlich ist der Tempel nicht besonders groß, vielleicht 35 m lang, 2 Etagen und eine Dachterrasse mit Kuppeln. Das Erdgeschoss ist mit weißem Marmor verkleidet, der Rest mit Goldblech verblendet. Dachfirst und Kuppeln sind mit typischen Ornamenten verziert, die Wandflächen sind über und über mit orientalischen Mustern und Reliefen geprägt. Der Tempel steht inmitten einer künstlichen Wasserfläche und ist nur über einen Marmorsteg von etwas 10m Breite zu erreichen. Um die Wasserfläche sind breite, mit weißem Marmor belegte, Laufflächen. In den weißen Marmor sind Ornamente aus schwarzem Marmor eingelassen. Es gibt einen Kokosläufer der umlaufend ausgelegt ist, denn gegen Mittag ist der weiße Marmorboden so heiß, dass man darauf nicht mehr laufen, geschweige denn in Ruhe stehen oder fotografieren kann. Den Fehler, barfüßig auf ein schwarzes Ornament zu treten, macht man in der Regel nur ein Mal.


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An die weiten Laufflächen schließen sich weiße Verwaltungsgebäude an, die zu jeder Himmelsrichtung ein imposantes Tor mit Kuppeln und Bögen ausgerichtet haben. Für den Fotografen unglaublich toll, denn von jeder Seite des Tempels ist das Fotografieren möglich ohne das jemand davor steht. Um 7 Uhr ist das Gebet zu Ende und die Menschen setzen ihr Umrunden fort. Inzwischen hat sich ein Pilgerstrom auf dem Steg gebildet, Wartezeit für das Innere des Tempels ca. 2 Std. Vor 10 Jahren war ich schon mal hier und im Inneren des Tempels bekam ich ein orangefarbenes Tuch und ein paar Hartkekse, auf deren Genuss ich verzichtet habe. Aber dieses orangene Tuch begleitet mich seit jenen Tage auf allen meinen Reisen. Selbst in Burma sprach mich ein Sikh auf dieses Tuch an und war ganz verwirrt, als ich ihm sagte, dass ich in Amritsar gewesen war. Mit leuchtenden Augen erzählte er mir, dass das stets der Traum seines Lebens gewesen sei, einmal den Goldenen Tempel zu besuchen. Auch hier wird das Tuch um meinen Hals mit überaus großem Wohlwollen aufgenommen. Immer öfter erzeugen wir einen Selfieauflauf nach dem anderen. Das Filmen und Fotografieren ist im Tempel erlaubt, jeder Nation, jeder Kultur und da die Inder Selfies lieben, stolpern wir von einer Fotosession zur nächsten. Aber alle sind unendlich respektvoll und ganz aufgeregt. Da waren bspw. drei ältere Damen, die kichernd auf Anni zu gerannt kamen und unbedingt mit ihr ein Selfie machen wollten. Stolz wurden mehrere Handys gereicht und nachdem alle Damen das richtige Foto gemacht hatten, wurden sie von einem Schwarm junger Männer abgelöst. Zum Abschied kniff eine der älteren Damen Anni in die Wange


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strahlte sie an und brabbelte irgendetwas auf Hindi. Aber sie schien unglaublich glücklich zu sein. Mehr und mehr füllt sich der Tempel, Männer nehmen ein Bad im Wasserbecken, die symbolische Reinigung des Geistes, und die Menge der unterschiedlichen Turbanfarben muten wie ein pointillistisches Gemälde von Seurat an. Die Gesichter, besonders der älteren Männer sind unglaublich eindrucksvoll, lange Bärte, offene, von Falten umgebene Augen, schlacksige Statur. Sie blicken uns immer ernst, ja nahezu salbungsvoll-würdig an, aber wenn wir die Handflächen zu einem Gruß aneinander legen und „Namaste“ sagen, dann lächeln sie wie kleine, spitzbübische Jungs und versuchen uns in ein Gespräch zu verwickeln. Wusste bis dato nicht, wie viele phonetische Möglichkeiten es gibt, das Wort „Merkel“ auszusprechen. Mörkel, Morkel, Meggl, Möggle, u.v.m. Im Innern des Tempels sitzt die Mantra-Kapelle, die die ganze Zeit über Mucke und Gesang klimpert, trommelt und trällert, die per Lautsprecher bis hin in die Altstadt übertragen wird. 50% der Atmosphäre im Tempelbezirk entsteht durch dieses monotone Gejaller. Anni war etwas enttäuscht, dass sie kein orangenen Schnapp bekommen konnte. Nach länge-rem Hinsehen, konnten wir aber feststellen, dass kein Pilger mehr einen orangefarbenen Schnapp bekommt, lediglich diesen üblen Sikh-


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Schiffszwieback, den sogar die indischen Mäuse verschmähen. Hatte aber längst einen für sie organisiert, man bekommt sie nicht mehr überreicht, sondern muss sie kaufen, für eine lächerliche Spende. An diesem Tuch ist eigentlich nicht viel besonderes, dennoch ist es für mich immer wieder ein schönes Gefühl mit diesem orangefarbenen (ok inzwischen eher etwas verwaschen) Halstuch auf Reisen zu gehen. Wir verbringen bestimmt 3 Stunden am Tempel, dann drängen schiere Massen an Pilgern auf die Laufflächen und die Sonne beginnt eine unerträgliche Gluthitze zu entwickeln, sodass wir uns auf den Weg machen. Abends werden wir wieder hingehen.


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