der Eber hats eilig . . .
- Ingo
- 27. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Juli
Depesche 10 - 27.07.2025 - Von Takayama nach Kanazawa

Heute ist der Tag, an dem ich dem geneigten Leser einiges schuldig bleiben muss. Viele Bilder, aus mancherlei Gründen und das tolle Konzert, dass uns hier seit Stunden begleitet. Das Zikadenkonzert ist sagenhaft. Ich liebe das, so als Ausdruck von Sommer. Ich habe immer noch nicht rausgefunden, wie ich eine Audiodatei hochlade . . . Wir sind in Kanazawa, an der Westküste Japans. Zunächst sind wir zum Strand. Dort gibt es einen Stellplatz mit Duche und WC. Was soll ich sagen, ich vermisse Heringsdorf und Bansin. Der halbe Strand war mit Beton-Wellenbrechern gespickt, der Sand ist grob und graubraun. Außerdem schwimmt eine Plastikflasche im Wasser. Zustände sind das hier. Gut im Vergleich zu Indonesien ist das weniger als nichts so vermüllungstechnisch, doch hier fällt es auf. Wir duschen nur und suchen uns einen neuen Stellplatz. Der Verwalter hatte Angst, dass uns die Dusche nicht heiß genug sei. Lächerlich, ich habe noch 1 Stunde später so geschwitzt, als müsste ich meiner Abiturmatheprüfung erneut schreiben. Draußen sind es 37 Grad. Wir sind halt nicht mehr in den Bergen . . .

Heute morgen haben wir es ganz gemütlich angehen lassen und sind erst um 09 Uhr aufgestanden. Schließlich ist Sonntag. Auch für die Japaner, die übrigens eine 6-Tage Woche haben. Nur so als Info für die 4-Arbeitstage-Fraktion, die immer nach weniger Arbeit schreit. Das bedeutet, dass der Japaner als solcher seine ganzen Freizeitaktivitäten in einem Tag bündelt. Das führt mich zu dem Zauberwort Equipment - Ausrüstung. Für jede Freizeitaktivität gibt es die passende Ausrüstung. So, nun wird sich der geneigt Leser bestimmt fragen, „ist doch aber bei uns genauso, oder?“ Nun ja, wie erkläre ich diese kulturell sehr unterschiedliche Situation. Der Teutone kauft auch Ausrüstung, aber eher - zumindest gefühlt - nach dem Minimalprinzip. Zurückhaltung, also eher Understatement! Das ist hier anders. Hier schreibt das soziale Script eher Alltagsunauffälligkeit vor, was im Umkehrschluss dazu führt, dass - vornehmlich der japanische Mann, gemäß dem jeweiligen Hobby, die gesamte Segmentpalette besitzt und auch bei Ausübung immer trägt. Wir sind ja die schönsten Bergstraßen gefahren, die man sich so vorstellen kann. Zum Wochenende hin sind ziemlich viele Mopedfahrer unterwegs. Alle sehen aus, als

wären sie für eine Weltumrundung gerüstet. Markentreue bei allen Details des Hobbys ist außerdem ein Muss. Fährt man eine Harley, so sind auch die Taschentücher von Harley. Ein weiteres Beispiel ist der Angler. Die verschlungenen Bergpfade führen uns heute immer an einem breiten, sehr steinigem Fluss entlang, der sich träge mäandrierend vom Hochland aus, zur japanischen Westküste schlängelt. Der Wasserstand ist niedrig, wie man an der Ufervegetation ablesen kann. Vermutlich muss das Flussbett in den Frühlingsmonaten ziemliche Mengen an Schmelzwasser aufnehmen und abtransportieren. Doch heute, am heiligen Sonntag, ist der Fluss auf Kilometer fest in Hand der Angelfraktion, so viel ist mal sicher. Und, Angeln heißt ja nicht so ein schnödes, analoges am Ufer rumhocken und darauf warten, dass die Forelle sich bequemt. Nein, ganz und gar nicht. Hier ist das ein equipmenttechnisches Hochleistungshobby. Zur Grundausrüstung gehört der Drysuit mit Kniepolstern und ultrarutschfesten, Neoprenschuhen, die einen amerikanischen Navy-Berufskiller neidisch machen würde. Der Anzug ist farblich so ausgelegt, das er gleichermaßen auch - zumindest stilistisch - zum gleichfarbigen Super-Sport-Bike von Honda oder Kawasaki getragen werden kann. Vielleicht ist das auch so, nur umgekehrt, dass die Jungs mit dem Sport-Bike angereist kommen und mit der rot-schwarzen Lederkombi ins Wasser steigen. Ehrlich, würd mich nicht wundern, den wir haben heute 37 Grad, nur so als Randinformation noch mal, für alle, die glauben, dass wir nicht richtig arbeiten hier! So, Wenn man(n) sich jetzt in den Drysuit geschossen hat, wie eine vakuumisierte Pekingente zum Auftauen, dann wird die Frage nach der Multifunktions-Oberbekleidung gestellt. Da gibt es verschiedene Leistungsklassen. Die einen haben diese Kühlungsveste an - der geneigte Leser erinnert sich - akkubetriebene Ventilationsvesten, die anderen tragen ein weiteres Überlebenskleidungsstück. Eine fette Neoprenveste, die funktional mit der beige Angelweste von Hein Koslowski aus Herne kombiniert wurde. Aha, so so. Voller Taschen,


reiß-, beiß-, stich- und kugelfest. Mindestens. Selbst die Nato versucht vergeblich an diese Bekleidung heranzukommen, doch die Dinger sind ausverkauft. Alles natürlich auf die Neopren-Drysuit-Kombi in rot-schwarz abgestimmt. Wenn jetzt Anzug und Weste im vorgeschriebenen hautengen St. Pauli-Herbertstraßenlook spack anne Rippen kleben, kommt der Multifunktiongürtel ins Spiel. Das ist so ein reißfestes Nylon-Konstrukt, gut 8 cm breit, stufenlos verstellbar, mit Aufnahmevorrichtungen für eine Vielzahl an Gadgets. Also Features, für den Teutonen. Der Gürtel wird vorn von einer mattschwarzen Kuststoffschnalle gehalten, die sich sogar im Ernstfall eines 3 Meter Hechts, nicht selbstständig öffnet. Ich habe gehört, die Astronautentechnologie forscht an einem ähnlichen Produkt. So, am überlebenstechnischen Leibriemen, werden jetzt Döschen, Säckchen, Leinen - natürlich sauberst aufgeschossen, das Hakensortiment - in den Größen 01 Elritze bis 15 Walhai und etliches mehr, was man an einem Hardcore-Angelsonntag so braucht. Nun kommen wir zur 3 Schicht - in der Bekleidungsbranche heißt das „3rd Layer“, wenn ich richtig informiert bin. Ellenbogenschoner aus härtestem matten Dry-Neopren, rot-schwarz, mit glänzenden Linierungen, die bestimmt ein Ausschußprodukt der japanischen Bitumenindustrie ist. Wenn die nun auch übergestülpt sind, kommt das Handschuhproblem. Das 4,5 kg schwere Modell aus der Hai-Doku-Branche, ist gerade genau richtig, für die finsteren Monster, die in Japans Fischerei-Bergwelt existieren. Also her mit dem Ding, rostfreies V4A Edelstahlnetz, umhüllt von 5mm abriebfestem Neopren, garantiert bissfest bis 13 Tonnen Schnappbewegung eines 6 Meter Nilkrokodils. Gut. Soweit mit der Bekleidung. Nun kommt das Sportgerät. Volle 5 Meter Hightech Carbon-Rute, ausziehbar, kann das Nettogewicht eines Walhais aus dem Indischen Ozean spielend halten. Erhältlich in den Farben rot-schwarz oder schwarz-rot. Nun kommt der equipmenttechnische Höhepunkt. Das angeltechnische Opfergefäß. Stromlinienförmiger Kasten, lackiert in den Farben Silber, rot und schwarz, stilistisch eher im Super-Moto-Race-Sport-Segment, mit kiemenförmigen Aussparungen und der Aufnahme für



einen Hochleistungsraumgleiterbefestigungsriemen. Die Dimensionen 30 cm x 45 cm x 25 cm. Auf der abgeflachten Rückseite sind Bohrungen. Die fette Beute des Tages, wird nun in diesem Behälter interniert, der beim Angelvorgang - am Gürtel befestigt - auf der Wasseroberfläche treibt und permanent von Frischwasser durchflossen wird. Damit das zukünftige Grillgut auch hübsch frisch bleibt. Abgerundet wir das Ensemble durch einen mehr oder weniger breiten, typischen Koslowski-Anglerhut, in den Farben schwarz-rot oder rot-schwarz. Jetzt kann der Sonntag beginnen, denn nur derart ausgerüstet kann man in das 50 cm tiefen Bergbachwasser steigen, um den heimischen Abendbrottisch zu füllen. Wenn der geneigt Leser nun glaubt, ich übertreibe, dann empfehle ich die Route für den nächsten Japanurlaub. Und nicht einer, hunderte. Scheinbar gibt es schon so eine Equipment-Gruppenzwang-Situation, dass muss ich hier wirklich sagen. Diese Situation kann man jetzt auf fast alle Freizeitaktivitäten des heiligen Sonntags hier übertragen und beobachten.




Die Fahrt durch die Berge war wieder wunderschön und, neben dem wundersamen Rahmenprogramm, ist die Landschaft der unseren ziemlich ähnlich und auch wieder nicht. Ist schwer zu erklären. Wo wir Buchen haben, stehen hier Ahornbäume, wo wir Kiefern haben, stehen hier sehr hohe Zedern. Diese Liste ließe sich unendlich fortführen. Die Bäche und Flüsse sind unendlich klar, von türkis bis tiefgrün. Leider kann ich diese ganzen Naturschönheiten nicht zeigen, denn die Japaner sparen sehr an Aussichtsplattformen. An den tollsten Ausblicken kann man nicht halten, sondern nur da, wo alles zugewachsen ist und man nix sieht. Dafür gibt es hier tolle Verkehrsschilder. Beim Verlassen der höheren Lagen kamen wir in Abfolge an folgenden Hinweisen vorbei: Affen kreuzen die Fahrbahn, kaum 2 Kilometer später, Ziegen kreuzen die Fahrbahn, 20 Kilometer weiter, Wildschweine kreuzen die Fahrbahn und kurz vor Kanazawa kreuzten wir einen schildertechnischen Hinweis, dass irgendwas kreuzt, was einen buschigen Schwanz hat und große Augen. Leider kennen wir das Tier nicht und so haben wir das Schild „Fähnlein Fieselschweif kreuzt die Fahrbahn“ getauft. Der geneigte Leser, der mein Baujahr hat, wird wieder wissen, wovon ich sprechen. Das Vieh müssen wir noch eruieren. Der Eber sah übrigens aus, als hätte er einen Termin und es ziemlich eilig. Aber, vielleicht sind die Eber in diesem Land einfach viel schneller unterwegs als bei uns, wer weiß das schon? Fragen über Fragen des Orients! Konbanwa folks!
PS das Internet ist so lahm . . .