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Auf Shampoo Island waschen Prinzessinnen . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 8 Min. Lesezeit

Depesche 16 - Nach Mawlamyine - 2016


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Regen, nur Regen - wir stehen unter dem offenen Wellblechdach des Bahnhofs von Kipun und warten auf den Zug nach Mawlamyine, was ungefähr wie „Molmie“ ausgesprochen wird. Heute haben sich die Schleusen geöffnet und der Monsoon fegt mit heftiger Stärke über die Region. Nicht, dass es erfrischend wäre, nein, der Regen ist natürlich piwarm und es schüttet förmlich wie aus Kübeln.  Vermutlich wird sich heute das Wetter nicht ändern mutmaße ich und um Annis fragenden Blick zu beantworten nicke ich in Richtung eines würdig heranschreitenden Mönchs, der einen bunten Regenschirm benutzt, der vermutlich nur einer Erstklässlerin namens Greta zur Zierde gereicht hätte. Meist sind Mönche zu würdevoll, um sich mit dem profanen Besitz von überhaupt irgendetwas abzugeben, geschweige denn einem geblühmten Regenschirm. Der Regen ist jedoch so stark, dass seine ehemals orangerote Robe bereits komplett mit Wasser und dem darin gebundenen Straßendreck bespritzt ist. Der Bahnhof ist nur mäßig gefüllt und wir haben noch eine gute halbe Stunde Zeit bevor es weitergeht. Wer einfach nur das Bahnhofsgebäude mit seinem Ticketschalter, der Station Mastery und Gepäckaufbewahrung betrachtet und alle anderen Details ausblendet wird sich gut 100 Jahre zurück versetzt fühlen. Die korrekte Verwaltungshandschrift der britischen Kolonialmacht steht hier so deutlich in Stein manifestiert, als wären die Briten immer noch hier und gleich würde ein, in grotesk kurzen Kakhishorts bekleideter, Bahnangestellter über den Hof marschieren, in der Hand eine amtlich Kladde mit den korrekten Ankunfts- und Abfahrzeiten der Royal Britisch Railway Company. Die Burmesen scheinen Pragmatiker zu sein und haben die Gebäude einfach so gelassen und nur in ihrer Funktionalität einen Ticketcomputer ergänzt. Es gibt zwar einen ausgestellten Fahrplan, bestehend aus einem Whiteboard mit handschriftlich verzeichneten Fahrzeiten, die wir aber eh nicht lesen können. Englisch spricht hier niemand, wozu auch, sind wir doch die einzigen Bleichgesichter im Dorf. Im Stillen frage ich mich, wie wir wohl die Ankunft des richtigen Zuges heraus bekommen ...


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   Aber, wie immer, wenn der weiße Zweifler sich um Lösungen bemüht, ist der gelassene Asiat viel weiter vorn:  Etwa 10 Minuten bevor ein Zug kommt, füllt sich der Bahnsteig, denn aus allen Richtungen quellen Menschen aus den Büschen. Man geht einfach die Böschung hinab, überquert die Gleise und schon ist man vor Ort. Wer würde denn da die amtlich Fußgängerüberführung der ehemaligen Kolonialmacht benutzen - lächerlich - viel zu zeitaufwendig, ab durch die Botanik. Da es jeweils nur einen Zug in Richtung Norden nach Mandalay und einen nach Süden in Richtung Mawlamyine gibt, ist auch die Frage „Welcher Zug?“ geklärt. Etwas irritiert mich der Gleisarbeiter, der mit der Befestigung der Gleise im Bahnhofsbereich beschäftigt ist, gerade, als der Bahnsteig sich zu füllen beginnt. Lieber Leser, es gibt laid back und es gibt laid back! Das vibrierende Singen des Stahls kündigt den Zug aus Norden an und neben dem durchweichten Mitarbeiter der Burmese Railway liegen noch etwa 10 Schrauben von der Größe einer Trekkingthermoskanne, nebst den dazugehörigen Haltebügeln. Aber der rappeldürre, braungebrannte Typ lässt sich nicht unter Druck setzen und schlägt stoisch in seinem Tempo die stählernen Zapfen in die vermoderten Bahnschwellen, die vermutlich zu Zeiten von Queen Viktoria schon überaltert gewesen sein dürften. Aber mit der sicheren Gelassenheit des Profis, locht er alle Zapfen, Schrauben und Bügel mit der sportiven Eleganz Bernhardt Langers ein, tritt dann gemächlich auf den Bahnsteig zurück und lässt den Zug ganz lässig einfahren.


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    Eine ziemlich mitgenommenes, angerostetes Dampfross, gleitet schnaufend und knarzend im Schritttempo über die, vom Zahn der Zeit verbogenen und verzogenen Gleise, während jeder Schienenabschnitt ein lautes Klacken erzeugt. Unter zwei, entfernt an LKW-Scheinwerfer erinnernde Leuchten, prangt das wappenähnliche Siegel der Myanmar Railways. Der halbe Zug ist mit großflächiger Andaman-Beer-Werbung foliert, was ein wenig das Alter der Waggons kaschiert. Wir suchen uns ein gemütliches Abteil, denn die kommenden Stunden werden wir in dieser leicht ramponierten Überlandbahn verbringen. Teilweise lassen sich die Fenster nicht mehr schließen was zur Folge hat, dass die meisten Holzbänke nass geregnet sind. Die Holzpritschen, bestehend aus ergonomisch geformten Querlatten, erwecken den Eindruck, als hätten die Briten sie in den 20er Jahren hergebracht und verbaut, nachdem sie schon 50 Jahre in der alten Londoner U-Bahn im Einsatz waren.


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   Unsere Reise verläuft relativ ereignislos, doch meiner Erfahrung nach wirkt gerade diese vorbeiziehende Monotonie überaus kontemplativ. Stundenlang durchfahren wir in gemütlichem Tempo eine unfassbare grüne Tiefebene, an dessen westlichem Seite sich die Küste mit dem Golf von Martaban anschließt. Zahllose Dörfer passieren wir im strömenden Regen, ohne nur einziges Anzeichen von Leben zu sehen. Yetkan Thema, Hnin Pale, Payathonsu, Mottama, ... Trotz der Namen bleiben sie nur anonyme Orte am Rande der Tiefebene, deren einzige Daseinsberechtigung die Nähe zur Eisenbahn darstellt. Wie immer ist das Trittbrett mein bevorzugter Sitzplatz, unendliche Weite erstreckt sich bis zum Horizont, wo sich sumpfiges Reisfeld an sumpfigem Reisfeld reiht, dem Auge in seiner Eintönigkeit Entlastung bietend. Das Land strahlt eine unglaubliche Ruhe, ja schon fast Erstarrtheit aus. Zu jedem, der geometrisch angeordneten Reisfeldern gehört ein kleines, ausnahmslos ärmliches Haus auf Stelzen. Die Wände sind notdürftig mit Holz oder Bambusgeflecht hergerichtet, hier und da mit den obligatorischen blauen Müllsäcken geflickt, um die permanente Nässe des Monsoons auszusperren. Ein schlammiger Trampelpfad führt über die rudimentären Begrenzungsdeiche zwischen den Fledern zu den Hütten. Mitunter passieren wir große Wasserbüffelherden, die anscheinend im Urlaub sind. Es ist gerade keine Reissaison, und nur ganz selten sieht man halbnackte Gestalten, eingehült in Kunststofffolien mit spitzen Reishüten, die Reispflanzen umbetten. Was eine Knochenarbeit, die vermutlich keiner von uns mehr als eine Stunde durchhalten würde. Verlassene Hütten ziehen genauso häuftig durch mein Blickfeld, wie auch bewohnte Behausungen. Der Zug hat seinen eigenen Rhythmus, das immer wiederkehrende Schwanken führt zur inneren Gelöstheit, die scheinbar immer wiederkehrenden Bilder von Reisfeldern, Hütten, Palmengruppen und kleinen Dörfern, aus deren Palmendächern sich die scheue Spitze eines - immerhin vergoldeten - Wats recken, erzeugen bei mir Gelassenheit und tragen die Gedanken fort. Obwohl meine Augen die Bilder fest aufnehmen, bin ich doch mit meinem Geist weit hinter dem  Horizont, dessen tiefgrüne Linien sich immer noch scharf gegen die schwarzgrauen Wolkenfelder des Himmels abgrenzen. Das erste Mal seit Tagen


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bekomme ich inneren Abstand zu all den lauten, farbigen, komischen, seltsamen und traurigen Impulsen, denen mein Kopf seit fast drei Wochen nahezu pausenlos ausgesetzt ist. Hier hat das Land eine andere Taktung, viel langsamer, viel einsamer, viel ruhiger und doch viel weiter. Immer wieder stehen Kinder in den schäbigen Hütten, die den leicht erhöhten Bahndamm säumen. So, wie sie für mich das Fremde ausstrahlen, ist es umgekehrt auch für sie. Kaum rattert der Zug durch ihr Blickfeld und sie entdecken mich auf dem Trittbrett in meiner leuchtend grünen Regenjacke, lachen und winken sie. Sie haben nichts von dem, was für uns so überaus wichtig ist, dennoch ist das Lachen dieser Kinder, in all ihrer Armut, ein Ausdruck gegenwärtiger Verzücktheit, die uns einfach abhanden gekommen ist. Das alte Spiel von „viel haben“ und unserer Unfähigkeit alltäglichens Glück zu empfinden. Ich frage mich, wie viele Reisekilometer ich in Asien durch ähnlich Landschaften reiste. Indien, Thailand, Vietnam, Kambodscha, Laos, China ... überall gibt es ein solches Trittbrett, dessen schwankender Rhythmus meine Seele öffnet und mir die Ruhe eines weiten Horizonts gibt. Die Weite und das leuchtende, satte Grün der Vegetation ist betörend, einladend und der damit verbundene Überfluss, den das Land hier bietet, ist nahezu körperlich spürbar. Vor Jahren fuhr ich früh morgens mit dem Zug von Bangkok ostwärts nach Aranyapranchet an der Grenze zu Kambodscha. In der Morgenstimmung hing glitzender Dunst über den Reisfeldern und die Bauern mit ihren bunten Kleidungsstücken sahen aus wie undeutliche Farbtupfer, die ein Maler flüchtig in die undeutliche Szenerie seiner Vorstellung gemalt hatte. Mit dieser seltsam anmutenden, räumlichen Eindimensionalität war mir, als würde ich in einem pittoreskten Impressionistengemälde der Jahrhundertwende verharren. Mit der steigenden Sonne verflüchtigte sich der tropfenschwere Dunstschleier und gab die Blicke auf die harte bäuerliche Realität der Szenerie frei, die, ähnlich dieser Reisebene, ihre tiefe Mehrdimensionaltiät offenbarte. Verlassene Behausungen kündeten von einem Traum, den scheinbar alle Menschen träumen, sich aufmachen, um widersinnigerweise am Ende seiner Lebensreise wieder vor diesen Behausungen zu stehen, sei es real oder in ihrer Seele. Die, die die Weite, das Fremde und das Neue nicht lockt, bleiben und bauen Pagoden, für deren Vergoldung sie ihr letztes Hemd geben, in Erwartung einer besseren Zukunft. Was natülich letztendlich für alle auf das Gleiche hinaus läuft.


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   Einer chinesischen Jadeperlenkette gleich reihen sich hier die Dörfer aneinander. Dennoch gilt - kein Dorf ohne Wat oder mindestens einer goldenen Stupa. Auch wenn die Bewohner nur in notdürftig gedeckten Bambushütten leben, die Pagoden erstrahlen in glänzendem Gold. Irgendwie ist das hier in Myanmar besonders skurril, ist doch die ländliche Region hier besonders ärmlich. Verglichen mit diesem Landstrich erscheinen sogar die rückständigsten Landstriche in Laos und Kambodscha nahezu wohlständig und fortschrittlich. Je näher wir Mawlamyine kommen erheben sich leichte, dicht bewaldete Höhenzüge aus deren Vegetation die goldenen Spitzen der Pagoden wie Drachenzähne herausragen.

   Dann sind wir plötzlich schon in Mottamaund, halten an der Martaban Railway Station am Ufer des mächtigen Thanlwin, auf dessen anderer Uferseite Mawlamyine liegt. Irgendwie vergingen die Stunden dann doch wie im Flug und vom Rumhocken auf dem Trittbrett fühlt sich mein Rücken etwas steif an. Doch mein Kopf ist definitiv erholt, hatte Pause und musse nur die Weite fixieren, was ich immer mag. Über den breiten Fluss führt eine 2km-lange kombinierte Auto-Eisenbahnbrücke, Thanlwin Bridge, die nach Mawlamyine führt. Wiedermal haben die burmesischen Brückenbauer auf ein Verbetonieren des Brückengleisbettes verzichtet. Während der Zug seine Fahrt noch verlangsamt, kann man also vom Trittbrett gut 30 Meter in die Tiefe auf die Wasseroberfläche schauen und dabei fallen die Dimensionen der Schiffe auf, die gerade darunter durchschippern. Es sind alles massige, wenn auch in die Jahre gekommene Hochseepötte. Es herrscht reger Verkehr hier im Delta, einlaufende Frachtschiffe kreuzen den Weg mehrerer Fischtrawler, deren Netze träge im schweren Regen an den Auslegern  schwanken. Natürlich folgt den Fischern eine, wenn auch nur kleine Schar, hartgesottener Möwen, die sich ein paar Appetizer erhoffen. Der Fluss ist mächtig breit, die Wassermassen der Monsoonzeit geschuldet schlammig braun und verzweigt sich in etliche Deltaarme. Zahlreiche bewachsene Inseln erschweren es dem Auge einen klaren Flusslauf zu definieren, was darüber hinaus auch noch durch den schweren Regen erschwert wird, in dessen schier undurchdringlichen Schleier die Grenzen zwischen Fluss, hoher See und grauschlammiger Landmasse verwischen. Die offene See des Golfs von Martaban ist eigentlich nur zu erahnen und doch flößt die Weite der gewaltige Wassermenge trotz den vielen flachen, zuweilen nur sandigen Inselrücken mir gehörigen Respekt ein. Die Regenschleier erschweren das Erfassen der gesamten Deltaregion, denn Wasser und Horizont verschmilzen zu einem einzigen undefinierbaren Graubraun-Ton. Der Zug hat jetzt nur noch Schrittgeschwindigkeit, was die Nähe zum Bahnhof ankündigt.

   Der Zug hält in Mawlamyine, was an sich schon ungewöhnlich ist, denn normalerweise befahren in diesem Teil der Erde alle Transportmittel mit stoischtem Gleichmut ihre angestammten Routen, einerseits von West nach Ost und von Nord nach Süd. Warum erschließt sich uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht, aber auffälligerweise steigen alle


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Reisenden aus und der Strom trägt uns mit sich in die Bahnhofshalle. Selbst das Taxigambit ist zu diesen regenrischen Zeiten enttäuschend lahm, was vermutlich daran liegt, dass wir die einzigen Bleichgesichter im Zug waren. Ein junger Mann schreckt hoch, scheinbar hatte er sich gerade in seinem Taxi wasserdicht gemütlich gemacht, als irgendein verrücktes Bleichgesicht mit einem Transportauftrag droht. Der Hoteltipp entstammt unserem Reiseführer und so landen wir halbwegs trocken im OK-Hotel mit Riverfront. Das Hotel ist gepflegt, wenn auch etwas muffig und aufgrund der lustigen, eingeputzten Wandfliesen eindeutig chinesischen Besitzern zu zuordnen. Manchmal bin ich über die ästhetischen Kompetenzen fernöstlicher Innenausstatter einfach nur erstaunt. Das farbfröhliche Drachenwandfliesenbild ist so hoch angebracht, dass selbst ich es nicht auf Augenhöhe habe. Nun ja, dann wird erst recht kein chinesischer Mitbürger die ganze Pracht auf Augenhöhe begutachten können. Andererseits könnte es aber auch sein, dass ich wieder mal nicht in der Lage bin, fernöstliche Raffinesse zu durchschauen. Vielleicht symbolisiert die ganze neoprimitiv-kolorierte Farbexplosion irgend eine total wichtige hoch aufstrebende gesellschaftskritische konfuzianische Menschseinstugend, wer weiß das schon? Auch die beiden massiven, auf Hochglanz lackierten Betten sind nah an einer praktikablen Mehrfachverwendung von Bett oder Grabstelle. Habe auf Reisen im ländlichen Raum Chinas mehrfach Friedhöfe gesehen, deren Grabmale verdächtig an diese Bettform erinnert. Um Anni nicht zu beunruhigen, überprüfe ich heimlich, ob irgendwo verdächtige Tragegriffe in Drachenform angeschraubt sind.


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   Der erste Gang durch die Gemeinde offenbart, dass wir direkt neben der Markthalle wohnen, dennoch verschieben wir, in Anbetracht der Tageszeit, unseren Besuch auf den kommenden Morgen. Der Regen ist so stark, dass beim Gang entlang der Uferpromenade selbst meine Hightech-Regenjacke leichte Schwächeanfälle bekommt und so nisten wir uns am frühen Abend im Restaurant des Hotels ein und starren über die Straße in die Dämmerung nach Shampoo Island. Nun ja, Shampoo Island ... Gähn, kann ich auch morgen noch erzählen ... hmmm, bin müde. Also die Geschichte mit den Prinzessinnen muss warten! Fragen über Fragen des Orients!


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