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Aber nu´ die Prinzessinnenstory . . .

  • Autorenbild: Ingo
    Ingo
  • 10. Juni
  • 8 Min. Lesezeit

Depesche 17 - Mawlamyine - 2016


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Regen, nur Regen! Immer noch. Wir sitzen wieder einmal im Restaurant des OK-Hotels und schauen auf den grauen Vorhang der Regenschleier, die vom Flussdelta herauf und über die Stadt herziehen. Leichter, schwüler Wind treibt Fetzen schwerer Regenwolken durch die Gassen zwischen Markthalle und Riverfront. In der Ferne, inmitten der graubraunen Schleier kündigt ein kleiner weißer Punkt die Ankunft der Fähre von Shampoo Island an. Eigentlich heißt die Insel Gaungse Kyun, aber welches Bleichgesicht kann sich schon diese ganzen Namen alle merken und außerdem ist ein griffiger Spitzname immer gut, vor allen Dingen gut zu vermarkten. Eigentlich ist die Geschichte ganz einfach, einmal im Jahr gab es eine zeremonielle Waschung von Prinzessinenhaaren. Das Wasser dazu wurde einer heiligen Quelle auf der Insel entnommen. Irgendwann im 14. Jahrhundert hat man mit diesem royalen Hygienefimmel angefangen, wobei mich so jährlich auftretende Traditionszeremonien immer stutzig machen. Ja, ja - der geneigte Leser denkt sich jetzt, ich bin einer dieser ewigen Geschichtszweifler. Dennoch sei hier an dieser Stelle ein kleines Gedankenspiel erlaubt: Für gewöhnlich ist man hier ja sehr reinlich, nicht dass man auf den Märkten hier soviel Lawendelseife in der Auslage hätte, wie in St. Remy, aber Wasser und Seife gibts reichlich. Bei den Provencialen glaube ich eh nicht daran, dass sie die ganze Seife benutzen. Ist mehr so eine Dekosache, vermute ich, reines Marketing also. Selbst meine Freundin benutzt von ihrer Alepposeife nur die Rückseite, damit sich die schöne Prägung vorn nicht abnutzt. Wenn sich aber, historisch verbrieft, Prinzessinnen lediglich einmal im Jahr die Haare waschen, dann werde ich misstrauisch.  Lässt viele Schlüsse zu, Seife ist knapp, Wasser ist knapp, etwas verlottert


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die Damen, marode Wasserleitungen, Marketinggag und, und, und ... Fragen über Fragen des Orients. Und überhaupt, wann werden die Prinzenhäupter gewaschen, oder gar die restliche königliche Baggage? Wieviele heilige Quellen gibt es auf Shampoo Island? Eigentlich lächerlich, denn in Anbetracht des ganzen Regens würde ich doch Regenwasser zum Haarewaschen verwenden, weicher pH-Wert und so. Alles etwas dubios, ebenfalls der Name, kolonialer Einfall der Briten, das Eiland so zu taufen. Der geneigte Leser merkt, ich bin gerade in sehr kritischer Stimmung. Das liegt vermutlich an unserem, leicht skurrilem, Gespräch mit der Majordoma des Hotels über unsere Weiterreise nach Süden. Während wir so versonnen über der Karte bei Tee und Gebäck hängen, gesellt sich Mrs. Grace, die Managerin des OK-Hotels, zu uns. Es hat ein bisschen den Anschein, als hätte sie uns ins Herz geschlossen, vielleicht spricht sie zur Abwechslung auch mal wieder gerne Englisch. Das OK-Hotel ist tatsächlich in chinesischem Besitz wie wir erfahren und sie äußert sich ziemlich vorsichtig zur chinesischen Rolle im wirtschaftlichen und politischen Leben Myanmars. Als junges Mädchen ist sie jahrelang auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs gewesen, sodass sie ausgezeichnet Englisch spricht, was, trotz jahrzehntelanger britischer Kolonialzeit, nicht selbstverständlich ist. Als wir ihr mitteilen, dass wir weiter nach Süden wollen, schüttelt sie heftig den Kopf und teilt uns mit, dass die Straße geschlossen sei - wegen Monsoonüberflutungen. „Ok, wir nehmen eine andere.“ „Welche andere?“, fragt sie mit dem verständnislosesten Blick, den ich je gesehen habe. Es gibt keine andere - aha, so, so. Eigentlich lasse ich mich von solchen Aussagen nicht entmutigen, denn wenn mich eins meine ganzen Reisen gelehrt haben, dann es immer einen Weg gibt. Jawohl. Doch anscheinend müssen wir hier passen, denn nach ihrer


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Aussage, wird bei Überflutungen der ganze südliche Bezirk gesperrt und es gibt nicht einmal die Möglichkeit, irgendwo zu übernachten. Hm, das macht uns nicht glücklich, da wir von der sagenhaften Landschaft Burmas so viel gehört haben. Bekräftigend schüttelt sie den Kopf und fügt hinzu, dass wir auch nirgendwo privat unterkommen würden, da es den Burmesen verboten ist, ohne Genehmigung Reisende zu beherbergen. Auf unserer Landkarte ist ein Gewirr kleiner Straßen nach Süden eingezeichnet, doch bevor ich fragen kann, schüttelt sie den Kopf und grinst, offenkundig über meine Entschlossenheit in Kombination mit der Situation. Vermutlich lacht sie mehr über die Vorstellung, wie wir mitten im Dschungel im Regen ein Behelfsdach aus Bananenblättern bauen. Also bin ich grummelig, denn hätte ich immer auf die Einheimischen gehört, wäre ich nicht über die Stadtgrenzen meiner Heimatstadt hinausgekommen.  Wir bedanken uns bei ihr für die Ratschläge und beschließen durch den strömenden Regen zur Markthalle hinüber zu huschen. Obwohl es bildlich gesprochen, nur ein Katzensprung ist, sind wir nahezu durchnässt - zur Verdeutlichung: Das Hotel und die Markthalle sind nur durch eine Seitenstraße getrennt ...


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   Burmesische Märkte sind immer ein Kosmos für sich, das ökonomische Feuchtbiotop von geldgierigen Halsabschneidern, gesättigten und fetten Gewürz- oder Reishändlern, knuddeligen Schneiderinnen, armen Schluckern, die  billigen Plastikramsch von der Straße verhökern, junge Mädchen, die halbe Rinderhälften und allerlei andere Fleischprodukte in der Auslage haben, Verkäufer von getrocknetem Fisch, proppere Frauen, die an behelfsmäßigen Küchen gute burmesische Hausmannskost kochen, Teeverkäufer, Werkzeughändler, Babykleidung- und Babynahrungspezialistinnen, und, und, und. Ich liebe Märkte, egal wo auf der Welt, sie sind ein Sammelbecken schier unerschöpflicher Eindrücke, voller Leben, Freude, Tristesse und ganz häufig auch voller Lebenspraktikabilität und interkultureller Komik. Beim Sichten meines Filmrohmaterials bin ich über eine Szene auf dem Markt von Pyin U Lwin gestolpert. Da saß ein kleiner Junge hinter Bergen von rohem Fleisch und vertrat ganz selbstverständlich seine Eltern. Sehr souverän sozusagen. Beim geneigten westeuropäischen Reisenden erzeugt das rohe Fleisch, das, dunkelschwarz fliegenumschwärmt, bei feuchter Hitze in der märktlichen Öffentlichkeit so vor sich hin rottet nicht


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für einen visuellen Kaufanreiz, schon gar nicht im Hinblick auf die olfaktorische Situation. Da hockt also dieser kleine, gelangweilte Burmamann und seine Augen folgen offenkundig der wirren Flugbahn einer Fliege. Dieses Zwischenspiel kann man aber nur in Zeitlupe sehen. Für den Beobachter scheint sein Blick wie zufällig auf die vor ihm rumgammelnden Fleischberge zu fallen, er schreckt zurück und verzieht angewiedert das ganze Gesicht und liefert einen Gesichtsausdruck für den jeder japanische No-Maskenschnitzer seine rechte Schnitzhand geben würde. Natürlich ist ihm nur die Fliege ins Gesicht geflogen, dem marktwilligen Bleichgesicht schießt nur durch den Kopf, „Jau, ich finde es auch super ekelig!“ Also der asiatische Markt als Solcher bietet viel!


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   In der Markthalle von Mawlamyine herrscht schummriges Licht wie beim Tanztee für die reifere Jugend in Bad Oeynhausen. Der Markt residiert in einer betonierten architektonischen Geschmacklosigkeit aus den 50er Jahren, dessen Dach hier und da bereits zu lecken scheint. Da das Eindringen von Wasser nur ein jahreszeitlich bedingtes Phänomen ist, haben die Händler kurzerhand mit den üblichen blauen Kunststoffplanen wasserdichte Behelfsdächer geschaffen, die die charmant-diffuse Lichtsituation noch unterstützen. Die blaue Plastikplane als Solche ist ein typisch asiatisches Kulturgut und ist in seiner wirtschaftlichen Bedeutung nicht zu unterschätzen. Denn blaue und schalweiße Kunststoffplanen gibt es hier überall. Als ich mich vor Jahren mal im Landeanflug auf Bombay befand, konnte ich die letzten 10 Minuten von oben einen riesigen Vorstadtslum beobachten. Leicht verschlafen fühlte ich mich an L.A. erinnert, nur dass dort die blauen Rechtecke am Boden wohl alles Gartenpools gewesen sein dürften und keine Plastikbehelfsdächer. Über mehrere Hügelketten erstreckte sich eine wahre blaue Planen-Stadt, was in


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meinem Kopf die Frage aufwarf, wie da wohl jeder seine Plane herausfindet? An dieser Stelle muss ich darauf verweisen, dass ich bereits schon mal über eine Blaue Stadt berichtet habe, aber das war eindeutig Jodhpur und dort sind nicht nur die Dächer, sondern überwiegend die gesamten Häuser blau. Natürlich ist das, wenn auch augenzwinkernd berichtet, unvorstellbar und aus unserem Sozialkontext heraus auch nicht zu verstehen. Aber hier schreibe ich nicht über Indien, deshalb bleibe die Blaue Elendsstadt in den Hügeln vor Bombay an dieser Stelle so stehen. Hier knotet jeder irgendwie diese schräbbeligen Plastikdinger über seinen Verkaufsörtlichkeiten fest und buchstäblich nach ihm die Sinnflut. Das Wasser findet seinen Weg - so durchquert es ungehindert die Dächer, rinnt in den Fugen hinab, sammelt sich in Hohlräumen und schon läuft es über und regnet in die Halle. Dort geht es von den zeltartig aufgehängten Plastikplanen bergab und zwischen all den lustig bunten mehr oder minder straff gespannten Leinen vermischt es sich mit dem Bioabfall und dem Sediment der Straße zu einem feinen schwarzen Morast, der besonders hartneckig an Latschen, und Hosen haftet. Hm ..., wieso machen sie sich überhaupt die Mühe und bauen eine Markthalle, wenn einfache überdachte Marktstände gereicht hätten? Fragen über Fragen des Orients.


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   Ich vertreibe die immer periodisch aufkeimenden europäischen Optimierungsgedanken und konzentriere mich wie auf das Marktgeschehen. Nach Gewerken wohl sortiert, gibt es hier wieder einmal alles. Besonders eine riesige Gewürzabteilung, die ein ganzes Karré in der Halle einnimmt, produziert dabei eine würzige Atmosphäre, als wären in einem deutschen Großmarkt alle Maggiflaschen zu Bruch gegangen. So ein Gewürzhändler hockt, einem vietnamesischen Fischer in seiner runden Pirogge gleich, inmitten der aufgetürmten Currywogen seines Gewürzmeeres. Anstelle einer Angel hat er wahlweise immer einen Taschenrechner, eine Waage oder eine Papierliste in der Hand - egal welchen Markt ich in Asien besucht habe. Vermutlich wird diese Spezies mit einem Taschenrechner in der Hand geboren, ähnlich einem indischen Tuktukfahrer, der seine Hupe scheinbar auch von Geburt an mit seinem Daumen verbunden hat. Meist ist der asiatische Gewürzhändler als Solches genervt, da haufenweise Bleichgesichter um seinen Stand herumschleichen, gerne die exotische Situation fotografisch festhalten und vielleicht 100 Gramm Chilipaste kaufen. Ich zähle natürlich auch zu dieser Art Reisenden - aber klar! Dennoch entschuldige ich meinen Fotografierfimmel damit, dass daheim alle Gewürze nur in Cellophan verpackten 100 Gramm-Chargen zu bekommen sind. Dagegen sind die turmhohen roten und gelben Gewürzpagoden derartig faszinierend, dass sie mich in ihrer Form immer wieder an den Fuji erinnern. Dazu kommt, dass man in unseren Breiten mit 100 Gramm asiatischen Chilipulvers gut 10 Jahre, selbst bei hemmungslosester Verwendung hinkommt, wenn man nicht einem grausamen inneren Verbrennungsprozess zum Opfer fallen möchte. Mehr Chilipulver brauch

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kein Mensch, es sei denn, man möchte ganze Sitzgruppen abbeizen, dazu eignet sich der hohe Capsaicin-Gehalts des hiesigen Chillis übrigens ausgezeichnet. Vermutlich gilt die Scoville-Skala in Asien nicht nur für Lebensmittelindustrie, sondern wird auch gerne vom lackproduzierenden Gewerbe genutzt. Für gewöhnlich halte ich mich von Chili fern, in welcher Form auch immer es dargeboten wird, da mir Leib und Leben lieb ist. Diese einfache, aber durchaus wirkungsvolle Lebensmaxime ist die Folge einer essenstechnischen Nahtoderfahrung, die ich mit einem Kollegen in einem Landgasthof in der Puszta teile. Dort gab es - so einfach zum Knabbern - kleine getrocknete Chilischoten als Beilage zur Vorspeise. Selbst das millimetergroße Stück Chili, also nur stecknadelkopfgroß, erzeugte einen Rachenbrand meinerseits, als hätte ich beherzt ein Glas Batteriesäure runter geschüttet. Mein Kollege - ein ganzer Kerl - heute würde man eher sagen, die erste Dschungelprüfung - aß das Ding im Ganzen und hoffte so der Scoville-Explosion zu entgehen. Verrückte Welt! Seine Gesichtsfarbe entwickelte sich spontan zu RAL


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3000 - Feuerwehrrot! Der Kontrast der feuerroten Gesichtshaut zu seinen blonden Haaren ließ auf lebensbedrohliche Flammenbildung - technisch gesehen ein sogenannter endothermer Wärmeanstieg - in der Speiseröhre mit unmittelbaren Verbrennungen der inneren Funktionsorgane schließen. Seit jenem denkwürdigen Tag weise ich schlappschwanzhaft jeden Scoville-Test für die Männlichkeit zurück und sonne mich in der Verachtung maskuliner Chiliathleten. Soviel zu Gewürzmengen auf Reisen. Zurück zur Markthalle von Mawlamyine. Natürlich kaufen wir einige 100 Gramm Chilipackete, als Mitbringsel für die Daheimgebliebenen, so als markiges Abenteuergeschenk ... so über die Berge, mit einer Karawane die Seidenstraße entlang ... mit Kamelen durch den Sandsturm und so ... der geneigte Leser weiß, was ich meine! Natürlich habe ich ein schlechtes Bauchgefühl, wissen wir doch nicht genau, ob derartige organische Verbindungen nicht ein eklatanter Vestoß gegen das bundesdeutsche Sprengmittelgesetz ist?


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   Wir steuern die Fruchtecke an und decken uns mit Mangos ein. Burmesische Mangos sind der Kracher - wirklich - zuckersüß und es gibt sie an allen Ecken und Enden. Erstaunlicherweise sind Litschis hier sehr teuer, im Gegensatz zu Thailand oder Vietnam, wo es sie zu Spottpreisen in Hülle und Fülle gibt. Auch die pinkgrüne Drachenfrucht ist hier nicht so weit verbreitet, wie im restlichen Südostasien, was mich zugegebenerweise sehr erstaunt.

   Beim Verlassen von Mawlamyines Handelshof stellen wir fest, dass der Regen aufgehört hat und die Sonne den Erweiterungshandel vor und um die Markthalle erlaubt. Wir sind immer wieder erstaunt, wie eine gesamte Nation ausschließlich  Nahrungsmittel zu handeln scheint und auf Latschen von A nach B transportiert wird - so könnte man wohl das burmesische Alltagsgeschehen außerhalb von Rangoon und Mandalay beschreiben und das alles in lustig bunten Röcken und Pyjamas ...


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