Affen sind nicht zum Spielen da . . .
- Ingo
- 16. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Depesche 15 - Nach Jodhpur - 2018

In einem kleinen, von blau getünchten Mauern umgebenen Innenhof, steht Yogís metallicrotes Amassador Cabrio. Heute wohnen nur noch Affen darin, die dieser Tage morgens wohl außerhäusig nächtigen. Daneben seine Royal Enfield 500ccm Bullet. Beide Fahrzeuge scheinen nicht mehr fahrtüchtig zu sein, heben aber den Style des 500 Jahre alten Yogís Guest Houses.




Tags zuvor haben wir den Bus von Udaipur nach Jodhpur genommen. Der buchstäbliche Ritt nach Laramie. Obwohl es keine wirklichen exakten Abfahrtszei- ten für indische Busse gibt, müssen wir pünktlich an der Station sein. 08:00 Uhr ist ein nicht zu ändernder Fixtermin - so die Auskunft - der Hotelrezeption. Das Personal des Jaiwana Haveli ist extrem zuvorkommend und bestens geschult, auch die abstrusesten Wünsche der Gäste zu erfüllen. In unserem Fall eher leicht, nur ein Platzticket im Bus nach Jodhpur. Die leichten Abweichungen zwischen Absprache und Realität sind Teil indischer Kultur und der geneigte Indienreisende sollte das nie persönlich nehmen. Der Reiz besteht darin, dass man nie weiß, was man gebucht hat. Auch nicht nach definitiven Zusagen seitens des Personals des Transportgewerbes. Nehmen wir mal an, dass man ein AC / 1st Class-Ticket mit Liegesitz gebucht hat, kann es aus vielerlei, meist immer logischen Gründen passieren, dass man auf einem sogenannten hartsleeper mehrere Stunden dicht gedrängt in aufrechtester Sitzhaltung verbringt. Natürlich ist man innerlich gewillt, sein erkauftes Sitz- und Wegerecht durchzusetzen, doch davon ist abzuraten. Bringt einen nicht voran, wirklich nicht. Außer, dass Begriffe wie „Fucking Sahibs“ fallen und man anschließend 8 Stunden auf einem ehemaligen 1st Class Sessel verbringt, der bereits 1942 die ersten Sprungfedern durch die Synthetikfasern hat sprie-ßen lassen und dessen Sitzfläche im 45 Grad Winkel nach unten hängt. Also etwas Vertrauen in die Weisheit des Inders als solches und besser Hartholz unterm Pöter als eine Sprungfeder im Arsch, wenn man diesen Ausdruck verzeihen möchte.

07:45 Uhr bringt uns ein Tuktuk zur Busstation, so der Plan. Normalerweise tobt um diese Zeit schon das indische Verkehrs-Gambit auf dem Höhepunkt seiner Dramatik und steuert auf die Katharsis des völligen Stillstandkollapses hin. Nicht so in Udaipur, man ist gemächlich unterwegs, bremst für kreuzende Verkehrsvehikel jeder Coleur, vom Eichhörnchen bis zum Greis, der mal kurzfristig auf der Kreuzung eingenickt ist. 08:05 Uhr stehen wir an der Busstation.... Aber natürlich ist es entgegen aller Zusagen nicht der Busbahnhof, sondern nur der Zubringer. Der Zubringer ist ein ausgesprochen asiatisches System. Ähnlich dem Gangesdelta ist es ein weit verästeltes System, dass, richtig kanalisiert, die reisenden Locals und westlichen Bleichgesichter gesammelt von A nach B transportiert. In jeder indischen Durchschnittsstadt, also nur so 3-4 Mio Einwohner, gibt es ein Heer von kleinen, vermutlich 3x3 Meter großen Räumen, mit einem Büro- und einem Wartetrakt. Hinter der Theke und einem Rechner, böswillig vermute ich ein paar neuere C64 und einem Telefon residiert der Zubringervorsteher. An diesen Orten werden Reisende gebündelt, gesammelt und zum weiteren Transport vorbereitet. In der Regel verlässt ein indischer Überlandbus seinen Hafen gegen 11 Uhr morgens. Damit das Gefährt bis zum Rand der Rentabilität gefüllt ist, sammelt man an Zubringern die Reisewilligen. Also werden in der Zeit von 08:00 Uhr bis 10:45 Uhr glänzende Geschäfte im Nahrungsmittelsektor getätigt. Im Zuge eines raffinierten Planes zur Steigerung des Profits, sind Zubringer immer mit einem Kiosk kombiniert. So ist es Sitte geworden, dass der reisende Inder seine Wartezeit mit Essen verbringt. Der Zubringervorsteher übrigens auch, zumindest gefühlt. Seine Amtshandlung beschränkt sich darauf, einen amtlichen Blick auf die amtlichen Tickets zu werfen und auf die amtliche Benutzung der englische Redewendung „wait here“. Dann geht er meist zum Büdchen, um den entsetzlichen Verlust an Kalorien, zu denen ihn die Hektik seines Job zwingt, zu kompensieren. Dieser amtliche Arbeitsvorgang wird bei jedem Neuankömmling wiederholt, egal ob Bleichgesicht oder Inder. Gegen 10:30 Uhr ist sozusagen arbeitstechnische Stoßzeit, wenn ein Großraumtuktuk einfliegt, dessen Pilot in 45 Sekunden alles Gepäck einlädt und ein Gesicht macht, wenn die 8 Bleichgesichter nicht im selbigen Zeitrahmen den Verpackungsvorgang abgeschlossen haben. Schließlich hat er nicht den ganzen Tag Zeit! Kurz bevor wir in den fließenden Verkehr abheben, sehe ich, wie der amtliche Zubringervorsteher sich erschöpft zum Kiosk schleppt - scheiß Stress.

Der Tuktukpilot hat keine Zeit - schließlich fährt der Bus um 11 Uhr ab. Unter Vermeidung irgendwelcher verkehrstechnischer Regulative stehen wir um 11:05 Uhr am Bus. Der ist total leer, weit und breit kein Fahrer und überhaupt wie kann der geneigte Reisende sicher sein, dass es sich tatsächlich um den AC-Bus nach Jodhpur handelt. „Unser“ Bus steht in einer Schlange von ca 20 leeren, fahrerlosen und unbeschrifteten Bussen..... Fragen über Fragen des Orients.
Um 11:30 Uhr fährt der Bus mit gerade mal 10 Reisenden ab. Die knapp 30 Minuten Wartezeit haben wir am Kiosk verbracht, der natürlich genauso lang ist, wie die Busschlange. Rationell organisierter Konsum, ich bin insgeheim beeindruckt und stelle mir bildlich vor, wie ein 300 Meter langer Rewe-To-go am Bahnhof in Münster wirken würde.....
Als wir den Stadtrand von Udaipur erreichen, ist der AC-Bus, der kein AC hat gerammelt voll und wir sind auf dem Weg in die Blaue Stadt ...

Von der Busfahrt bekomme ich nicht viel mit, überhaupt bin ich recht genügsam, was die asiatische Personenbeförderung angeht. Man kombiniere Wärme, Wind - meistens sind alle Fenster auf, da der AC-Bus oft kein AC hat - und über den buseigenen, plastikfolienbezogenen flatscreen einlullend dargebote Jallamucke-Videos, auf deren Höhepunkt die Akteure bei der Arie immer die Augen schließen. Schwuppps und schon bin ich eingeschlafen, meist unterstützt von einem Sitz, dessen Lehne nicht mehr in die Gerade gestellt werden kann - Zwangsliegesitze sozusagen. So bummelt die reisetechnische Schiffsschaukel über die Landstraßen und gibt den Blick auf das platte Land Rajasthans frei. In der Mittagshitze wirken die Dörfer ausgestorben und im Schatten liegen die Menschen und schnorcheln so vor sich hin. Das Highlight einer jeden Busreise östlich von Tel Aviv ist immer der Zwischenstopp an der lokalen Raststation. Für gewöhnlich bemisst sich die Länge der Pause nach der Möglichkeit alle Mitreisenden zur Einnahme einer warmen Mahlzeit zu animieren. Die Raststationen Indiens bieten hygienisch die gesamte Palette, von edel-geleckt bis ohnmachtsanfalltechnisches Abenteuerklo. Was unsere sanitärtechnisch eher so mittel zu bezeichnene Rastchapatischmiede angeht, war das Gespräch als ziemlich außergewöhnlich zu bezeichnen. Wir trafen eine junge Studentin aus Argentinien, die eine minimale Verletzung aufweisen konnte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie von einem Makaken gekratzt worden war. Kombiniert zu dieser Information förderte sie eine schöne, haarsträubende Sanitätsgeschichte hervor, die um Längen skurriler war, als mein Besuch im Jaipurer Universitätsklinikums. Ja - im Gegenteil - nachträglich erfasste mich eine ungeahnte Dankbarkeit und Hochachtung von den medizinischen Leistungen des professoralen Pflebologenteams. Und das mit nur einer Teepause während der Ultraschallbehandlung. Nein wirklich, toll und was für ein Glück, dass ich an die Profis geraten bin... Die junge Dame hatte unser vollstes Mitgefühl, bis wir vorsichtig die Frage formulierten, wie es denn zu dieser tollkühnen Affenverletzung gekommen sei? Bis heute bin ich mir nicht ganz sicher, ob die Dame denn alle bei einander hatte: Sie fand eins von diesen Makakenbabys so süß, dass sie es auf den Arm genommen hatte. Für den geneigten Leser, der jetzt mein Unverständnis und mein Graunen nicht nachvollziehen kann, schließe bitte die Augen. Man stelle sich ein kleines possierliches Wollknäuel vor, dessen frühkindlichen Züge an den Vollstrecker von Donnerlippchen erinnern und dessen Zähne denen eines längst ausstorbenen Säbelzahntiger gleichen. Darüber hinaus kann bei näherer Betrachtung, also schon aus gut 2,5 m Entfernung, lustige Heerscharen von, im verfilzten Fellbehang hin und her wogenden, Parasiten beobachten. Dazu kommt noch die - zugegeben - nur leicht beunruhigende 10kg Statur des Muttertiers. In der Regel wacht sie mit der animalischen Gelassenheit eines Arenastieres, kurz vor dem Ende einer Corrida, über den Nachwuchs. Also ganz ehrlich, wie bekloppt muss man sein, ein Affenbaby auf den Arm zu nehmen und zu glauben, dass man ungeschoren davonkommt und - man höre und staune - noch nicht einmal an eine Tollwutimpfung als Reisevorbereitung gedacht hat.... Nun ja - lernen durch Schmerz ist auch ein Lebensmotto....