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Cannonball Race oder Pre-Bridal-Treatment . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Depesche 01 - Nach Delhi - 2018


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Die Wolken hängen schwer über den Bergspitzen um Shimla und es regnet schier cats and dogs - bei totaler Windstille. Verschanzt in der 2. Etage eines engen und windschiefen Hauses - eher britisch anmutend als indisch - hinter einem angeranzten, wenn auch sehr charmvollen, Holztisch lasse ich die vergangenen Tage Revue passieren. Im Grunde warten wir, ob die italienische Gemüsebrühe drin bleibt oder nicht? Strategisch postiert an einer Toilette. Aber ich greife vor und irgendwo habe ich mal gelesen, dass das definitiv kein guter Anfang für eine Geschichte ist. Wer das gesagt hat - keine Ahnung - vermutlich Kipling, der hier die Handlungen seines Romans „KIM“ spielen lässt. Also ist Shimla der geeignete Ort für den Beginn meines Berichts....


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   Der Flug von Düsseldorf bei 34 Grad Celsius nahezu ereignislos bis Abu Dhabi keine finsteren Turbulenzen, nichts.... Wolkenloser Himmel von D´Dorf bis zur arabischen Halbinsel. Ein bombastisch-kitschiger Sonnenaufgang 13000 m über der Wüste. Zwei gemütliche Stunden in Abu Dhabi und weiter nach Delhi. Ereignislos, wolkenlos, sehr angenehm. Delhi 34 Grad Celsius, windstill mit ca 90% Luftfeuchtigkeit.

   Mittags werden wir am Flughafen vom Hoteltaxi abgeholt und unspektakulär abgeliefert. Das Hotel - Aashianaa Living - ist penibelst gepflegt, alle Kabel, Steckdosen und Anschlüsse funktionieren und die WC-Spülung hat genügend Druck. So viel Funktionalität verwirrt mich, ja es macht mich sogar misstrauisch. Für gewöhnlich ist es in Indien so, dass man pro Hotelaufenthalt mindest einmal einen Wasserhahn abdreht, den Hebel der Toilettenspülung abreißt oder mit gesengtem Sünderblick dem Rezeptionisten unter die Augen tritt und die Verstopfung der Toilette vermeldet. Aber gut, Indien ist groß und wir sind grad erst angekommen, da ist noch Luft für spätere Randale in den sanitären Einrichtungen.


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   Erfrischt und ziemlich ausgeruht (der Nachtflug macht sich bezahlt!) machen wir uns zur Stadterkundung auf. Das Tuktuk ist schnell angehalten und es geht Richtung Old Delhi. Dann ist es schlagartig mit der Ruhe und dem gemächlichen und auch geregelten Verkehr vorbei, der noch für die Flughafengebiete so typisch ist. Unter dem Schild „Don‘t use the horn!“ tauchen wir in den Orbit des vollkommenen, unverschnittenen, schieren Wahnsinns ein! Sobald eine Ampel auf grün springt, beginnt der Schlacht an den Thermophylen gleich sich jeder in der Blechlawine befindliche, DIE Lücke zu suchen, die ihn unweigerlich vorwärts bringt - egal ob es passt oder nicht. Unverkratzte, unverbeulte Karosserien sind was für Weicheier und zeugen eh nicht von todesmutigem Heldenmut des motorisierten Alltages. Gefangene werden nicht gemacht, Silbermedallien sind aus und überhaupt, warum sollte eine Fahrradrikscha einen, grell buntbemalten, blumenbekränzten 5 Tonner der Marke Tata vorbeilassen? Dafür spricht nun wirklich gar nichts.


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   Alles passiert gleichzeitig, unter dem ununterbrochenen Geheul einer verkehrstechnischen 12Ton-Symphonie der Hupen aller Verbrennungs- und Elektromotorenhersteller dieser Erde. In hektischen hin und her kreuzen sich alle gegenseitig die Fahrbahn, um möglichst die nächste Lücke zu ergattern. Wenn es passt ist gut, wenn nicht ist auch gut. Wieso sollte man sich im Lande des Nirvana überhaupt Gedanken darüber machen, schließlich reist der Ganescha ja immer mit, die indische Version des guten Engels der Provinzial. Lustige, glanzbildartige Aufkleber, in ver- bleichtem Technikolor Asiens. Angetan mit Maus und Gebetsspindel wacht er über Tuktuks, handgeschobene Obstkarren, Tatas in jeder Tonnenzahl und riesige westlicher SUV´s und sorgt für einen reibungslosen Ablauf dieses Vekehrssolitärs. Natürlich dürfen auch nicht die Menschen vergessen werden, die innerhalb des Blechballets ihren Lebensunterhalt verdienen, wie bspw das Feilbieten von Haushaltswaren wie Glitzischwämmen en gros oder so praktische Geräte wie kleine Plastikkriegsschiffe. Gerne auch wird auf der Kreuzung das Kunststoffmodell des russischen AK47 für die lieben Kleinen auf der Rückbank angeboten - und verkauft! Hier gibt es übrigens immer noch den Mann mit dem Handkarren. In meiner Fahrschulausbildung tauchte dieses ominöse Objekt immer wieder in allen möglichen Verkehrssituationen auf - zumindest auf der Magnettafel des Schullungsraumes - im Verkehr nie.... Aber hier ist die Verkehrssituation für den Mann mit dem Handkarren geradezu paradiesisch. Deshalb gibt es auch ein Heer dieser Spezies und ich bin mir sicher, jeder von ihnen hat seine Berechtigung in diesem Biotop. Uralte, verwitterte vierrädrige Handkarren, am Rand mit verbogenen Metallbeschlägen versehen, beladen mit unzähligen Mangos, werden von ebenso uralten, verwitterten Männchen in weißen Fluddergewändern gnadenlos durch die Lückenlandschaft der niemals endenden Stahllawine geschoben. Der stockenden Verkehrsfluss ist geradezu ideal für sie. Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob sie Lücken im Stau nur nutzen oder gar den Stau verursachen.

Nach einer guten halben Stunde haben wir unser Ziel und auch die behördlich zugelassene Höchstdosis Teer als Passivverkehrsteilnehmer erreicht. Neuere Zahlen sprechen von einen Teeräquivalent von ca. 30 Zigaretten pro Tag auf Delhis Straßen....


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   Nun ja, die meiste Zeit standen wir ja nur rum. Paharganj beherbergt einen Basar, Hotels, Restaurants, kleine Shops und natürlich viele Buden, deren unterschiedliches Sortiment bei uns snobistisch als „Concept Store“ deklariert würde. Wir waren spät dran, die Hauptgeschäftszeit war eh gelaufen und uns verfolgten ohnehin nur träge Blicke, denn offenkundig wollten wir keinen Handel. Abendessen, den Hauptbahnhof finden und zurück.

   Auf der Rückfahrt haben wir dann allerdings in der Totalrushhour ca. 1,5 Std. zurückgebraucht. Während man so in seinem Tuktuk von Lücke zu Lücke öttelt, bleibt dem geneigten Reisenden genügend Zeit, bei Einbruch der Dämmerung dem Aufflammen der Werbeschildern zu folgen. „Hot Hair Service - Unisex, Dental Visability, Premium Marriage Bureau, um nur einige zu nennen. Gerne verweilten wir vor einem unfassbar luxuriös anmutenden Hotel, ein orientalischer Märchenpalast wie er im Buche (von vielen Dollars) steht, mit dem wohlklingenden Namen „Shangri La - Eros-Hotel“. Was auch immer dort feilgeboten wird.... Aber der Hammer ist eine Kette (!) von Läden, die das Pre Bridal Treatment anbieten. Etliche dieser Etablissements säumen ganze Straßenzügen in allen Stadtteilen Delhis. Mit rotem Teppich und livrierten Türstehern laden sie ein, das volle Programm zu buchen. Das geht von Fett absaugen, Haut bleichen, über deep skin cleaning bis zur Nasenbegradigung. Alles aus einer Hand, was will man da mehr?

   Da das Hupkonzert unvermindert weiterging, hoffte ich, Ganesha würde mir mit der Gebetsspindel eins überziehen, um Schlaf zu finden.


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